Lächeln, etwas Liebe und ein Sprung der CDU
“Quo vadis, CDU?” – Impuls 4: Als in der vergangenen Woche alle ihr Bullshit-Bingo mit dem Wort „Schicksalswahl“ vollmachten, meinten die meisten damit wohl Europa. In diesen Tagen wurde nun klar, dass Europa noch steht, wir uns aber beim schnöden Schicksal der deutschen Parteienlandschaft gar nicht mehr so sicher sind. Obwohl dabei die neuen Folgen der SPD-Soap wieder herzzerreißend daherkommen, findet Oliver Fraederich die überraschend neue Staffel einer anderen Partei viel interessanter: Drei Erkenntnisse zum Fall und drei Wünsche für den Wiederaufstieg der CDU.
Zu Beginn der Disclaimer: Ich bin den größten Teil meines Lebens CDU-Mitglied. Letzte Woche habe ich ein Glückwunschschreiben zum 25jährigen bekommen. Ich bin heute 40 Jahre alt und mit 16 eingetreten. Das ist auch ohne Rechenfehler völlig crazy.
Nur einmal in dieser Zeit musste ich mir ähnlich große Sorgen um die Zukunft meiner Partei machen wie heute: Die Spendenaffäre zur Jahrtausendwende hätte die CDU auf ewig zerquetschen können. Damals konnte das nur ein Befreiungsschlag abwenden: Die Wahl der unverbrauchten und vertrauenerweckenden Angela Merkel zur Vorsitzenden.
Ich frage mich: Ist der heutige Zustand für die CDU nicht vielleicht sogar gefährlicher als damals? Er gleicht dem Verenden eines Krebses, dessen Umgebungswasser langsam erhitzt wird. Das Tier merkt es nicht, es wird nur langsamer und ein bisschen dösig, doch beim Siedepunkt wird es auf einmal tot sein. Die EU-Wahl hat gezeigt: Das Wasser ist schon mindestens lauwarm. Und der Tauchsieder läuft. Doch hat der Krebs gar keinen Grund für den Befreiungsschlag. Er sitzt da wie eh und je. Und wüsste halt auch gar nicht, was er tun sollte.
Die Analysen dieser Tage bescheren dem Krebs viele Kommentare aus Politik, Journalismus und Wissenschaft. Die einen raten ihm, einfach grün zu werden. Wie ein Frosch. Frösche können aus dem heißen Wasser rausspringen.
Die anderen sagen, der Krebs sollte sich auf seine alten Tugenden berufen. Seine Greifer hätten ihn nie besonders beliebt gemacht, aber schlagkräftig. Sie könnten ihn gut aus der Lage befreien.
Beide haben Unrecht. Ein grüner Krebs ist kein Frosch. Da kann man ihn anstreichen, wie man will: ein grüner Krebs ist ein grüner Krebs! Und ein grüner Krebs hüpft nirgendwo hin.
Die Greifer dagegen mögen dem Krebs ja helfen, sich aus seinem Gefäß zu befreien. Doch wenn er sie anwendet, ist das Wasser weg, das ihn die letzten Jahre am Leben hielt. Bedeutet auch Tod, nur anders.
Genug von diesem Bild, you get what I mean.
Erkenntnis 1: Zur Ausgangslage mal die Verhältnisse gerade rücken
4/5 der Wählerschaft haben zur Europawahl nicht die Grünen gewählt. Es ist für die ARD-Haupstadtredaktion schwer vorstellbar, aber es gibt eine echt große Masse an Menschen in diesem Land, die nicht so ticken wie die Grünen. Die sich auch dieses Mal, obwohl alle, wirklich alle Zeichen auf grün standen, bewusst für eine andere Partei entschieden haben.
Das soll nun kein billiges Verwaschen der Wahlniederlage sein. Ich halte es lediglich für notwendig, eine Prämisse festzuhalten, die (zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit) Realität ist: Wer bei dieser Wahl die CDU gewählt hat, will keine zweite grüne Partei. Wer die CDU gewählt hat, will etwas anderes als die Grünen.
Daraus folgt nämlich ein wichtiger Umkehrschluss: Würde die CDU auf die überwiegende Zahl der Hauptstadtredaktionen hören, endlich grüner zu werden, würde man ebendiese Wähler, die ihr die Treue gehalten haben, vor den Kopf stoßen.
