„Ein Teil von mir ist in Afghanistan geblieben“
- Civis
- 17. März
- 5 Min. Lesezeit
von Anja Seiffert

Wie der internationale Afghanistan-Einsatz 2021 zu Ende ging, war für Afghanistan-Veteranen schockierend. Viele haben im Einsatz schwerwiegende Erfahrungen gemacht, die sie geprägt und verändert haben. Die aktuelle Aufarbeitung des Einsatzes durch den Bundestag ist für die- se daher keine Nebensache. Sie erwarten zu Recht ehrliches und konsequentes Lernen der Politik, so Anja Seiffert, die sich am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt hat.
Kein Einsatz hat Bundeswehr und Soldaten mehr gefordert als der Afghanistan-Einsatz von 2001 bis 2021. Soldaten der Bundeswehr haben dort Elend und Zerstörung erlebt, sind mit Tod und Verwun- dung konfrontiert worden und haben zum Teil selbst in Gefechten gestanden und getötet. In Aus- landseinsätzen seit 1992 sind 116 Bundeswehr-Sol- daten ums Leben gekommen, mehr als jeder zweite (59) davon in Afghanistan. In Kampfhandlungen ge- fallen sind 37 von ihnen. Allein im Afghanistan-Ein- satz fielen 35 deutsche Soldaten. Solche einschneidenden Erlebnisse lassen sich auch noch lange nach dem Einsatz für Soldatinnen und Soldaten nicht einfach vergessen.
Sie müssen verarbei- tet werden. Das ist keine leichte Angelegenheit, wie unsere Forschungen zum 22. deutschen Kontingent ISAF zeigen, welches sich 2010 in einer hochriskanten Phase in Afghanistan befand. Anschläge, Hinterhalte und Gefechte prägten damals die Einsatzrealität. Am Ende berichtete dann auch mehr als die Hälfte des Kontingents, unter feindlichem Beschuss gestanden zu haben. Fast ebenso viele haben den Tod von Kame- raden miterlebt, etwa ein Fünftel hat zudem in Ge- fechten offensiv gegen Aufständische gekämpft. Diese Erfahrungen schweißten die Einheiten zusammen und sie prägten die Soldatinnen und Soldaten nachhaltig.
Erfahrungsverarbeitung In der langfristigen Perspektive kamen sie mit den Beanspruchungen des Einsatzes überwiegend gut zurecht. Dennoch ist der Einsatz nicht einfach spurlos an ihnen vorübergegangen. Persönliche Verän- derungen nach dem Einsatz stellten für das Kon- tingent nicht eine Ausnahme, sondern die Regel dar. Die Veränderungen fielen jedoch höchst unter- schiedlich aus. In der Mehrzahl berichteten die Sol- datinnen und Soldaten von positiven Effekten für die eigene Person, etwa davon, dass der Einsatz sie selbstbewusster gemacht habe, dass sie ihr Leben heute mehr zu schätzen wüssten, oder dass sie sich für psychisch belastbarer hielten. Die persönliche Stärkung war aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite litt etwa jeder Zehnte des Kontingents an bleibenden seelischen oder kör- perlichen Verwundungen. Für sie und ihr Umfeld veränderte sich das Leben meist von Grund auf.
Viele waren gezwungen, neue Lebensperspektiven zu entwickeln und brauchten dafür nicht selten lange Unterstützung. Einsatzprägungen Den Einsatz auf negative Folgen begrenzen zu wol- len, geht dennoch an der Lebensrealität vieler Afgha- nistan-Veteranen vorbei. Zu tief sind andere Lebens- bereiche berührt. Das kann extrem belastend, aber auch bereichernd sein. Vor allem vollzieht sich die Verarbeitung nicht nur als innere Selbstbefragung, sondern auch als soziale Vergewisserung. Aus der Generationenforschung wissen wir, dass durch ge- meinsame Erfahrungen Gemeinschaft konstituiert wird. Basierend auf den Erfahrungen des Afghanistan-Einsatzes haben sich so eigene soziokulturelle Praktiken, Verhaltensweisen und Einsatzidentitä- ten für die Bundeswehr herausgebildet, die sich persönlich nicht einfach abstreifen lassen. Zwischen individueller und gesellschaftlicher Aufarbeitung Diese Erlebnisse brauchen eine Verankerung im Leben, auch zur Aufrechterhaltung von Integrität und Identität. In unserer Gesellschaft treffen sie aber weder auf einen ausgeprägten kulturellen noch auf einen starken politischen Resonanzboden. Schon die Konfrontation mit Sterben, Trauer und Tod macht viele Menschen in unserer Gesellschaft sprach- und hilflos.
