Kein ande­rer Ort ver­sprüht so sehr inter­na­tio­na­les Flair wie das „Haus der Kul­tu­ren der Welt“ in Ber­lin. Dort traf sich die Redak­ti­on von „CIVIS mit Son­de“ mit CDU-Gene­ral­se­kre­tä­rin Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er. Ein Gespräch über ver­gan­ge­ne Migra­ti­ons­be­we­gun­gen, die libe­ra­le Welt­ord­nung und die Zukunft der CDU.

Inter­view: Erik Bert­ram & Chris­ti­ne Hegenbart
Foto­gra­fie: Ste­fen Lüdtke

CIVIS: Die­ses Jahr bege­hen wir den 400. Jah­res­tag des Beginns des 30-jäh­ri­gen Krie­ges. Es hat Jahr­zehn­te gedau­ert, Frie­den in Euro­pa zu fin­den. Was ist Ihrer Mei­nung nach heu­te übrig geblie­ben von die­ser Aus­ein­an­der­set­zung, die damals als Reli­gi­ons­krieg begann? Sehen Sie Ver­bin­dun­gen zur heu­ti­gen Zeit?

AKK: Die Erfah­rung aus dem 30-jäh­ri­gen Krieg ist, dass getrof­fe­ne Ver­ein­ba­run­gen nicht viel län­ger als eine Genera­ti­on gehal­ten haben. Die nach­fol­gen­den Genera­tio­nen wur­den also in den Kon­flikt hin­ein­ge­bo­ren. Das hat zu unsäg­li­chem Leid in ganz Euro­pa geführt. Auch mei­ne eige­ne Hei­mat­re­gi­on war am Ende des Krie­ges fast kom­plett ent­völ­kert. Gera­de in die­ser Zeit spiel­te die Migra­ti­on in Euro­pa eine wich­ti­ge Rol­le. Sie hat die Grund­la­ge dafür gelegt, dass sich die Bevöl­ke­rung — auch die des heu­ti­gen Saar­lan­des — wie­der erho­len konn­te. Inso­fern ist der Krieg auch in sei­ner gan­zen Schreck­lich­keit eines der zen­tra­len Ereig­nis­se gewe­sen, das Euro­pa zu dem gemacht hat, was es heu­te ist.

CIVIS: Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Her­fried Münk­ler zieht Par­al­le­len zwi­schen dem 30-jäh­ri­gen Krieg und der aktu­el­len Situa­ti­on im Nahen Osten. Die blu­ti­gen Kon­flik­te in die­ser Regi­on sind zum gro­ßen Teil dafür ver­ant­wort­lich, dass die Men­schen — auch in Deutsch­land — das Gefühl haben: “Die Welt ist aus den Fugen gera­ten”. Haben Deutsch­land und Euro­pa hier zu lan­ge weggesehen?

AKK: Ich bin bei his­to­ri­schen Par­al­le­len immer etwas vor­sich­tig. Fakt ist aber sicher, dass wir nicht nur in Syri­en, son­dern in der gesam­ten Regi­on eine schreck­li­che Aus­ein­an­der­set­zung erle­ben. Da han­delt es sich auch um einen Kon­flikt zwi­schen ver­schie­de­nen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, Sun­ni­ten und Schii­ten, sowie zwi­schen ihren jewei­li­gen Schutz­mäch­ten. Sol­che Kon­flik­te sind von Deutsch­land und Euro­pa gar nicht so weit ent­fernt. Geo­gra­fisch gese­hen spie­len sie sich prak­tisch vor unse­rer Haus­tür ab. Das führt in unse­rer Zeit der gren­zen­lo­sen Ver­net­zung dazu, dass sich Men­schen als Flücht­lin­ge auf den Weg zu uns machen. Mei­ner Mei­nung nach erwächst dar­aus die Erkennt­nis, dass wir Innen- und Außen­po­li­tik nicht län­ger tren­nen kön­nen, wie wir das die letz­ten Jahr­zehn­te gewohnt waren. Es liegt also im urei­ge­nen Inter­es­se Deutsch­lands, an der Ent­wick­lung einer Frie­dens­ord­nung für die Regi­on aktiv mit­zu­wir­ken. Ähn­li­ches gilt im Übri­gen auch für den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent. Wir soll­ten unse­ren Blick noch stär­ker dort­hin richten.