Und ein zweiter: Es gibt weiterhin Potenzial für die CDU. Sie muss nicht grün werden, um Wählerschaft zu erreichen. Es ist nicht alles verloren.
Und doch ist diese Erkenntnis auch meine Schwächste. Denn die Redaktionen haben natürlich einen Punkt: Über eine Million wollten, im Vergleich zur vorherigen Wahl, doch lieber Grün als Schwarz. Bei ihnen hat die Abwägung grün ausgeschlagen.
Doch warum sie gewechselt haben, ist schon wieder alles andere als klar: War es das überzeugende Thema Klimaschutz? War es ein grundlegender Identifikationswandel? War es lediglich ein Warnschuss an die CDU (bei der EU-Wahl kann man es ja schon mal machen): Wenn ihr euch ändert, komme ich zurück? Doch wohin ändern?
Und auf der anderen Seite ebenso viele Fragen: Was genau war es, was diejenigen, die sich diesmal (wieder) für die CDU entschieden haben, nicht von den Grünen überzeugen konnte? Nicht das grüne Millieu? Nicht ihre politischen Aussagen? Nicht ihre Instrumente? Nicht der Polittypus Baerbock/Habeck? War es also eine Entscheidung ganz und gar für die CDU, oder nur deshalb eine Entscheidung gegen die Grünen, weil sie noch nicht ganz bereit dafür waren? Viele Unsicherheiten.
Erkenntnis 2: Die CDU war themenarm und blutleer. Das kann sie sich nicht mehr leisten.
Die CDU hat es ihren Wählern niemals zuvor so leicht gemacht, sie nicht zu wählen. Niemals zuvor hat sie eine derart umfassende Langeweile wie bei dieser Europawahl ausgestrahlt. So integer und zuverlässig der ganz und gar moderate Manfred Weber als Spitzenkandidat war, so grau und leer war sein thematischer Unterbau. Die Union stand für: Europa und Weber. Nichts davon war verkehrt, aber es war alles andere als genug.
Nun ist es ja nichts Neues, dass die CDU nicht als Programmpartei auftritt. Die vergangenen Jahre war sie als Kanzlerinwahlverein abgestempelt und hat selten inhaltliche Impulse ausgestrahlt. Doch hat sie ja trotzdem stets stabil abschneiden können. Denn sie hatte ein Alleinstellungsmerkmal: Angela Merkel, die von bösen Kräften bedroht war. Mit der man sich solidarisieren konnte und, wenn man kein Freund von extremistischen Hohlköpfen ist, auch irgendwie musste.
Dieser USP ist weg. Und es war doch eigentlich klar, dass die CDU mit einem neuen Drive in diese Zeit nach Merkel eintreten musste. Dass die Erfolgsfaktoren, die mit Merkel fest verbunden sind – also Bedachtheit, Vertrauen, Stabilität – nicht einfach auf das Folgepersonal übergehen würden.
Doch die CDU hatte keinen neuen Drive. Sie hatte nur Europa und einen Spitzenkandidaten. Das reicht nicht mehr.
Erkenntnis 3: Das Bild gewinnt
Die Grünen sind nicht gewählt worden, weil sie als einzige das Thema Klimawandel erkennen würden. Sie sind auch nicht deshalb gewählt worden, weil sie die besten Rezepte dagegen hätten. Sie sind gewählt worden, weil sie das Thema am glaubwürdigsten vertreten.
Den Grünen nimmt man ab, dass sie mit jeder Faser ihres politischen Daseins für dieses Ziel eintreten wollen. Und mehr noch, man verbindet mit ihnen ein vollständiges gesellschaftliches Bild, das dem Ziel gerecht wird und weitere Bilder quasi mitliefert: Straßen mit weniger Autos, gesunde Luft, kräftige Laubwälder, schöne Stofftaschen, glückliche Kühe. Es sind durchweg attraktive, saubere, romantische Assoziationen, die mit den Grünen verbunden werden. Bilder, mit denen man sich gern identifiziert.
Solche Bilder hatten früher auch CDU und SPD mal parat. Die CDU hatte das Bild vom Wohlstand, von der glücklichen Familie, dem beruflichen Erfolg, bequemer Infrastruktur und freundlichen Polizisten, die das alles absichern. Die SPD konnte auf die gerechte Gesellschaft setzen, den Arbeiter, dem man Macht und Mitsprache gab, den sozialen Einrichtungen von Krankenhäusern bis Jugendzentren, in denen man sich der kümmernden Kommune anvertrauen konnte.