Der gewaltsame Tod von Soldaten oder das Töten des Gegners in fernen Einsatz- ländern stößt bei uns auf Befremden – trotz hoher Anteilnahme am Schicksal psychisch Verwundeter. Das lässt sich schon an der in unserer Gesellschaft weit verbreiteten Sprach- und Begriffslosigkeit ab- lesen, wenn es um die öffentliche Erinnerung an die Einsatztoten der Bundeswehr geht. Auch den meisten Soldatinnen und Soldaten war bewusst, dass sich in unserer Gesellschaft viele ge- rade mit Kampfeinsätzen nicht leicht tun. Soziale Anerkennung und Unterstützung sind aber wich- tige Faktoren für eine gelingende Verarbeitung. Wer etwa auf ein unterstützendes und wohlwollen- des soziales Umfeld zurückgreifen konnte, war bes- ser in der Lage, die schwerwiegenden Erlebnisse und Folgen zu bewältigen.
In der Heimat treffen Afghanistan-Veteranen häu- fig auf Mitmenschen, die mit ihren Erfahrungen nur wenig anzufangen wissen. Das kann die Sprachlosig- keit im Verhältnis von Afghanistan-Veteranen und Gesellschaft vergrößern und dazu beitragen, dass sich diese aufgrund ihrer militärischen Gewalterfah- rungen in der Gesellschaft marginalisiert fühlen. Antworten auf Fragen wie die, ob sich Politik und Bevölkerung für die Erfahrungen von Afghanis- tan-Veteranen interessieren, sind keinesfalls nur von psychologischem Interesse, sondern haben politische und gesamtgesellschaftliche Relevanz.
Aufarbeitung ist in diesem Sinne zu verstehen als Bereitschaft, sich auf verschiedenen Ebenen sowohl politisch als auch sozial mit dem Einsatz und dessen Folgen auseinanderzusetzen. Abgrenzung versus Anerkennung Das Bedürfnis nach Orientierung hat daher nicht nur im Einsatz bestanden, sondern verstärkt sich oft in der Zeit danach. Wer in gefährlichen Einsät- zen mit Mandat des Parlaments sein Leben riskiert, wünscht sich Anerkennung von Politik und Gesellschaft, deren Werte und Interessen er in Afghanistan zu vertreten hatte. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die politische Aufarbei- tung des Einsatzes für Afghanistan-Veteranen einen wesentlichen Stellenwert hat. Allerdings sehen sie dafür keinen angemessenen Rückhalt.
Die meisten waren davon überzeugt, dass weder Politik noch Gesellschaft in ausreichendem Maße hinter dem Einsatz in Afghanistan stünden. Das kann durch- aus zu Resignation und Rückzug beitragen. Die Bindung des soldatischen Selbstverständnisses an gesellschaftliche Entwicklungen gehört zum Kern- bestand der Inneren Führung. Auch für die große Mehrzahl der von uns befragten Afghanistan-Ve- teranen war der Rückbezug auf die Interessen und Werte der Gesellschaft keine Nebensache, sondern bildete gewissermaßen den Motivations- und Iden- titätskern ihres Selbstverständnisses. Viele hatten die Auslandseinsätze längst positiv in ihr solda- tisches Selbstbild integriert. Das zeigte sich auch an einer hohen Einsatzmotivation. Mehrheitlich waren sie bereit, freiwillig erneut in einen Einsatz wie Afghanistan zu gehen – trotz schwerwiegender Erlebnisse.
Wie Politik und Gesellschaft den Afghanistan-Einsatz und dessen Folgen heute aber be- werten, lässt sich gar nicht so einfach sagen. Nicht ganz zu Unrecht könnte man daher meinen, dass die politische Dimension der Inneren Führung weniger ‚von unten‘ durch die Afghanistan-Veteranen, son- dern mehr ‚von oben‘ durch Politik und Gesellschaft unter Druck gerät. Wer dahinter also ein bloß formales Akzeptanzproblem vermutet, verfehlt, worum es wirklich geht: um eine Antwort auf die politisch und gesellschaft- lich für Afghanistan-Veteranen so wichtigen Fragen nach dem Sinn des Einsatzes und dessen Folgen, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Schon deshalb braucht es eine offene und ehrliche Aufarbeitung des Einsatzes – zur Einordnung und Bewertung der Erfahrungen. Das ist Maßgabe an Politik und Gesellschaft.
Dr. Anja Seiffert ist Fraktionsreferentin von Bündnis 90/Die Grünen für die Enquete des Bundestages „Lehren aus Afghanistan“; zuvor war sie Projektbereichsleiterin „Sozialwissenschaftliche Einsatzbegleitung und Einsatzdokumentation“ am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundes- wehr in Potsdam. Im Rahmen ihrer Feldforschungen war sie mehrfach in Auslandseinsätzen, auch in Afghanistan.
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