“Quo vadis, CDU?” – Impuls 4: Als in der ver­gan­ge­nen Woche alle ihr Bull­shit-Bin­go mit dem Wort „Schick­sals­wahl“ voll­mach­ten, mein­ten die meis­ten damit wohl Euro­pa. In die­sen Tagen wur­de nun klar, dass Euro­pa noch steht, wir uns aber beim schnö­den Schick­sal der deut­schen Par­tei­en­land­schaft gar nicht mehr so sicher sind. Obwohl dabei die neu­en Fol­gen der SPD-Soap wie­der herz­zer­rei­ßend daher­kom­men, fin­det Oli­ver Fra­ede­rich die über­ra­schend neue Staf­fel einer ande­ren Par­tei viel inter­es­san­ter: Drei Erkennt­nis­se zum Fall und drei Wün­sche für den Wie­der­auf­stieg der CDU.

Zu Beginn der Dis­c­lai­mer: Ich bin den größ­ten Teil mei­nes Lebens CDU-Mit­glied. Letz­te Woche habe ich ein Glück­wunsch­schrei­ben zum 25jährigen bekom­men. Ich bin heu­te 40 Jah­re alt und mit 16 ein­ge­tre­ten. Das ist auch ohne Rechen­feh­ler völ­lig crazy.

Nur ein­mal in die­ser Zeit muss­te ich mir ähn­lich gro­ße Sor­gen um die Zukunft mei­ner Par­tei machen wie heu­te: Die Spen­den­af­fä­re zur Jahr­tau­send­wen­de hät­te die CDU auf ewig zer­quet­schen kön­nen. Damals konn­te das nur ein Befrei­ungs­schlag abwen­den: Die Wahl der unver­brauch­ten und ver­trau­en­er­we­cken­den Ange­la Mer­kel zur Vorsitzenden.

Ich fra­ge mich: Ist der heu­ti­ge Zustand für die CDU nicht viel­leicht sogar gefähr­li­cher als damals? Er gleicht dem Ver­en­den eines Kreb­ses, des­sen Umge­bungs­was­ser lang­sam erhitzt wird. Das Tier merkt es nicht, es wird nur lang­sa­mer und ein biss­chen dösig, doch beim Sie­de­punkt wird es auf ein­mal tot sein. Die EU-Wahl hat gezeigt: Das Was­ser ist schon min­des­tens lau­warm. Und der Tauch­sie­der läuft. Doch hat der Krebs gar kei­nen Grund für den Befrei­ungs­schlag. Er sitzt da wie eh und je. Und wüss­te halt auch gar nicht, was er tun sollte.

Die Ana­ly­sen die­ser Tage besche­ren dem Krebs vie­le Kom­men­ta­re aus Poli­tik, Jour­na­lis­mus und Wis­sen­schaft. Die einen raten ihm, ein­fach grün zu wer­den. Wie ein Frosch. Frö­sche kön­nen aus dem hei­ßen Was­ser rausspringen.

Die ande­ren sagen, der Krebs soll­te sich auf sei­ne alten Tugen­den beru­fen. Sei­ne Grei­fer hät­ten ihn nie beson­ders beliebt gemacht, aber schlag­kräf­tig. Sie könn­ten ihn gut aus der Lage befreien.

Bei­de haben Unrecht. Ein grü­ner Krebs ist kein Frosch. Da kann man ihn anstrei­chen, wie man will: ein grü­ner Krebs ist ein grü­ner Krebs! Und ein grü­ner Krebs hüpft nir­gend­wo hin.

Die Grei­fer dage­gen mögen dem Krebs ja hel­fen, sich aus sei­nem Gefäß zu befrei­en. Doch wenn er sie anwen­det, ist das Was­ser weg, das ihn die letz­ten Jah­re am Leben hielt. Bedeu­tet auch Tod, nur anders.

Genug von die­sem Bild, you get what I mean.