CIVIS: Ins­be­son­de­re das The­ma Migra­ti­on ist ein offe­nes Streit­the­ma in der EU. Die euro­päi­sche Zusam­men­ar­beit funk­tio­niert nicht rei­bungs­los. Natio­na­le Allein­gän­ge stel­len das gesam­te euro­päi­sche Eini­gungs­pro­jekt infra­ge. Wie muss sich Euro­pa zukünf­tig auf­stel­len, um für sol­chen Kri­sen gewapp­net zu sein?

AKK: Punkt eins: Euro­pa muss ver­ste­hen, dass es noch eine lan­ge Zeit ein Sehn­suchts­ort für vie­le Men­schen blei­ben wird. Wenn man sich die Lage in unse­rer Nach­bar­schaft ansieht — geo­gra­fisch, poli­tisch und wirt­schaft­lich — stellt man fest: Euro­pa ist eine Insel von Sicher­heit und Wohl­stand, die Men­schen anzieht. Auf eine ähn­li­che Wei­se haben die Men­schen frü­her die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka gese­hen, eben als ein Ort, an dem man ein bes­se­res Leben fin­den konn­te. Punkt zwei: Wenn wir ein Euro­pa der offe­nen Bin­nen­gren­zen erhal­ten wol­len, müs­sen wir auch zu einem gemein­sa­men Außen­grenz­schutz kom­men, den wir der­zeit lei­der noch unvoll­kom­men orga­ni­siert haben. Dazu brau­chen wir ein Netz aus Sicher­heits­part­ner­schaf­ten in den benach­bar­ten Regio­nen. Punkt drei: Mit Blick auf die Bewe­gun­gen im Inne­ren von Euro­pa müs­sen wir unse­re Sys­te­me und Ver­fah­ren so anpas­sen, dass es mög­lichst wenig Unter­schie­de in den Auf­nah­me­ver­fah­ren gibt. Erst wenn wir in Euro­pa die Steue­rung der Bin­nen­mi­gra­ti­on gemein­sam tra­gen, dann wer­den wir erfolg­reich sein. Dane­ben geht es nicht nur um Pro­ble­me der Zuwan­de­rung an sich, son­dern um die Inte­gra­ti­on der vie­len Men­schen, die zu uns kom­men, dar­un­ter sehr vie­le Mus­li­me. Ich stel­le mir oft die Fra­ge, ob man gesamt­eu­ro­pä­isch nicht in der Lage sein muss, eine gemein­sa­me Les­art eines Islam zu fin­den und zu ver­tre­ten, die ver­träg­lich mit einer offe­nen Gesell­schaft ist. Das ist eine der zen­tra­len Inte­gra­ti­ons­fra­gen, vor der wir ste­hen und die Aus­wir­kun­gen über die natio­na­len Gren­zen hin­weg hat.

CIVIS: Haben Sie eine Erklä­rung dafür, war­um man­che unse­rer ost­eu­ro­päi­schen Part­ner sich von der libe­ra­len Welt­ord­nung abwenden?

