Wir sind gefordert
Nach zuletzt 2011/2012 zieht Deutschland wieder in den Weltsicherheitsrat ein. Seitdem hat sich die Weltlage erheblich verändert. Welche Prioritäten Deutschland für die bevorstehende Mitgliedschaft setzt, skizziert Deutschlands Ständiger Vertreter am East River, Dr. Christoph Heusgen, mit 10 Thesen.
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Mit 184 Stimmen wurde Deutschland am 8. Juni 2018 in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) gewählt. Dieses klare Ergebnis drückt einerseits einen großen Vertrauensvorschuss aus, gleichzeitig aber auch eine Erwartungshaltung: in einer Situation, in der der Sicherheitsrat oft blockiert ist, soll Deutschland sein Gewicht einbringen, um die Vereinten Nationen, ihre Charta und damit eine regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen.
1. Mit den VN unterstützt Deutschland eine regelbasierte internationale Rechtsordnung
Deutschland gehörte schon immer zu den stärksten Unterstützern der Vereinten Nationen. Sowohl finanziell als auch – und vor allem – ideell. Denn Deutschland war „verantwortlich“ für ihre Gründung. Nach der unbeschreiblichen Katastrophe, die der Nationalsozialismus mit dem 2. Weltkrieg verursacht hatte, wurde mit der Weltorganisation am East River eine Institution geschaffen, die dem Miteinander der Staaten ein klares Regelwerk verschrieben hat. Konflikte sollten nicht mehr durch das Recht des Stärkeren, sondern durch die Stärke des Rechts gelöst werden. Dieses Prinzip liegt auch dem deutschen Grundgesetz wie den Verträgen der Europäischen Union zugrunde. Deutschland ist mit diesen Regelwerken gut gefahren, hat ihnen nicht nur seinen Wohlstand, sondern auch seinen Platz in der internationalen Staatengemeinschaft zu verdanken. Es ist nur konsequent, dass Deutschland 2016 der zweitgrößte Beitragszahler für das VN-System war.
2. Das internationale Regelwerk steht unter Beschuss
Die Wahl Deutschlands in den Sicherheitsrat erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem die internationale regelbasierte Ordnung auf der Kippe steht. Russland hat mit der Invasion der Ukraine, der Annexion der Krim und mit der Besetzung des Donbass die VN-Charta und bestehende Abkommen mit den Füßen getreten. Russland gewährt dem syrischen Diktator Assad Schutz, so dass dieser weiter schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen und ungestraft international geächtete Chemiewaffen gegen seine eigene Bevölkerung einsetzen kann. Die Volksrepublik China unterdrückt die Menschenrechte zuhause, bedrängt ihre Minderheiten und verhält sich aggressiv und expansiv im Südchinesischen Meer, wo es gegen das Internationale Seerecht verstößt und Schiedsgerichtssprüche einfach ignoriert. Aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika, die einst bei der Gründung der VN Pate standen, verabschieden sich vom internationalen Regelwerk. Die Trump-Administration verlässt die UNESCO, beteiligt sich nicht am Globalen Kompakt zur Migration, kündigt ihre Beteiligung am Nuklearabkommen mit dem Iran, ignoriert mit der Verlegung der US Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem eine verbindliche Resolution des Sicherheitsrats und löst unter Missachtung von WTO-Grundregeln mit der Verhängung von Strafzöllen möglicherweise einen Internationalen Handelskrieg aus.
3. Deutschland als Verteidiger internationaler Regeln
Vornehmste Aufgabe Deutschlands muss es in dieser Situation sein, die regelbasierte internationale Ordnung zu verteidigen, allen Partnern immer wieder die Vorteile dieser Ordnung zu erläutern und mitzuhelfen, für die im Sicherheitsrat auf die Tagesordnung kommenden Konflikte Lösungen zu suchen, die dieser Ordnung entsprechen. Das gilt für den Ukraine-Konflikt, wo sich Deutschland ja bereits im sogenannten Normandie-Format engagiert, das gilt für die Konflikte in Syrien oder Jemen, wo Deutschland zu denen gehört, die am meisten dazu beitragen, das unermessliche Leid der Menschen zu mildern; und das gilt auch für die vielen Konflikte in Afrika, die regelmäßig auf der Agenda des Sicherheitsrats stehen. Dazu gehört z.B. der Konflikt in Mali, wo sich Deutschland mit fast 1.000 Soldaten an der VN-Friedenstruppe MINUSMA beteiligt.