Erkennt­nis 1: Zur Aus­gangs­la­ge mal die Ver­hält­nis­se gera­de rücken

4/5 der Wäh­ler­schaft haben zur Euro­pa­wahl nicht die Grü­nen gewählt. Es ist für die ARD-Haup­stadt­re­dak­ti­on schwer vor­stell­bar, aber es gibt eine echt gro­ße Mas­se an Men­schen in die­sem Land, die nicht so ticken wie die Grü­nen. Die sich auch die­ses Mal, obwohl alle, wirk­lich alle Zei­chen auf grün stan­den, bewusst für eine ande­re Par­tei ent­schie­den haben.

Das soll nun kein bil­li­ges Ver­wa­schen der Wahl­nie­der­la­ge sein. Ich hal­te es ledig­lich für not­wen­dig, eine Prä­mis­se fest­zu­hal­ten, die (zumin­dest mit hoher Wahr­schein­lich­keit) Rea­li­tät ist: Wer bei die­ser Wahl die CDU gewählt hat, will kei­ne zwei­te grü­ne Par­tei. Wer die CDU gewählt hat, will etwas ande­res als die Grünen.

Dar­aus folgt näm­lich ein wich­ti­ger Umkehr­schluss: Wür­de die CDU auf die über­wie­gen­de Zahl der Haupt­stadt­re­dak­tio­nen hören, end­lich grü­ner zu wer­den, wür­de man eben­die­se Wäh­ler, die ihr die Treue gehal­ten haben, vor den Kopf stoßen.

Und ein zwei­ter: Es gibt wei­ter­hin Poten­zi­al für die CDU. Sie muss nicht grün wer­den, um Wäh­ler­schaft zu errei­chen. Es ist nicht alles verloren.

Und doch ist die­se Erkennt­nis auch mei­ne Schwächs­te. Denn die Redak­tio­nen haben natür­lich einen Punkt: Über eine Mil­li­on woll­ten, im Ver­gleich zur vor­he­ri­gen Wahl, doch lie­ber Grün als Schwarz. Bei ihnen hat die Abwä­gung grün ausgeschlagen.

Doch war­um sie gewech­selt haben, ist schon wie­der alles ande­re als klar: War es das über­zeu­gen­de The­ma Kli­ma­schutz? War es ein grund­le­gen­der Iden­ti­fi­ka­ti­ons­wan­del? War es ledig­lich ein Warn­schuss an die CDU (bei der EU-Wahl kann man es ja schon mal machen): Wenn ihr euch ändert, kom­me ich zurück? Doch wohin ändern?

Und auf der ande­ren Sei­te eben­so vie­le Fra­gen: Was genau war es, was die­je­ni­gen, die sich dies­mal (wie­der) für die CDU ent­schie­den haben, nicht von den Grü­nen über­zeu­gen konn­te? Nicht das grü­ne Mil­lieu? Nicht ihre poli­ti­schen Aus­sa­gen? Nicht ihre Instru­men­te? Nicht der Polit­ty­pus Baerbock/Habeck? War es also eine Ent­schei­dung ganz und gar für die CDU, oder nur des­halb eine Ent­schei­dung gegen die Grü­nen, weil sie noch nicht ganz bereit dafür waren? Vie­le Unsicherheiten.

Erkennt­nis 2: Die CDU war the­men­arm und blut­leer. Das kann sie sich nicht mehr leisten.

Die CDU hat es ihren Wäh­lern nie­mals zuvor so leicht gemacht, sie nicht zu wäh­len. Nie­mals zuvor hat sie eine der­art umfas­sen­de Lan­ge­wei­le wie bei die­ser Euro­pa­wahl aus­ge­strahlt. So inte­ger und zuver­läs­sig der ganz und gar mode­ra­te Man­fred Weber als Spit­zen­kan­di­dat war, so grau und leer war sein the­ma­ti­scher Unter­bau. Die Uni­on stand für: Euro­pa und Weber. Nichts davon war ver­kehrt, aber es war alles ande­re als genug.