AKK: Ich glau­be, es geht um eine Aus­ein­an­der­set­zung in den jewei­li­gen Gesell­schaf­ten. Da gibt es poli­ti­sche Kräf­te, die ihr Land eher „homo­gen“ auf­stel­len wol­len und sol­che, die ein offe­nes Welt­bild ver­fol­gen. Im Moment haben meis­tens ers­te­re die Mehr­heit. Hin­zu kommt, dass die genann­ten Staa­ten des ehe­ma­li­gen Ost­blocks auf­grund ihrer Erfah­rung aus der Sowjet­uni­on beim Kampf um ihre eige­ne Sou­ve­rä­ni­tät in einem viel stär­ke­ren Maß sen­si­bel sind, vor allem wenn sie den Ein­druck haben, dass ihre Sou­ve­rä­ni­tät durch euro­päi­sche Vor­ga­ben ein­ge­schränkt wird. Das führt aller­dings zu fol­gen­dem Kon­flikt: Es darf nicht sein, dass jeder Staat sich nur noch das Posi­ti­ve aus der EU etwa in Form von För­der­pro­gram­men her­aus­pickt und sich dort, wo es um die Las­ten­ver­tei­lung geht — zum Bei­spiel beim Kli­ma­schutz oder der Migra­ti­ons­po­li­tik — zurück­zieht. Das wür­de aus der EU am Ende weit weni­ger machen als eine Wer­te­ge­mein­schaft. Das wür­de sie zu einer Art Frei­han­dels­zo­ne degra­die­ren. Das kann nicht der rich­ti­ge Weg sein.

CIVIS: Der Streit in der EU spielt Staa­ten­len­kern wie Erdo­gan, Putin und Kim Jong-Un in die Hän­de. Sehen Sie eine Mög­lich­keit, mehr Ein­heit in der EU zu schaffen?

AKK: Ich sehe es als gro­ßes Pro­blem, wenn bei­spiels­wei­se der tür­ki­sche Prä­si­dent EU-Bür­ger mit einer zwei­ten, tür­ki­schen Staats­an­ge­hö­rig­keit in einen ech­ten Loya­li­täts­kon­flikt stürzt. Außer­dem beob­ach­ten wir eine neue Dimen­si­on etwa von Sei­ten Russ­lands, die Innen­po­li­tik eines Lan­des zu beein­flus­sen. Doch kann eine der­ar­ti­ge Situa­ti­on auch heil­sam sein, näm­lich wenn die EU sieht, dass sie ihre Inter­es­sen nur erfolg­reich ver­tre­ten kann, wenn sie dies geschlos­sen tut. Wenn das jeder EU-Staat allei­ne angeht, wird er damit schei­tern. Das gilt auch für ein so gro­ßes und wirt­schaft­lich star­kes Land wie Deutschland.

CIVIS: Die USA — der maß­geb­li­che Archi­tekt der libe­ra­len Welt­ord­nung — haben mit Donald Trump einen Prä­si­den­ten, dem die­se Ord­nung nicht viel Wert zu sein scheint. Wie bewer­ten Sie die der­zei­ti­ge Rol­le der USA in der Weltpolitik?

AKK: Trump setzt Impul­se nach denen aus­ver­han­del­te Ver­ein­ba­run­gen für ihn kei­ne ent­schei­den­de Rol­le mehr spie­len. Sämt­li­che Abrüs­tungs­ab­kom­men zum Bei­spiel basie­ren aber auf der Ver­läss­lich­keit der Ver­trags­part­ner. Wenn man heu­te hin­geht und bereits geschlos­se­ne Ver­trä­ge ein­fach auf­kün­digt, schafft man damit eine gro­ße Unsi­cher­heit. Das för­dert übri­gens auch in Deutsch­land poli­ti­sche Stim­men, die behaup­ten, der Mul­ti­la­te­ra­lis­mus sei tot und wir wür­den zukünf­tig alles natio­nal regeln kön­nen . Das hal­te ich für fatal. Es geht um den Kern der libe­ra­len Welt­ord­nung, die wir unter gro­ßen Mühen seit dem Zwei­ten Welt­krieg auf­ge­baut haben.