4. Schwerpunkt Krisenverhütung
Neben dem Bemühen, einen Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Krisen zu leisten, beabsichtigt Deutschland aber auch eigene Akzente zu setzen, insbesondere bei der Verhütung von Konflikten. Hier weiß sich Deutschland einig mit VN-Generalsekretär Guterres, der das gleiche Thema in den Vordergrund seiner Reformanstrengungen gestellt hat. Es geht darum, sich entwickelnde Krisen auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats zu setzen, der sich frühzeitig einschalten sollte und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. So hätten vielleicht die massenhaften Greueltaten gegen alle Rohingya verhindert werden können, wenn die sich verschärfenden Spannungen in Myanmar, die der Weltöffentlichkeit ja nicht verborgen geblieben waren, rechtzeitig vom Sicherheitsrat thematisiert worden wären. Es gibt eine Reihe von Indikatoren für beginnende Konflikte. Dazu gehört die massive Verletzung von Menschenrechten, wie wir sie in Myanmar, aber auch in Syrien erlebt haben. Klimaveränderungen und die durch sie ausgelöste Migration können zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen, wie wir sie in der Region um den (austrocknenden) Tschadsee verfolgen können. Ausbrüche von Pandemien können eine Gefahr für Frieden und Sicherheit darstellen. Gleiches gilt für die weite Verbreitung von Kleinwaffen. Die Diskriminierung von und sexuelle Gewalt gegen Frauen und der Einsatz von Kindersoldaten sind Indikatoren bzw. traurige Begleiterscheinungen von Konflikten. Alle diese Themen – Menschenrechte, Klima und Wasser, Gesundheit, Kleinwaffen, Frauen und Kinder – wird Deutschland im Auge behalten.
5. Deutschlands Vorsitz im Sicherheitsrat: Klima und Frauen
Ohne dies vorab schon definitiv festlegen zu können, plant Deutschland zwei dieser Themen aufzugreifen, wenn wir die Präsidentschaft im Sicherheitsrat ausüben werden, was voraussichtlich im April 2019 und im Juni 2020 der Fall sein wird: Klima und Sicherheit sowie Frauen, Frieden und Sicherheit. Das Thema Klima hatte Deutschland schon bei seiner letzten Mitgliedschaft 2011/2012 mit einer Debatte im Sicherheitsrat und einer Präsidentschaftserklärung aufgegriffen. Hieran soll angeschlossen werden, wobei seit 2011/12 die Probleme ja nicht kleiner geworden sind. Das Thema Frauen ist weltweit in den letzten Jahren vermehrt auf die Tagesordnung gekommen. Ihre Diskriminierung, sexuelle Gewalt gegen sie (massiv wieder in Myanmar), ihre Beteiligung an Entscheidungen und ihr Aufrücken in Führungspositionen, ihr Einsatz als Vermittler und Mediatoren, alles das sind Aspekte, denen sich Deutschland widmen möchte. Ein Schwerpunkt ist Afrika, wo wir uns etwa als Ko-Vorsitz der Freundesgruppe „afrikanische Frauen in Führungspositionen“ einbringen. Die Herausforderung wird darin bestehen, durch die Befassung des Sicherheitsrats nicht nur Aufmerksamkeit auf diese Themen zu lenken, sondern operative Entscheidungen zu treffen. Nützlich kann dabei die enge Anbindung der „Peace Building Commission“ an den Sicherheitsrat sein, wie dies auch von Generalsekretär Guterres befürwortet wird. In dieser Kommission der Mitgliedsstaaten, die aus dem Sekretariat heraus und durch einen Fonds unterstützt wird, hat Deutschland derzeit den stellvertretenden Vorsitz inne.
6. „Rechenschaft“ und Verhütung von „Straflosigkeit“
Ein Thema, das Deutschland nicht nur im Sicherheitsrat, sondern auch in der Generalversammlung hochhalten will, ist „Rechenschaft“ und die Verhütung von „Straflosigkeit“. Ein Rechtssystem funktioniert nur dann, wenn diejenigen, die dagegen verstoßen, sanktioniert werden.
Wenn z. B. Menschenrechtsverletzer das Gefühl oder sogar die Gewissheit haben, dass sie bis zu ihrem Lebensende wegen ihrer Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können, dann wirkt dies präventiv. Wir schulden es auch den Opfern von (Menschen-)Rechtsverletzern, dass den Schuldigen ihre Strafe nicht erspart bleibt.
Zur Durchsetzung des Rechts wird Deutschland weiterhin die entsprechenden Institutionen, angefangen vom Internationalen Gerichtshof über den Internationalen Strafgerichtshof, den Internationalen Seegerichtshof und Schiedsgerichte, bis hin zu neuen Mechanismen wie den IIIM (Internationaler Mechanismus zur Strafverfolgung schwerster Verbrechen in Syrien) konkret unterstützen.