Nun ist es ja nichts Neu­es, dass die CDU nicht als Pro­gramm­par­tei auf­tritt. Die ver­gan­ge­nen Jah­re war sie als Kanz­le­rin­wahl­ver­ein abge­stem­pelt und hat sel­ten inhalt­li­che Impul­se aus­ge­strahlt. Doch hat sie ja trotz­dem stets sta­bil abschnei­den kön­nen. Denn sie hat­te ein Allein­stel­lungs­merk­mal: Ange­la Mer­kel, die von bösen Kräf­ten bedroht war. Mit der man sich soli­da­ri­sie­ren konn­te und, wenn man kein Freund von extre­mis­ti­schen Hohl­köp­fen ist, auch irgend­wie musste.

Die­ser USP ist weg. Und es war doch eigent­lich klar, dass die CDU mit einem neu­en Dri­ve in die­se Zeit nach Mer­kel ein­tre­ten muss­te. Dass die Erfolgs­fak­to­ren, die mit Mer­kel fest ver­bun­den sind – also Bedacht­heit, Ver­trau­en, Sta­bi­li­tät – nicht ein­fach auf das Fol­ge­per­so­nal über­ge­hen würden.

Doch die CDU hat­te kei­nen neu­en Dri­ve. Sie hat­te nur Euro­pa und einen Spit­zen­kan­di­da­ten. Das reicht nicht mehr.

Erkennt­nis 3: Das Bild gewinnt

Die Grü­nen sind nicht gewählt wor­den, weil sie als ein­zi­ge das The­ma Kli­ma­wan­del erken­nen wür­den. Sie sind auch nicht des­halb gewählt wor­den, weil sie die bes­ten Rezep­te dage­gen hät­ten. Sie sind gewählt wor­den, weil sie das The­ma am glaub­wür­digs­ten vertreten.

Den Grü­nen nimmt man ab, dass sie mit jeder Faser ihres poli­ti­schen Daseins für die­ses Ziel ein­tre­ten wol­len. Und mehr noch, man ver­bin­det mit ihnen ein voll­stän­di­ges gesell­schaft­li­ches Bild, das dem Ziel gerecht wird und wei­te­re Bil­der qua­si mit­lie­fert: Stra­ßen mit weni­ger Autos, gesun­de Luft, kräf­ti­ge Laub­wäl­der, schö­ne Stoff­ta­schen, glück­li­che Kühe. Es sind durch­weg attrak­ti­ve, sau­be­re, roman­ti­sche Asso­zia­tio­nen, die mit den Grü­nen ver­bun­den wer­den. Bil­der, mit denen man sich gern identifiziert.

Sol­che Bil­der hat­ten frü­her auch CDU und SPD mal parat. Die CDU hat­te das Bild vom Wohl­stand, von der glück­li­chen Fami­lie, dem beruf­li­chen Erfolg, beque­mer Infra­struk­tur und freund­li­chen Poli­zis­ten, die das alles absi­chern. Die SPD konn­te auf die gerech­te Gesell­schaft set­zen, den Arbei­ter, dem man Macht und Mit­spra­che gab, den sozia­len Ein­rich­tun­gen von Kran­ken­häu­sern bis Jugend­zen­tren, in denen man sich der küm­mern­den Kom­mu­ne anver­trau­en konnte.

Nun haben die­se Bil­der wei­ter­hin ihre Berech­ti­gung, aber sind sie doch in der Prio­riä­ten­lis­te der Gestal­tungs­wün­sche weit nach unten gerutscht. Fami­liä­res Glück und sozia­le Infra­struk­tur sind, trotz aller Wid­rig­kei­ten, breit vor­han­den und für jeder­mann sicht­bar. Was CDU und SPD lie­fern, sind kei­ne Visio­nen, es sind Strukturbeschreibungen.

Doch es ist nicht nur die zeit­ge­mä­ße­re Visi­on. Was die Grü­nen zu ihren star­ken Bil­dern noch dazu lie­fern, ist ein nahe­zu unschlag­ba­res Über­zeu­gungs­ele­ment: Freu­de. Sie ver­tre­ten ihr Ziel mit jugend­li­cher Dyna­mik, mit sicht­ba­ren, demons­trie­ren­den, hüp­fen­den und sin­gen­den Mas­sen im Rücken, mit viel­fäl­ti­gen Köp­fen und Per­sön­lich­kei­ten in der inner­par­tei­li­chen und außer­par­la­men­ta­ri­schen Dar­stel­lung. Alle wol­len sie ver­än­dern. Sie stre­ben etwas an. Es ist viel Bewe­gung in die­sem unge­fähr­li­chen, freund­li­chen, roman­ti­schen Bild.