CIVIS: Wie­so setzt Deutsch­land sich für eine regel­ba­sier­te Ord­nung ein? Das Ziel die­ser Ord­nung ist doch, durch Bere­chen­bar­keit Sicher­heit zu schaf­fen. Sieht man nicht am Bei­spiel Trumps, aber auch Putins, wie wenig erfolg­reich Bere­chen­bar­keit als poli­ti­sches Prin­zip ist – und wie viel erfolg­rei­cher Unbe­re­chen­bar­keit ist?

AKK:. Bere­chen­bar­keit ist die Grund­la­ge für das fried­li­che Zusam­men­le­ben zwi­schen Staa­ten. Wenn Unbe­re­chen­bar­keit zum Prin­zip wür­de, fehlt mir die Fan­ta­sie, wie in Zukunft die Inter­ak­ti­on zwi­schen Staa­ten über­haupt statt­fin­den soll­te. Euro­pa basiert auf Regeln. Unser gesam­tes Sys­tem, auch das der sozia­len Markt­wirt­schaft, basiert auf Regeln. Regeln für einen fai­ren Wett­be­werb, Ver­läss­lich­keit und Sicher­heit und wie man mit Ver­trags­part­nern umgeht. Wir müs­sen wir für eine regel­ba­sier­te Ord­nung sehr viel stär­ker kämp­fen als zuvor. Des Wei­te­ren müs­sen wir uns über­le­gen, wie wir mit die­sem Druck, der ja auch in die Innen­po­li­tik hin­ein wirkt, umge­hen. Die­sen Druck spü­ren wir unter ande­rem in der Migra­ti­ons­de­bat­te. Da sagen man­che Staa­ten: Schau, das alles euro­pä­isch zu lösen, ist ver­gleichs­wei­se schwie­rig, dau­ert lan­ge und ist auf den ers­ten Blick auch nicht immer gleich erfolg­reich, des­halb soll­ten wir das lie­ber natio­nal machen. Beim Han­del ist es ähn­lich. Wenn man sagt, jeder macht was er will und dann schau­en wir, wer wo bleibt, übt das einen gro­ßen innen­po­li­ti­schen Druck aus. Die Fra­ge ist, ob wir in der Lage sind, die­sem Druck zu wider­ste­hen. Das ist der Unter­schied zwi­schen popu­lis­ti­scher Poli­tik und der Poli­tik, die auf das Prin­zip Ver­ant­wor­tung setzt.

CIVIS: Die Kanz­le­rin sag­te vor kur­zem: “Die Zei­ten, in denen wir uns auf ande­re völ­lig ver­las­sen konn­ten, die sind ein Stück vor­bei.” Was ist damit im Hin­blick auf die USA kon­kret gemeint?

AKK:. Wir müs­sen ganz offen sagen, dass wir in den letz­ten Jahr­zehn­ten vor allem des­halb in Frei­heit und Sicher­heit leben konn­ten, weil die USA Schutz­macht waren. Des­halb müs­sen wir, wenn wir die­ses Bünd­nis auf Dau­er wei­ter­füh­ren wol­len, zu einer fai­re­ren Las­ten­tei­lung kom­men. Es ist in der Tat so, dass Deutsch­land mit Blick auf sei­ne eige­ne Geschich­te bei inter­na­tio­na­len Ein­sät­zen eher zurück­hal­tend agiert hat. Nun sind wir an einen Punkt gelangt, an dem die­se Pha­se endet. Das heißt: Wir wer­den uns dar­an gewöh­nen müs­sen, auch im mili­tä­ri­schen Bereich mehr Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Das wird mehr Geld kos­ten, sei es durch wei­te­re Inves­ti­tio­nen in die Bun­des­wehr, in euro­päi­sche Pro­jek­te oder in die NATO. Das wird mei­ner Mei­nung nach in Deutsch­land noch eini­ge Debat­ten her­vor­ru­fen. Einen klei­nen Vor­bo­ten haben wir schon durch die Dis­kus­si­on, ob wir über Auf­rüs­tung oder Aus­rüs­tung spre­chen. Den­noch muss uns bewusst sein, dass wir eine ande­re Rol­le spie­len wer­den und auch spie­len müs­sen als das in der Ver­gan­gen­heit der Fall war.

