BMZ-Afrikastrategie
- Civis
- 17. März
- 4 Min. Lesezeit
von Mathias Mogge

Die zweite Chance nutzen!
In Afrika kaum wahrgenommen
Soziale Sicherung, Klimawandel, feministische Entwicklungspolitik – die neue Afrikastrategie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) befasst sich unter dem Titel „Gemeinsam mit Afrika Zukunft gestalten“ mit vielen Themen, die für den Kontinent und auch darüber hinaus Bedeutung haben. Gleichwohl wird die Strategie dort in Medien und Politik kaum wahrgenommen, denn: Von der Intention, „Gemeinsam mit Afrika“ Zukunft gestalten zu wollen, ist im Strategieerarbeitungsprozess viel zu wenig umgesetzt worden. Die Konsultationen zur Strategie ließen in ihrer Struktur, Tiefe und beim Kreis der Einbezogenen (gerade aus Afrika) noch viel Raum für Verbesserung.
Im Mai fand nun der 6. BMZ Gesprächskreis Afrika statt. Dort wurde erstmals die Umsetzung in den Blick genommen und der Austausch, insbesondere mit Vertreterinnen und Vertretern der afrikanischen Zivilgesellschaft, ausgeweitet. Dieser überfällige Ansatz bedarf jedoch bereits, so unser Eindruck aus dem Treffen, einer erneuten Konzeptanpassung, um künftig eine echte Diskussion „gemeinsam mit Afrika“ zu ermöglichen.
Kontinent der Herausforderungen
Doch nicht nur beim Prozess gibt es Nachholbedarf. Das wichtige Themenfeld der Ernährungssicherung und des Menschenrechts auf Nahrung wurde aus unserer Sicht zu wenig berücksichtigt. Auch der Anstieg des Hungers und der Unterernährung weltweit – insbesondere in Afrika – kommt in der Afrikastrategie zu kurz. Das ist bedauerlich, da die BMZ-Kernthemenstrategie „Leben ohne Hunger“ bereits gute strategische Ansätze beinhaltet. Wir hätten uns hier mehr Fokus auf den ländlichen Raum und die Landwirtschaft sowie mehr Aufmerksamkeit für die Transformation der Ernährungssysteme gewünscht.
Wie wichtig das ist, zeigt der jährlich gemeinsam von terre des hommes und der Welthungerhilfe veröffentlichte Kompass zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik. Die aktuell im Juni erschienene Ausgabe unterstreicht den Druck, unter dem der ländliche Raum Afrikas bei der Transformation der Ernährungssysteme steht.
Der afrikanische Agrarsektor ist mit seiner Pro-Kopf-Produktion mit weitem Abstand noch immer das Schlusslicht im Vergleich zu allen anderen Regionen der Welt. Die landwirtschaftliche Produktivität von Frauen liegt, wegen geschlechterspezifischer Unterschiede in der (Aus-)Bildung und beim Zugang zu Ressourcen, insbesondere zu Technologie, auf vergleichbaren Flächen ganze 24 Prozent unter der von Männern – was diesen Bereich zu einem Schlüssel für mehr Produktivität macht. Darüber hinaus arbeiten laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Ländern mit geringem Einkommen rund 60 Prozent aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, und der Anteil der Erwerbstätigen im informellen Sektor liegt bei 90 Prozent. Im ländlichen Raum sind die Anteile sogar noch höher.
Hinzu kommen die immer stärker spürbaren Folgen des Klimawandels, unter anderem durch Dürren einerseits und zerstörerische Überschwemmungen andererseits. Am Horn von Afrika erleiden die Menschen und mit ihnen die Landwirtschaft bereits die fünfte Regenzeit in Folge, in der kaum oder gar kein Regen fällt. Als Folge sind in manchen Gegenden bis zu 70 Prozent der Viehbestände verendet. Überdurchschnittliche Regenfälle im März 2023 haben nicht die ersehnte Besserung gebracht, sondern noch mehr Unheil – Sturzfluten zerstörten Häuser und töteten zusätzlich Teile des noch verbliebenen Viehbestands.