Die Bil­der der Grü­nen sind durch die­se Ele­men­te so stark, dass sie alles über­strah­len, vor allem ihre Schwä­chen: So ist die Pro­gram­ma­tik der Par­tei ja kei­nes­wegs inte­gra­tiv. Sie ist fest­ge­legt auf bestimm­te Gesell­schafts­schich­ten; auf Merk­ma­le, die eher auf der Son­nen­sei­te des Lebens zu fin­den sind. Auf jun­ge, gesun­de Men­schen zum Bei­spiel, die auch mit dem Fahr­rad mobil sein kön­nen. Die gebrech­li­che Oma, die für ihren Ein­kauf das Auto braucht, mag respek­tiert wer­den – aber im Zen­trum der Pro­gram­ma­tik steht sie nicht.

Dazu kommt eine kom­plett urba­ne Aus­rich­tung. In der Stadt lässt sich leicht sharen, ohne Auto und mit weni­ger Strom aus­kom­men. Auf dem Land ist die­ser Lebens­stil kei­ne Opti­on. Die Grü­nen haben auch gar kei­nen Bezug zur Gesell­schaft außer­halb von Groß­städ­ten. Vom Osten gar nicht zu reden. Und so frisch die Grü­nen nach außen wir­ken, so behä­big und abwar­tend ist doch stets ihre tat­säch­li­che Hal­tung: Fort­schritt und Neue­rung sind für sie Gefahr. Eine typi­sche grü­ne Ant­wort ist die Skep­sis. Ein Grund­ge­fühl die Angst.

Und was ist mit der sozia­len Gerech­tig­keit? Ich emp­fand es als einen Kern­feh­ler in der Argu­men­ta­ti­on von Rezos Pran­ger­vi­deo, der CDU Poli­tik gegen die Armen und eine Ver­zö­ge­rung von Kli­ma­po­li­tik gleich­zei­tig vor­zu­wer­fen. Tat­säch­lich wird jeg­li­che Ver­zö­ge­rung, wenn man sie denn der CDU vor­wer­fen kann, doch gera­de mit der Ver­mei­dung von sozia­len Unge­rech­tig­kei­ten begrün­det! Die­sen Kon­flikt ein­fach aus­zu­blen­den, ist dage­gen ein Meis­ter­werk der Grü­nen — und wird so lan­ge Bestand haben, wie sie in der Oppo­si­ti­on sind.

Wunsch 1: Wie­der­holt nicht den Feh­ler der SPD!

Die Grü­nen machen also wahn­sin­nig viel rich­tig; von der beein­dru­cken­den Geschlos­sen­heit, die sie zusätz­lich noch an den Tag legen (also eigent­lich das Gegen­teil von der Leben­dig­keit, die sich alle immer wün­schen, dann aber bei Wah­len nie­mals beloh­nen), ganz zu schweigen.

Doch wie gezeigt, sind die Grü­nen eben auch alles ande­re als per­fekt! Wenn das nicht schon Grund genug wäre, sie nicht ein­fach zu kopie­ren, spä­tes­tens das schlech­te Bei­spiel, das die SPD dabei abgibt, wäre es.

Sie ver­sucht doch schließ­lich schon seit einem Jahr­zehnt, eine ähn­li­che Wir­kung zu ent­fal­ten, wie die Grü­nen es tun. Regel­mä­ßig über­streicht sie sich mit Urba­ni­tät, sowohl in den Inhal­ten, als auch in der Dar­stel­lung. Und hat dabei ihren unver­zicht­ba­ren Unter­bau, die hart arbei­ten­de Bevöl­ke­rung, die weder Bohè­me-Gefüh­le noch höhe­re Abschlüs­se vor­wei­sen kann, unter die Avo­ca­do­schor­le gekehrt. Ergeb­nis ist ein unkennt­li­cher Misch­masch aus Kreuz­ber­ger Avant­gar­de und Grund­ren­te, bei dem nie­mand mehr weiß, was tak­tisch und was ehr­lich gemeint ist.