CIVIS: Hören Sie das auch auf Ihrer Zuhör-Tour? Kürz­lich erschien wie­der eine Umfra­ge, dass die Men­schen in Deutsch­land nicht bereit sind, stär­ker in Ver­tei­di­gung zu inves­tie­ren. Und trotz­dem sehen wir die sicher­heits­po­li­ti­sche Not­wen­dig­keit. Ist das ein The­ma, das eine Rol­le spielt und wie kön­nen wir die Men­schen davon überzeugen?

AKK: Ja, die­ses The­ma spielt eine Rol­le. Die Mei­nung unse­rer Mit­glie­der geht aller­dings eher dahin zu sagen, dass wir wie­der mehr tun müs­sen. Da gibt es gera­de mit Blick auf die Bun­des­wehr ein kla­res Bekennt­nis, dass wir dort mehr Geld in die Hand neh­men soll­ten. Der Befund ist aber mit­nich­ten so, dass das in der Gesamt­be­völ­ke­rung ein popu­lä­res The­ma ist. Das ist, glau­be ich, eine klas­si­schen Auf­ga­be, in der poli­ti­sche Füh­rung gefragt ist.

CIVIS: Mit sei­nem Buch “Fact­ful­ness” ver­sucht Hans Ros­ling einen Kon­tra­punkt zu den täg­li­chen Medi­en zu set­zen, die sug­ge­rie­ren, es wür­de alles immer schlim­mer wer­den. Tat­säch­lich — das zei­gen Sta­tis­ti­ken — hat die Mensch­heit in vie­len Berei­chen gro­ße Fort­schrit­te erzielt. Woher stammt die Angst vie­ler, am Ende als Ver­lie­rer dazustehen?

AKK: Es ist in der Tat so, dass man posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen schnell ins Unter­be­wusst­sein ver­drängt, wäh­rend man nega­ti­ve viel stär­ker wahr­nimmt. Ich glau­be, dass wir in Deutsch­land erst­mals in einer Genera­ti­on leben, in der man stär­ker hin­ter­fragt, ob das Wohl­stands­ver­spre­chen der sozia­len Markt­wirt­schaft irgend­wann an ein Ende gelan­gen könn­te. Wir spü­ren gera­de mit Blick auf den demo­gra­fi­schen Wan­del, dass unse­re sozia­len Siche­rungs­sys­te­me unter Druck ste­hen. Wir sehen den inter­na­tio­na­len Kon­kur­renz­druck. Chi­na wur­de unlängst in einem Ran­king unter die 20 inno­va­tivs­ten Natio­nen auf­ge­nom­men. Das heißt, die Zei­ten, in denen man Chi­na als die ver­län­ger­te Werk­bank Euro­pas gese­hen hat, sind längst vor­bei. Das ist zuerst ein­mal eine Her­aus­for­de­rung. Aller­dings eine, die man gera­de auch in wirt­schaft­lich erfolg­rei­chen Zei­ten anneh­men muss. Das ist eine der Haupt­fra­gen an die Poli­tik: Schafft es die poli­ti­sche Füh­rung, die­sen Impuls mit Zuver­sicht auf­zu­neh­men und in eine posi­ti­ve Ent­wick­lung umzu­wan­deln? Die­se wich­ti­ge Fra­ge hat die deut­sche Poli­tik in den nächs­ten Jah­ren zu beantworten.

CIVIS: Las­sen Sie uns noch etwas über die Uni­on spre­chen. Was muss eine Par­tei wie die CDU tun, um auch in Zukunft noch als Volks­par­tei rele­vant zu sein? Oder anders gefragt an Sie als neue CDU-Gene­ral­se­kre­tä­rin: Wo soll die CDU in zehn Jah­ren stehen?

