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Am Scheideweg?

  • Autorenbild: Civis
    Civis
  • 17. März
  • 4 Min. Lesezeit


von Markus Reichel


Das deutsch-polnische Verhältnis



Schwerste Krise seit 30 Jahren


Deutschland und Polen: Das ist eine Geschichte von zwei Nachbarstaaten, die geprägt ist von wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Verflechtungen. Neben einem friedlichen Miteinander gab es in dieser Geschichte viele Höhen und Tiefen, nicht zuletzt durch die deutschen Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkrieges. Wo stehen wir heute? Und was können wir tun, um der gemeinsamen Geschichte ein neues Erfolgskapitel hinzuzufügen?


Leider hat das Scheitern der deutschen und europäischen Russland-, Ukraine- sowie Energiepolitik trotz der Warnungen unserer polnischen Nachbarn sowie anderer östlicher Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) dazu geführt, dass Deutschland einen massiven Imageschaden in Polen erlitten hat. Der schwerwiegende Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust aufgrund der missachteten polnischen Warnungen vor einem potenziellen Wiedererstarken eines von Präsident Wladimir Putin vorangetriebenen russischen Imperialismus sowie vor einseitiger Abhängigkeit von russischen Energielieferungen hat das Verhältnis Deutschlands zu Polen in die schwerste Krise seit der Wiedervereinigung gestürzt.


Dennoch können seit dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 bestimmte gemeinsame Linien gesehen werden. Dies zeigt sich vor allem in den enormen wirtschaftlichen Verschränkungen der beiden Länder. So wächst der Handel zwischen Deutschland und Polen zweistellig, unbeeindruckt von Energiekrise und russischem Angriffskrieg auf die Ukraine. Noch nie war das bilaterale Handelsvolumen beider Länder so groß wie 2022. Während Deutschland den mit Abstand wichtigsten Handelspartner für Polen darstellt, ist Polen umgekehrt der fünftwichtigste Handelspartner für die Bundesrepublik. Deutsche Firmen gehören weiter zu den größten Auslandsinvestoren in Polen. Darüber hinaus gibt es seit Jahrzehnten ein hohes Maß an Zuwanderung von Polen nach Deutschland. Während 2011 noch knapp 470.000 Polen in Deutschland lebten, hat sich diese Zahl 2022 mit gut 880.000 fast verdoppelt. Dies wird auch durch eine hohe familiäre Verbundenheit von Polen nach Deutschland begünstigt.



Gemeinsame Linien erkennen


Im Kontext der aktuellen Regierung und vor dem Hintergrund der polnischen Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 passt Deutschland jedoch gut als Feindbild in den politischen Diskurs und wird entsprechend instrumentalisiert. Dennoch kann diese akute Situation nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Probleme im deutsch-polnischen Verhältnis gelöst werden müssen. Dabei hilft nicht, mit dem Finger auf die aktuelle polnische Regierung zu zeigen. Polen hat sich in den vergangenen 30 Jahren zu einem der bedeutendsten Länder Europas entwickelt, mit einer Schlüsselrolle für die künftigen Beziehungen zur Ukraine und zu Russland. Wir müssen Polen als Partner auf Augenhöhe begegnen und Abstand nehmen von aus der Zeit gefallenen paternalistischen Belehrungen. Außerdem muss Deutschland in der Lage sein, mit der künftigen polnischen Regierung einen konstruktiven Dialog zu führen – unabhängig von deren Zusammensetzung. Dies kann nur gelingen, wenn Deutschland die Zeichen auf Dialog setzt und mit freiwilligen Gesten deutlich macht, dass man das gemeinsame Verhältnis verbessern möchte. Natürlich befreit das die polnische Seite nicht von der Verantwortung, die völlig unangemessene Instrumentalisierung eines negativen deutschen Bildes zu beenden.


Daher stellt sich die Frage, wie wir das erreichen können.

1. Vertrauen wiederaufbauen:

Wir müssen das von polnischer Seite verlorene Vertrauen in die deutsche Ukraine-, Russland- und Energiepolitik wiederherstellen. Dies kann nur gelingen, wenn auf NATO- sowie EU-Ebene ein klarer Plan für die Ausgestaltung des europäischen Kontinents nach dem Ende des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine entsteht, der die Bedenken und die Wünsche der östlichen Staaten, insbesondere von Polen und den baltischen Staaten, ernst nimmt. Hierunter fällt auch die Tatsache, dass Deutschland innerhalb der NATO endlich das Zwei-Prozent-Ziel an Ausgaben seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung einhalten muss. Darüber hinaus wird Polen in der NATO sowie in der europäischen Sicherheitsarchitektur zukünftig eine deutlich gewichtigere Rolle als Frontstaat an der Grenze der NATO zu Russland einnehmen. Mit dem Beitritt Finnlands sowie dem absehbaren Beitritt Schwedens ist das Sicherheitsbündnis hier bereits einen entscheidenden Schritt weitergekommen. Doch auch die Beitrittsperspektive der Ukraine zur NATO und der EU muss geklärt werden. Ergänzend hierzu kann die Wiederbelebung und stärkere Institutionalisierung des Weimarer Dreiecks eine gute Möglichkeit sein, die französisch-deutsch-polnische Allianz in Zentraleuropa wiederherzustellen und zu stärken. Dieses trilaterale Gesprächs- und Kooperationsformat ist heute, über 30 Jahre nach seiner Gründung, von größerer Bedeutung denn je. Es dient dazu, dem politischen und zivilgesellschaftlichen Austausch neue Impulse zu geben und Europa geeinter und handlungsfähiger zu machen.

2. Bilaterale Zusammenarbeit fortführen:

Die bilaterale Zusammenarbeit mit Polen an Zukunftsprojekten in den Bereichen Wirtschaft, erneuerbare Energien sowie Verkehr muss fortgeführt und weiterentwickelt werden. Hier sind bereits große Erfolge, beispielsweise bei der Fertigstellung der Autobahnverbindungen Berlin–Warschau sowie Dresden–Breslau–Rzeszów, zu verzeichnen. Doch insbesondere im Bereich des Bahnausbaus in Richtung Polen ist noch viel zu tun, gerade auf deutscher Seite (wie etwa die Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden–Görlitz).

3. Zeichen setzen:

Deutschland muss Gesten und freiwillige Zeichen setzen, um seine Bereitschaft für gute, nachbarschaftliche Beziehungen mit Polen zu verdeutlichen. Insbesondere auf gesellschaftlicher Ebene kommt hierbei dem deutsch-polnischen Jugendwerk eine große Bedeutung zu. Darüber hinaus muss die Förderung der polnischen Herkunftssprache systematischer umgesetzt werden und beim Denkmal für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges in Berlin müssen die Versprechungen, die der Bundestag in der letzten Legislatur gab, eingehalten werden. Auch grenzüberschreitende Projekte, wie die Unterstützung der polnischen Regierung beim Wiederaufbau des sächsischen Palais in Warschau, könnten eine solche Geste sein.


Mittelfristig und als Vision wäre ein neuer deutsch-polnischer Freundschaftsvertrag, ein „Vertrag von Görlitz/Zgorzelec“ analog zum deutsch-französischen Vertrag von Aachen, ein wichtiges Ziel für die Weiterentwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen.



Dr. Markus Reichel (CDU)

ist seit Oktober 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Als direkt gewählter Abgeordneter vertritt er den Wahlkreis Dresden I. Er ist Mitglied im Ausschuss für Digitales sowie im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Zudem leitet er den Arbeitskreis „Zukunft der Arbeit“ und gehört der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe an. Er spricht fließend Polnisch.

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