Nicht nur soll­te die CDU die­sen Weg auf­grund die­ser Erfah­rung nicht gehen – es ist für sie auch schlicht kei­ne not­wen­di­ge Opti­on. Wäh­rend für die SPD der eige­ne Abstieg auch Fol­ge des über die Jahr­zehn­te Erreich­ten — Mit­be­stim­mung, Arbeits­zeit, Tarif­au­to­no­mie, you name it —, und der damit ver­bun­de­nen, not­wen­di­gen Fin­dung neu­er The­men war, ist die poli­ti­sche Aus­rich­tung der CDU doch viel zeit­lo­ser. Ihr geht es um west­li­che Wer­te, Wohl­stand, Sicher­heit und den Vor­rang des Indi­vi­du­ums vor dem Staat. Kei­nes die­ser The­men ist abzu­ha­ken und kei­nes davon ist eines der Grü­nen. Die­ser inhalt­li­che Unter­bau ist poten­zi­ell ganz und gar CDU und wei­ter­hin attrak­tiv für brei­te Wäh­ler­schich­ten. Wenn man es denn rich­tig macht.

Wunsch 2: Begeis­tert mich. Begeis­tert Euch!

Das ist also die gute Nach­richt: Die CDU hat alles in der Hand. Die Schlech­te: Sie scheint es nicht zu wissen.

Zur glaub­wür­di­gen Außen­dar­stel­lung einer poli­ti­schen Kraft gehört der unbe­ding­te Wil­le zur Gestal­tung. Die CDU hat ihre inhalt­li­che Pro­gram­ma­tik dage­gen auf ein per­ma­nen­tes Ja, aber redu­ziert. Wirt­schaft ent­las­ten? Ja, aber nicht zu viel weil zu teu­er. Kli­ma­schutz? Ja, aber vor­sich­tig. Digi­tal­po­li­tik? Ja, aber zu viel Frei­heit nun auch nicht.

Nicht falsch ver­ste­hen: Vie­le der Posi­tio­nen, die im „aber“ ste­hen, sind red­lich. Der Steu­er­sen­kung für die Wirt­schaft kann man die Nach­hal­tig­keit aus­ge­gli­che­ner Haus­hal­te ent­ge­gen­hal­ten, dem Kli­ma­schutz den not­wen­di­gen Zeit­be­darf für wis­sen­schaft­li­che (ja, echt!) Erkennt­nis­se ob des kor­rek­ten Wegs – z.B. bezüg­lich Bat­te­rie- und Was­ser­stoff­spei­che­rung. Und natür­lich die sozia­le Ausgewogenheit.

Die Sache mit dem Ja, aber ist: Sobald die CDU beim „aber“ ist, ist sie die Abwehr. Dann ist sie Ver­hin­de­rin statt Ermög­li­che­rin. Miss­mu­tig statt opti­mis­tisch. Eine Mau­er statt des Hori­zonts. Doch Poli­tik muss Tore öff­nen, statt sie zu schlie­ßen. Das ist ihre zen­tra­le Auf­ga­be. Das ist es, was die Grü­nen mit ihren Bil­dern rich­tig machen und die CDU falsch.

Die CDU hat alle pro­gram­ma­ti­schen Mög­lich­kei­ten, eine opti­mis­ti­sche, zukunfts­freu­di­ge Poli­tik zu ver­tre­ten. Doch muss sie eben­die­se Freu­de auch aus­strah­len. Statt dem Nein ein Ja: Zur Wis­sen­schaft, zu den revo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lun­gen die­ser Zeit, zu Kli­ma­po­li­tik, die auf tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt statt auf Ver­zicht setzt, zu Markt­me­cha­nis­men, die das Indi­vi­du­um per se mehr respek­tie­ren als es die zen­tra­le Richt­li­nie tut. Ja zur Glo­ba­li­sie­rung und den damit ver­bun­de­nen Chan­cen für kul­tu­rel­len und krea­ti­ven Aus­tausch. Ja zu uni­ver­sel­len Men­schen­rech­ten über­all auf der Welt.