AKK: Ich sehe die CDU — zumin­dest ist das eines mei­ner gro­ßen Zie­le — in zehn Jah­ren nach wie vor als eine leben­di­ge Volks­par­tei, die auf einem wer­te­ba­sier­ten Pro­gramm beruht. Es gibt einen Druck — gera­de mit Blick auf ande­re euro­päi­sche Staa­ten — hin in Rich­tung Samm­lungs­be­we­gun­gen über poli­ti­sche Lager hin­weg, die meis­tens von einer Per­son zusam­men­ge­hal­ten wer­den. Ich glau­be, dass gera­de in tur­bu­len­ten Zei­ten der Zusam­men­halt über gemein­sa­me Wer­te und Pro­gram­me ein Wert an sich ist, für den es sich zu kämp­fen lohnt. Ich sehe die CDU als die Par­tei in Deutsch­land, die es schafft, eine sich immer stär­ker aus­dif­fe­ren­zie­ren­de Gesell­schaft zu spie­geln und die es schafft, die­se unter einem gemein­sa­men Band zu ver­ei­nen. Das heißt: Unse­re Auf­ga­be im Grund­satz­pro­gramm­pro­zess ist es, die Haupt­li­ni­en der CDU, auf denen wir basie­ren, noch ein­mal neu zu begrün­den und im Kon­text der heu­ti­gen Zeit zu defi­nie­ren. Damit die Men­schen mer­ken: Die­se Par­tei bie­tet Raum in der Pro­gram­ma­tik und ver­fügt auch über das ent­spre­chen­de per­so­nel­le Angebot.

CIVIS: Vie­le Kon­ser­va­ti­ve füh­len sich der­zeit nicht mehr von der CDU reprä­sen­tiert. Armin Laschet sagt: “Der Mar­ken­kern der CDU ist nicht das Konservative.”

AKK: Um Armin Laschet noch­mal rich­tig zu zitie­ren: Er hat gesagt, dass das Bekennt­nis zum Kon­ser­va­ti­ven erst nach­lau­fend ins Grund­satz­pro­gramm auf­ge­nom­men wor­den ist. Das hat­te damals auch mit einer Abkehr von gewis­sen Wei­ma­rer Tra­di­tio­nen zu tun, wo das Kon­ser­va­ti­ve für etwas ganz ande­res stand als das Kon­ser­va­ti­ve, wie wir es heu­te ver­ste­hen. Für mich war eines der inter­es­san­tes­ten Erleb­nis­se bis­her auf der Zuhör-Tour: Ich war in drei als kon­ser­va­tiv gel­ten­den Ver­bän­den, in Ful­da, in Wetz­lar und in Müns­ter. Jeder die­ser Ver­bän­de hat das Kon­ser­va­ti­ve aber auf eine ganz ande­re Art und Wei­se für sich defi­niert. In Ful­da ging es dabei sehr stark um das The­ma “Schutz des Lebens”, in Wetz­lar sehr stark um das The­ma Ord­nungs­po­li­tik und in Müns­ter sehr stark um das The­ma der katho­li­schen Sozi­al­leh­re. Allein die­se drei Sta­tio­nen haben mir deut­lich gemacht, dass allein die Dis­kus­si­on, ob das Kon­ser­va­ti­ve in der CDU zu kurz kommt, nicht aus­reicht, weil es „das Kon­ser­va­ti­ve“ nicht gibt. Wenn heu­te gesagt wird, es ist beson­ders kon­ser­va­tiv, wenn Geset­ze in der Bun­des­re­pu­blik ein­ge­hal­ten wer­den, dann macht das kei­nen Sinn, denn das erwar­ten alle Men­schen von einem Staat. Das muss die Poli­tik, egal wel­cher Cou­leur, am Ende sicher­stel­len. Das hat etwas mit Grund­ver­trau­en in staat­li­che Insti­tu­tio­nen und in die Ein­hal­tung von Regeln zu tun.