Nun haben diese Bilder weiterhin ihre Berechtigung, aber sind sie doch in der Prioriätenliste der Gestaltungswünsche weit nach unten gerutscht. Familiäres Glück und soziale Infrastruktur sind, trotz aller Widrigkeiten, breit vorhanden und für jedermann sichtbar. Was CDU und SPD liefern, sind keine Visionen, es sind Strukturbeschreibungen.
Doch es ist nicht nur die zeitgemäßere Vision. Was die Grünen zu ihren starken Bildern noch dazu liefern, ist ein nahezu unschlagbares Überzeugungselement: Freude. Sie vertreten ihr Ziel mit jugendlicher Dynamik, mit sichtbaren, demonstrierenden, hüpfenden und singenden Massen im Rücken, mit vielfältigen Köpfen und Persönlichkeiten in der innerparteilichen und außerparlamentarischen Darstellung. Alle wollen sie verändern. Sie streben etwas an. Es ist viel Bewegung in diesem ungefährlichen, freundlichen, romantischen Bild.
Die Bilder der Grünen sind durch diese Elemente so stark, dass sie alles überstrahlen, vor allem ihre Schwächen: So ist die Programmatik der Partei ja keineswegs integrativ. Sie ist festgelegt auf bestimmte Gesellschaftsschichten; auf Merkmale, die eher auf der Sonnenseite des Lebens zu finden sind. Auf junge, gesunde Menschen zum Beispiel, die auch mit dem Fahrrad mobil sein können. Die gebrechliche Oma, die für ihren Einkauf das Auto braucht, mag respektiert werden – aber im Zentrum der Programmatik steht sie nicht.
Dazu kommt eine komplett urbane Ausrichtung. In der Stadt lässt sich leicht sharen, ohne Auto und mit weniger Strom auskommen. Auf dem Land ist dieser Lebensstil keine Option. Die Grünen haben auch gar keinen Bezug zur Gesellschaft außerhalb von Großstädten. Vom Osten gar nicht zu reden. Und so frisch die Grünen nach außen wirken, so behäbig und abwartend ist doch stets ihre tatsächliche Haltung: Fortschritt und Neuerung sind für sie Gefahr. Eine typische grüne Antwort ist die Skepsis. Ein Grundgefühl die Angst.
Und was ist mit der sozialen Gerechtigkeit? Ich empfand es als einen Kernfehler in der Argumentation von Rezos Prangervideo, der CDU Politik gegen die Armen und eine Verzögerung von Klimapolitik gleichzeitig vorzuwerfen. Tatsächlich wird jegliche Verzögerung, wenn man sie denn der CDU vorwerfen kann, doch gerade mit der Vermeidung von sozialen Ungerechtigkeiten begründet! Diesen Konflikt einfach auszublenden, ist dagegen ein Meisterwerk der Grünen — und wird so lange Bestand haben, wie sie in der Opposition sind.
Wunsch 1: Wiederholt nicht den Fehler der SPD!
Die Grünen machen also wahnsinnig viel richtig; von der beeindruckenden Geschlossenheit, die sie zusätzlich noch an den Tag legen (also eigentlich das Gegenteil von der Lebendigkeit, die sich alle immer wünschen, dann aber bei Wahlen niemals belohnen), ganz zu schweigen.
Doch wie gezeigt, sind die Grünen eben auch alles andere als perfekt! Wenn das nicht schon Grund genug wäre, sie nicht einfach zu kopieren, spätestens das schlechte Beispiel, das die SPD dabei abgibt, wäre es.
Sie versucht doch schließlich schon seit einem Jahrzehnt, eine ähnliche Wirkung zu entfalten, wie die Grünen es tun. Regelmäßig überstreicht sie sich mit Urbanität, sowohl in den Inhalten, als auch in der Darstellung. Und hat dabei ihren unverzichtbaren Unterbau, die hart arbeitende Bevölkerung, die weder Bohème-Gefühle noch höhere Abschlüsse vorweisen kann, unter die Avocadoschorle gekehrt. Ergebnis ist ein unkenntlicher Mischmasch aus Kreuzberger Avantgarde und Grundrente, bei dem niemand mehr weiß, was taktisch und was ehrlich gemeint ist.