Nicht der mah­nen­de Fin­ger ver­än­dert die Welt, son­dern die Vor­stel­lung davon, wie sie bes­ser sein soll­te. Lie­be CDU-Spit­ze: Bit­te habt end­lich einen Poli­tik­ent­wurf und begeis­tert mich von ihm! Der ers­te Schritt dahin ist ein wirk­lich schö­ner: Begeis­tert euch selbst.

Wunsch 3: Ihr braucht jetzt kein Tik­Tok, Ihr braucht Lie­be zum Netz

Der Gedan­ke, das Netz wäre eine Jugend­er­schei­nung, macht mich kir­re. Ich war 17, als ich das Inter­net ken­nen­lern­te und seit­dem sel­ten aus den Augen ver­lor. Jetzt! bin! ich! 40! Ob man im Jahr 2019 in Deutsch­land die Wel­ten des Inter­nets kennt, schätzt, hasst und/oder dar­in lebt, ist kei­ne Fra­ge der Geburts­ur­kun­de, son­dern aus­schließ­lich per­sön­li­cher Präferenzen.

Vie­le von uns, die wir zu viel Zeit bei Twit­ter, Insta­gram oder ande­ren bit­ba­sier­ten Zeit­fres­sern ver­brin­gen, wer­fen den­je­ni­gen, die es nicht tun, man­geln­de Sym­pa­thie zum Netz vor. Das mag unred­lich klin­gen, denn Lie­be kann man ja eigent­lich nicht erzwingen.

Doch was man den netz­fer­nen Gestal­ten in der Poli­tik eben min­des­tens vor­wer­fen kann, ist der Man­gel an Neu­gier­de. Wer es sich außer­halb der Poli­tik in heu­ti­ger Zeit tat­säch­lich noch erlaubt, kein Inter­es­se am Gesche­hen im Inter­net zu haben, hat alles Recht dazu. Poli­tisch täti­ge Men­schen müs­sen sich dage­gen schon fra­gen las­sen, ob sie dann den rich­ti­gen Beruf gewählt haben.

Denn wer Poli­tik macht, muss neu­gie­rig sein auf Mei­nungs­aus­tausch, Argu­men­te und Ideen. Nir­gend­wo wird dies schnel­ler, zahl­rei­cher und (trotz aller Über- und Unter­re­prä­sen­ta­tio­nen) viel­fäl­ti­ger ange­bo­ten als im Netz. Wer den Dis­kurs im Netz, sei­ne Eigen­hei­ten und Instru­men­te igno­riert, zeigt kein Inter­es­se an dem, wor­um es dort am Ende immer geht: den Menschen.

Das ist der Grund, war­um es heut­zu­ta­ge zur Grund­leis­tung einer Par­tei mit Gestal­tungs­an­spruch gehö­ren muss, die­sen Respekt vor dem Gesche­hen im Netz glaub­wür­dig aus­zu­strah­len. Auf Respekt folgt näm­lich zwangs­läu­fig Neu­gier­de. Aus Neu­gier­de darf Ver­ste­hen wer­den. Und auf Ver­ste­hen darf dann (!) gern eines von bei­dem fol­gen: Lie­be oder Hass.

Die CDU darf also selbst­ver­ständ­lich als Volks­par­tei auch jede Men­ge Inter­net­has­ser unter sich haben. (Solan­ge die dann ihre Abnei­gung auch begrün­den kön­nen!) Doch gleich­zei­tig muss sie, wenn sie Volks­par­tei sein will, auf allen Ebe­nen auch die­je­ni­gen reprä­sen­tie­ren, die das Inter­net leben und lie­ben. Der Dis­kurs zwi­schen bei­den darf sich abbil­den. Es darf ein Dis­kurs zwi­schen Hassern und Lie­bern sein. Doch darf es eben kein Dis­kurs zwi­schen Unkennt­nis und Kennt­nis sein! Und genau da ste­cken wir fest.