CIVIS: Macht es Ihnen Sor­gen, wenn eine tra­di­ti­ons­rei­che Par­tei wie die SPD zeit­wei­se nur noch bei 17% liegt?

AKK: Ja, das macht mir Sor­gen. Es ist ins­ge­samt für das gesam­te poli­ti­sche Sys­tem ein schlech­ter Befund. In der Ver­gan­gen­heit war es für die Aus­ge­wo­gen­heit und für die Sta­bi­li­tät in Deutsch­land gut, dass es zwei gro­ße Volks­par­tei­en gab, die eben auch unter­schied­li­che Wur­zeln und Pro­gram­me hat­ten. Aber: Das ist eine Fra­ge, die die SPD für sich selbst lösen muss. Was wir als CDU auf kei­nen Fall tun dür­fen, ist uns zurück­zu­leh­nen und uns zu freu­en, dass wir irgend­wo bei 30 Pro­zent ste­hen und die SPD nur bei 17. Ganz im Gegen­teil: Wir haben den glei­chen Druck wie die SPD, uns als Volks­par­tei auf Dau­er zu behaupten.

CIVIS: Wie sehen Sie die Zukunft der Volks­par­tei­en, wenn das Par­tei­en­spek­trum immer mehr zerfasert?

AKK: Eine der gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen besteht dar­in, die ver­bin­den­den Punk­te in einer Gesell­schaft zu defi­nie­ren. Frü­her hat­te man sozu­sa­gen ein gemein­sa­mes Milieu. Heu­te spielt die Indi­vi­dua­li­sie­rung eine gro­ße Rol­le. Dafür ist die CDU von ihrer DNA her gut auf­ge­stellt. Sie ist nach dem Zwei­ten Welt­krieg bewusst – auch aus den Erfah­run­gen von Wei­mar, wo die Unfä­hig­keit, Tren­nen­des zu über­win­den den Weg für die Natio­nal­so­zia­lis­ten erst frei­ge­macht hat – als Uni­on gestar­tet. Wir haben als poli­ti­sche Par­tei bereits in unse­rem Namen ver­an­kert, dass wir mög­lichst vie­le unter­schied­li­che Per­so­nen zusam­men­bin­den. Das ist eine zen­tra­le Fähig­keit, die wir stär­ker akti­vie­ren müs­sen, um in einer Gesell­schaft wie der unse­ren erfolg­reich zu sein. Dafür machen wir ein Angebot.

CIVIS: Sind Sie besorgt, wenn eine Par­tei wie die AfD stär­ker ist als die SPD?

AKK: Natür­lich, das kann einen über­haupt nicht kalt las­sen. Das gilt im Übri­gen auch für eine Par­tei wie die Lin­ke. Es ist ein Befund dafür — das sehen wir auch in ande­ren euro­päi­schen Staa­ten und anders­wo in der Welt -, dass popu­lis­ti­sche Kräf­te, egal ob von links oder von rechts, einen gro­ßen Auf­schwung erle­ben. Des­halb blei­be ich bei dem alten Satz: Wei­mar ist nicht des­halb geschei­tert, weil die Rän­der so stark waren, son­dern weil die Mit­te so schwach war. Und das soll­te uns Leh­re genug sein — auch für die heu­ti­ge Zeit.

CIVIS: Frau Kramp-Kar­ren­bau­er, haben Sie vie­len Dank für das Gespräch!

 

Anne­gret Kramp-Kar­ren­bau­er ist seit 2018 Gene­ral­se­kre­tä­rin der CDU Deutsch­lands. Zuvor war sie von 2011 bis 2018 Minis­ter­prä­si­den­tin des Saar­lan­des und Vor­sit­zen­de der CDU Saar.