Zudem wandelt sich die Bevölkerungsverteilung stark: UN-Berechnungen zufolge ist zwischen 2020 und 2050 eine Zunahme der urbanen Bevölkerung in Subsahara-Afrika um 280 Prozent zu erwarten, während die Landbevölkerung nur um 40 Prozent wachsen wird. Bereits ab 2035 wird der ländliche Raum damit in der Minderheit sein. Dieser Umbruch muss bei der Transformation der Ernährungssysteme zusätzlich berücksichtigt werden.
Im Kern bedeutet dies: Eine kaum sozial abgesicherte Landbevölkerung muss unter immer extremeren klimatischen Bedingungen für immer mehr Menschen, gerade in den Städten, Lebensmittel produzieren. Nur so kann die Ernährungssicherheit aller verbessert, die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten verringert und damit die fatalen Auswirkungen externer Preisschocks vermieden werden – wie zuletzt durch die COVID-19-Pandemie und die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ausgelöst.
Vor diesem Hintergrund wirkt die starke Fokussierung der BMZ-Afrikastrategie auf den urbanen Raum sowie die Verortung von Zukunftssektoren, die einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten können, hauptsächlich in den Städten, zu einseitig. Die sicher notwendigen Entwicklungspotenziale von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), erneuerbaren Energien, Kultur- und Kreativwirtschaft und dem Start-up-Sektor müssen auch für den ländlichen Raum gelten und entsprechend angepasst werden, damit sie ihre Wirkung entfalten können.
Ähnliches gilt für die Maßnahmen im Kapitel „Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, Beschäftigung und Wohlstand“, insbesondere im Unterkapitel „Just Transition“ der Afrikastrategie. So notwendig diese Maßnahmen sind, dürfen die entsprechenden Förderprogramme die Kluft zwischen Stadt und Land nicht noch größer werden lassen.
Die Schwächsten nicht allein lassen
In der Vergangenheit hat sich zu oft gezeigt, dass ehrgeizige Ziele und Strategien in der Umsetzung weit verfehlt wurden. Ein Beispiel ist das Ziel, mindestens 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Entwicklungsmittel in die Least Developed Countries (LDCs), also jene mit dem geringsten Einkommen, zu investieren. Von den insgesamt 46 als LDCs geltenden Ländern liegen immerhin 33 auf dem afrikanischen Kontinent – über 70 Prozent also. Der tatsächliche Anteil an den Entwicklungsmitteln liegt seit vielen Jahren jedoch nahezu unverändert bei 0,13 Prozent. Auch wenn dieses Geld nicht allein die Entwicklung der LDCs vorantreiben kann, so ist es doch eine wichtige Voraussetzung, um den Teufelskreis aus Armut, Vulnerabilität und Instabilität zu durchbrechen – und ein politisches Signal, wie sehr sich die Bundesregierung an entwicklungspolitische Ziele gebunden sieht.
Neben der schwachen Wirtschaftskraft, dem niedrigen Pro-Kopf-Einkommen und der starken Abhängigkeit der Wirtschaft von der Landwirtschaft weisen LDCs unter anderem eine schlechte Ernährungs- und Gesundheitssituation sowie eine niedrige Alphabetisierungsrate auf.
Es ist also wichtig, dass die Ambitionen der Afrikastrategie nicht durch unzureichende Entwicklungsfinanzierung für LDCs konterkariert werden.
Diese Ausführungen mögen nun wie eine Fundamentalkritik an der neuen Afrikastrategie wirken. Dabei sind viele Ansätze, die in Kombination mit der Kernthemenstrategie „Leben ohne Hunger“ auf die Ernährungssicherung und die Stärkung des ländlichen Raums zielen, durchaus zu begrüßen. Wie so oft wird es auf die Umsetzung ankommen.
Mathias Mogge
ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender und Generalsekretär der Welthungerhilfe. Für die Organisation ist er bereits seit 1998 in verschiedenen Funktionen tätig, darunter als Regionaldirektor Westafrika und Programm Manager für die Projektarbeit in Uganda, Äthiopien und im Sudan.
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