In der Dis­kus­si­on um Netz­sper­ren, Arti­kel 13/17, Rezo, dem Kom­plett­ver­sa­gen bei der Beant­wor­tung von Rezo, dem gene­rel­len Umgang mit video­ba­sier­ter ver­öf­fent­lich­ter Mei­nung außer­halb von eta­blier­ten Medi­en und nicht zuletzt den jüngs­ten Gedan­ken­spie­len um Regu­lie­rung die­ser Medi­en­an­ge­bo­te, hat die CDU kei­ne Lie­be zum Netz bewie­sen. Sie hat nicht ein­mal begrün­de­te Abnei­gung bewiesen.

Alles, was sie bewie­sen hat, war eben man­geln­de Kennt­nis, man­geln­des Inter­es­se und: man­geln­den Respekt.

Das Ärger­li­che dabei: die­se Wir­kung bil­det die CDU gar nicht ange­mes­sen ab. In ihrer Brei­te ist ihre Mit­glie­der­struk­tur min­des­tens so tech­no­lo­gie­freund­lich und netzer­le­bend wie die der ande­ren Par­tei­en. Schließ­lich bil­det sie als ein­zi­ge ver­blie­be­ne Volks­par­tei ja auch tat­säch­lich alle Gesell­schafts­schich­ten ab.

Doch aus­ge­rech­net im Netz­be­reich hat das kei­nen Effekt auf die Spit­ze. Es wäre Hen­ne und Ei, dies aus­schließ­lich mit man­geln­der Reprä­sen­ta­ti­on der netz­po­li­tisch Inter­es­sier­ten an der Par­tei­spit­ze zu erklä­ren. Ursa­chen hin oder her: Es muss sich ändern.

Und auch hier soll­te die CDU nicht auf schnel­le Rat­schlä­ge hören. Das Pro­blem löst sie auf kei­nen Fall dadurch, wei­te­re Per­so­nal­res­sour­cen für Netz­ka­nä­le bereit­zu­stel­len und Accounts zu eröffnen.

Denn man­geln­der Respekt bleibt man­geln­der Respekt, auch wenn er bei You­tube, Insta­gram und Snap­chat bes­ser aus­ge­leuch­tet wird. Der CDU(-Führung) fehlt nicht die Prä­senz im Medi­um, ihr fehlt die Lie­be zum Medium.

Für das Inter­net gilt des­halb das­sel­be, was für Kli­ma, Wis­sen­schaft, Wohl­stand und sozia­le Gerech­tig­keit gilt: Eine Par­tei mit nega­ti­ven Poli­tik­an­sät­zen hat einem gestal­tungs­freund­li­chen Bild nichts ent­ge­gen­zu­set­zen. Die CDU muss sich wan­deln, nicht nur in der Außen­dar­stel­lung, son­dern auch im inne­ren Selbst­ver­ständ­nis. Nur dann kann der Sprung gelin­gen. Und es wird Zeit dafür: das Was­ser wird halt wärmer.

 

Oli­ver Fraederich

hat sein Leben früh der Poli­tik gewid­met und ver­ant­wor­te­te zunächst ab 2003 als jüngs­tes Mit­glied der Lübe­cker Bür­ger­schaft gro­ße Tei­le der Kul­tur­po­li­tik der Han­se­stadt. 2013 zog es ihn dann als Büro­lei­ter der For­schungs­po­li­ti­ke­rin Alex­an­dra Din­ges-Die­rig zum Bun­des­tag nach Ber­lin. Seit 2017 lei­tet der Wirt­schafts­ju­rist das Bun­des­tags­bü­ro der Pati­en­ten­be­auf­trag­ten der Bun­des­re­gie­rung Prof. Dr. Clau­dia Schmidt­ke und bear­bei­tet dort vor allem die Digitalthemen.