7. Zusammenarbeit im Sicherheitsrat
Deutschland wird alles das, was es sich vorgenommen hat, alleine nicht erreichen können. Es wird nur gemeinsam gelingen mit den Ständigen Mitgliedern und den Nicht-Ständigen Mitgliedern. Die Ständigen Mitglieder sind dabei im Vorteil, weil sie über eine etablierte Machtposition im Sicherheitsrat und über die einschlägige Erfahrung verfügen. Drei von ihnen – wie vorne ausgeführt – nehmen dabei leider nicht immer eine konstruktive Haltung ein. Umso wichtiger wird für Deutschland die enge (und bewährte) deutsch-französische Zusammenarbeit sein. Großes Interesse haben wir aber auch daran, Großbritannien einen engen Schulterschluss anzubieten. Großbritannien, Frankreich und die sich 2019 im Sicherheitsrat befindlichen Nicht-Ständigen Mitglieder Belgien, Polen sowie wir sollten alles daran setzen, regelmäßig gemeinsame, europäische Positionen zu vertreten, einen „EU Caucus“ zu etablieren. Angesichts des Desinteresses der USA kommt einer gemeinsamen europäischen Haltung, an die sich andere erfahrungsgemäß gerne anlehnen, eine noch höhere Bedeutung zu als in der Vergangenheit. Aber auch mit den anderen Nicht-Ständigen Sicherheitsratsmitgliedern will Deutschland eng zusammenarbeiten. Um das Ziel, eine gleiche Verteilung der Zuständigkeiten zu erreichen, wird es unumgänglich sein, sich etwa mit Südafrika, Indonesien, Peru oder Kuwait eng abzustimmen. Das gleiche gilt für die afrikanischen Staaten, die eine größere Rolle bei der Federführung für die zahlreichen Friedensmissionen auf ihrem eigenen Kontingent spielen und damit mehr Eigenverantwortung übernehmen sollten.
8. Rückbindung an regionale Gruppen in den VN
Deutschland hat im „Wahlkampf“ für den Sicherheitsratssitz bei den verschiedenen regionalen Gruppen um Unterstützung geworben – und diese auch erhalten. Im Gegenzug beabsichtigt Deutschland, diese Ländergruppen während der beiden Sicherheitsratsjahre regelmäßig über das Geschehen in diesem zumeist hinter verschlossenen Türen tagenden Gremium zu unterrichten bzw. vor wichtigen Debatten die jeweiligen Meinungen zu den Themen abzufragen. Die engste Abstimmung wird es mit der wöchentlich tagenden Runde der EU-Botschafter geben. Aber auch mit der afrikanischen Gruppe oder den kleinen Inselstaaten wird sich Deutschland regelmäßig treffen. Mit letzteren steht naturgemäß das Thema Klima im Mittelpunkt, für eine Gruppe wie CARICOM haben die Kleinwaffen eine große Bedeutung.
9. Kontakte mit der Zivilgesellschaft
Ebenfalls bereits vor den Sicherheitsratswahlen hat sich Deutschland mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen. Deren Anliegen – ebenfalls Klima, aber vor allem Menschenrechte – haben Eingang in Positionen gefunden, die Deutschland regelmäßig im Sicherheitsrat vertreten wird. Auch um gegenüber der Zivilgesellschaft Rechenschaft abzugeben und um ihre Meinungen abzufragen, sind regelmäßige Treffen mit Vertretern von Nichtregierungsorganisationen geplant. Amnesty International, Human Rights Watch, aber auch Politische Stiftungen stehen in vielen Ländern unter Druck. Sie zu unterstützen wird ein wichtiges deutsches Anliegen bleiben. Im Gegenzug haben sie sich immer wieder auch als Ideengeber verdient gemacht, etwa wenn es um die Frage geht, wie das wichtige Thema „Rechenschaft“ und Verhütung von „Straflosigkeit“ vorangebracht werden kann.
10. Bilanz
Die Bäume werden nicht in den Himmel wachsen, aber Deutschland wird sich in den zwei Jahren seiner Mitgliedschaft nach Kräften bemühen, im Zusammenspiel mit gleichgesinnten Partnern einerseits konkrete Konflikte einer Lösung näher zu bringen, die das mit ihnen regelmäßig verbundene menschliche Leid mildern, andererseits das den Vereinten Nationen zugrundeliegende Regelwerk zu verteidigen und – wenn die Umstände dies erlauben – zu stärken. Bleibt zu hoffen, dass die Bilanz Ende 2020 nicht zu ernüchternd ausfällt. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, aber natürlich auch, wenn auf eine erfolgreiche Sicherheitsratszeit zurückgeblickt werden kann, wird Deutschland nicht aufhören, an einer regelbasierten Internationalen Weltordnung festzuhalten. Dies schulden wir unserer Geschichte. Und dies entspricht auch unserer festen Überzeugung.
Der Text gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
Dr. Christoph Heusgen ist seit Juli 2017 Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Zuvor war er zwölf Jahre außen- und sicherheitspolitischer Berater der Bundeskanzlerin.