Nicht nur sollte die CDU diesen Weg aufgrund dieser Erfahrung nicht gehen – es ist für sie auch schlicht keine notwendige Option. Während für die SPD der eigene Abstieg auch Folge des über die Jahrzehnte Erreichten — Mitbestimmung, Arbeitszeit, Tarifautonomie, you name it —, und der damit verbundenen, notwendigen Findung neuer Themen war, ist die politische Ausrichtung der CDU doch viel zeitloser. Ihr geht es um westliche Werte, Wohlstand, Sicherheit und den Vorrang des Individuums vor dem Staat. Keines dieser Themen ist abzuhaken und keines davon ist eines der Grünen. Dieser inhaltliche Unterbau ist potenziell ganz und gar CDU und weiterhin attraktiv für breite Wählerschichten. Wenn man es denn richtig macht.
Wunsch 2: Begeistert mich. Begeistert Euch!
Das ist also die gute Nachricht: Die CDU hat alles in der Hand. Die Schlechte: Sie scheint es nicht zu wissen.
Zur glaubwürdigen Außendarstellung einer politischen Kraft gehört der unbedingte Wille zur Gestaltung. Die CDU hat ihre inhaltliche Programmatik dagegen auf ein permanentes Ja, aber reduziert. Wirtschaft entlasten? Ja, aber nicht zu viel weil zu teuer. Klimaschutz? Ja, aber vorsichtig. Digitalpolitik? Ja, aber zu viel Freiheit nun auch nicht.
Nicht falsch verstehen: Viele der Positionen, die im „aber“ stehen, sind redlich. Der Steuersenkung für die Wirtschaft kann man die Nachhaltigkeit ausgeglichener Haushalte entgegenhalten, dem Klimaschutz den notwendigen Zeitbedarf für wissenschaftliche (ja, echt!) Erkenntnisse ob des korrekten Wegs – z.B. bezüglich Batterie- und Wasserstoffspeicherung. Und natürlich die soziale Ausgewogenheit.
Die Sache mit dem Ja, aber ist: Sobald die CDU beim „aber“ ist, ist sie die Abwehr. Dann ist sie Verhinderin statt Ermöglicherin. Missmutig statt optimistisch. Eine Mauer statt des Horizonts. Doch Politik muss Tore öffnen, statt sie zu schließen. Das ist ihre zentrale Aufgabe. Das ist es, was die Grünen mit ihren Bildern richtig machen und die CDU falsch.
Die CDU hat alle programmatischen Möglichkeiten, eine optimistische, zukunftsfreudige Politik zu vertreten. Doch muss sie ebendiese Freude auch ausstrahlen. Statt dem Nein ein Ja: Zur Wissenschaft, zu den revolutionären Entwicklungen dieser Zeit, zu Klimapolitik, die auf technologischen Fortschritt statt auf Verzicht setzt, zu Marktmechanismen, die das Individuum per se mehr respektieren als es die zentrale Richtlinie tut. Ja zur Globalisierung und den damit verbundenen Chancen für kulturellen und kreativen Austausch. Ja zu universellen Menschenrechten überall auf der Welt.
Nicht der mahnende Finger verändert die Welt, sondern die Vorstellung davon, wie sie besser sein sollte. Liebe CDU-Spitze: Bitte habt endlich einen Politikentwurf und begeistert mich von ihm! Der erste Schritt dahin ist ein wirklich schöner: Begeistert euch selbst.
Wunsch 3: Ihr braucht jetzt kein TikTok, Ihr braucht Liebe zum Netz
Der Gedanke, das Netz wäre eine Jugenderscheinung, macht mich kirre. Ich war 17, als ich das Internet kennenlernte und seitdem selten aus den Augen verlor. Jetzt! bin! ich! 40! Ob man im Jahr 2019 in Deutschland die Welten des Internets kennt, schätzt, hasst und/oder darin lebt, ist keine Frage der Geburtsurkunde, sondern ausschließlich persönlicher Präferenzen.
Viele von uns, die wir zu viel Zeit bei Twitter, Instagram oder anderen bitbasierten Zeitfressern verbringen, werfen denjenigen, die es nicht tun, mangelnde Sympathie zum Netz vor. Das mag unredlich klingen, denn Liebe kann man ja eigentlich nicht erzwingen.
Doch was man den netzfernen Gestalten in der Politik eben mindestens vorwerfen kann, ist der Mangel an Neugierde. Wer es sich außerhalb der Politik in heutiger Zeit tatsächlich noch erlaubt, kein Interesse am Geschehen im Internet zu haben, hat alles Recht dazu. Politisch tätige Menschen müssen sich dagegen schon fragen lassen, ob sie dann den richtigen Beruf gewählt haben.
Denn wer Politik macht, muss neugierig sein auf Meinungsaustausch, Argumente und Ideen. Nirgendwo wird dies schneller, zahlreicher und (trotz aller Über- und Unterrepräsentationen) vielfältiger angeboten als im Netz. Wer den Diskurs im Netz, seine Eigenheiten und Instrumente ignoriert, zeigt kein Interesse an dem, worum es dort am Ende immer geht: den Menschen.
Das ist der Grund, warum es heutzutage zur Grundleistung einer Partei mit Gestaltungsanspruch gehören muss, diesen Respekt vor dem Geschehen im Netz glaubwürdig auszustrahlen. Auf Respekt folgt nämlich zwangsläufig Neugierde. Aus Neugierde darf Verstehen werden. Und auf Verstehen darf dann (!) gern eines von beidem folgen: Liebe oder Hass.
Die CDU darf also selbstverständlich als Volkspartei auch jede Menge Internethasser unter sich haben. (Solange die dann ihre Abneigung auch begründen können!) Doch gleichzeitig muss sie, wenn sie Volkspartei sein will, auf allen Ebenen auch diejenigen repräsentieren, die das Internet leben und lieben. Der Diskurs zwischen beiden darf sich abbilden. Es darf ein Diskurs zwischen Hassern und Liebern sein. Doch darf es eben kein Diskurs zwischen Unkenntnis und Kenntnis sein! Und genau da stecken wir fest.
In der Diskussion um Netzsperren, Artikel 13/17, Rezo, dem Komplettversagen bei der Beantwortung von Rezo, dem generellen Umgang mit videobasierter veröffentlichter Meinung außerhalb von etablierten Medien und nicht zuletzt den jüngsten Gedankenspielen um Regulierung dieser Medienangebote, hat die CDU keine Liebe zum Netz bewiesen. Sie hat nicht einmal begründete Abneigung bewiesen.
Alles, was sie bewiesen hat, war eben mangelnde Kenntnis, mangelndes Interesse und: mangelnden Respekt.
Das Ärgerliche dabei: diese Wirkung bildet die CDU gar nicht angemessen ab. In ihrer Breite ist ihre Mitgliederstruktur mindestens so technologiefreundlich und netzerlebend wie die der anderen Parteien. Schließlich bildet sie als einzige verbliebene Volkspartei ja auch tatsächlich alle Gesellschaftsschichten ab.
Doch ausgerechnet im Netzbereich hat das keinen Effekt auf die Spitze. Es wäre Henne und Ei, dies ausschließlich mit mangelnder Repräsentation der netzpolitisch Interessierten an der Parteispitze zu erklären. Ursachen hin oder her: Es muss sich ändern.
Und auch hier sollte die CDU nicht auf schnelle Ratschläge hören. Das Problem löst sie auf keinen Fall dadurch, weitere Personalressourcen für Netzkanäle bereitzustellen und Accounts zu eröffnen.
Denn mangelnder Respekt bleibt mangelnder Respekt, auch wenn er bei Youtube, Instagram und Snapchat besser ausgeleuchtet wird. Der CDU(-Führung) fehlt nicht die Präsenz im Medium, ihr fehlt die Liebe zum Medium.
Für das Internet gilt deshalb dasselbe, was für Klima, Wissenschaft, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit gilt: Eine Partei mit negativen Politikansätzen hat einem gestaltungsfreundlichen Bild nichts entgegenzusetzen. Die CDU muss sich wandeln, nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch im inneren Selbstverständnis. Nur dann kann der Sprung gelingen. Und es wird Zeit dafür: das Wasser wird halt wärmer.
Oliver Fraederich
hat sein Leben früh der Politik gewidmet und verantwortete zunächst ab 2003 als jüngstes Mitglied der Lübecker Bürgerschaft große Teile der Kulturpolitik der Hansestadt. 2013 zog es ihn dann als Büroleiter der Forschungspolitikerin Alexandra Dinges-Dierig zum Bundestag nach Berlin. Seit 2017 leitet der Wirtschaftsjurist das Bundestagsbüro der Patientenbeauftragten der Bundesregierung Prof. Dr. Claudia Schmidtke und bearbeitet dort vor allem die Digitalthemen.