von Mar­kus Kaim und Ange­la Stanzel

Chi­nas welt­po­li­ti­scher Auf­stieg stellt ande­re Staa­ten und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen vor neue Her­aus­for­de­run­gen, da er regio­nal wie glo­bal eta­blier­te Macht­ver­hält­nis­se erschüt­tert und welt­an­schau­li­che Alter­na­ti­ven zu west­li­chen Ord­nungs­vor­stel­lun­gen stärkt. Auch unter den NATO-Mit­glie­dern besteht ein zuneh­men­der Kon­sens dar­in, sich mit den von Chi­na aus­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen beschäf­ti­gen zu müssen.

Dies ist für die nord­at­lan­ti­sche Alli­anz mit Blick auf die rus­si­sche Inva­si­on in der Ukrai­ne am 24. Febru­ar 2022 nun­mehr deut­li­cher und dring­li­cher gewor­den. Denn mit die­sem Krieg hat auch eine Zeit gro­ßer Unsi­cher­heit in Pekings Außen­po­li­tik begon­nen. Chi­na, eines der mäch­tigs­ten Län­der der Welt, spielt nicht die kon­struk­ti­ve Rol­le, die sei­nem Ein­fluss ange­mes­sen wäre und die sich der Wes­ten erhofft. Chi­nas Poli­tik im Ukrai­ne-Krieg stellt die NATO-Mit­glie­der vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Zum einen, da die chi­ne­si­schen Füh­rer es vor­zie­hen, die Ver­ant­wor­tung für den Krieg bei den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu ver­or­ten, und sich nach Kräf­ten bemü­hen, einen Keil zwi­schen Euro­pa und die USA zu trei­ben. Zum ande­ren befeu­ert die rus­si­sche Inva­si­on auch die Debat­te inner­halb der euro­päi­schen Eli­ten zur Fra­ge der poten­ti­el­len Bereit­schaft Chi­nas, Kon­flik­te mit den USA und der west­li­chen Welt ins­ge­samt in Kauf zu neh­men, um die eige­nen Zie­le umzu­set­zen. Dies wür­de fun­da­men­ta­le Kon­se­quen­zen für die Rol­le Euro­pas in der inter­na­tio­na­len Poli­tik nach sich ziehen.

Kehrt­wen­de der NATO

Die NATO wid­me­te sich in ihrer Lon­do­ner Erklä­rung von 2019 erst­mals der Volks­re­pu­blik und erkann­te an, „dass Chi­nas wach­sen­der Ein­fluss und die inter­na­tio­na­le Poli­tik sowohl Chan­cen als auch Her­aus­for­de­run­gen bie­ten, die wir als Alli­anz gemein­sam ange­hen müssen.“[1] Kurz vor dem NATO-Gip­fel am 14. Juni 2021 sag­te NATO-Gene­ral­se­kre­tär Jens Stol­ten­berg dann, die NATO-Mit­glied­staa­ten müss­ten ihre gemein­sa­me Poli­tik gegen­über einem zuneh­mend aggres­si­ve­ren Chi­na stärken.[2]

Damit voll­zieht die Alli­anz end­gül­tig eine Kehrt­wen­de. Schließ­lich haben die Staats- und Regie­rungs­chefs der NATO der sicher­heits­po­li­ti­schen Bedeu­tung der Volks­re­pu­blik Chi­na erst ver­gleichs­wei­se spät Auf­merk­sam­keit geschenkt. Für lan­ge Zeit domi­nier­te eine Per­spek­ti­ve, der zufol­ge die Alli­anz und Peking eine Rei­he von gemein­sa­men Inter­es­sen in der inter­na­tio­na­len Poli­tik ver­fol­gen, so etwa in den Berei­chen Kri­sen­ma­nage­ment, Pira­te­rie­be­kämp­fung und Ein­he­gung der Ver­brei­tung von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen. Letzt­lich aber blie­ben der Umfang der Zusam­men­ar­beit und die Zahl hoch­ran­gi­ger diplo­ma­ti­scher Kon­tak­te begrenzt, weil sich die NATO als euro-atlan­ti­sche Sicher­heits­or­ga­ni­sa­ti­on begreift, die Ent­wick­lun­gen im indo­pa­zi­fi­schen Raum nur am Ran­de betreffen.[3] Erst der welt­po­li­ti­sche Auf­stieg Chi­nas in den letz­ten Jah­ren hat eine ande­re Wahr­neh­mung des Lan­des aus­ge­löst und bewirkt, dass Pekings Außen­po­li­tik inzwi­schen auf der Agen­da des Bünd­nis­ses steht.

Vor die­sem Hin­ter­grund war der Brüs­se­ler Gip­fel der NATO am 14. Juni 2021 beson­ders bemer­kens­wert, und zwar aus zwei Grün­den: Prä­si­dent Bidens erst­ma­li­ge Teil­nah­me an dem Tref­fen signa­li­sier­te, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten nach der spal­te­ri­schen, bünd­nis­kri­ti­schen Rhe­to­rik der Trump-Jah­re wie­der eine akti­ve­re Rol­le bei der Gestal­tung und Nut­zung des Bünd­nis­ses – auch für ihre Chi­na-Poli­tik – spie­len wol­len. Zwei­tens bezeich­ne­te das Gip­fel-Kom­mu­ni­qué Chi­na in unge­wöhn­li­cher Offen­heit als desta­bi­li­sie­ren­de Kraft und sys­te­mi­sche Her­aus­for­de­rung, deren Agie­ren die regel­ba­sier­te inter­na­tio­na­le Ord­nung bedrohe.

Obwohl die Erklä­rung ver­mied, Chi­na als direk­te Bedro­hung für das Bünd­nis dar­zu­stel­len, ließ sie doch erken­nen, dass unter den NATO-Mit­glie­dern ein zuneh­men­der Kon­sens dar­in besteht, sich mit den von der Volks­re­pu­blik aus­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen beschäf­ti­gen zu müs­sen. Schließ­lich, kon­sta­tier­te Stol­ten­berg im März 2021, sei nicht die NATO näher an Chi­na her­an­ge­rückt, son­dern Chi­na an die NATO durch sei­ne Akti­vi­tä­ten in der Ark­tis und in Afri­ka, durch Inves­ti­tio­nen in kri­ti­sche Infra­struk­tur in Euro­pa sowie durch Akti­vi­tä­ten im Cyber- und Informationsraum.[4] Das neue stra­te­gi­sche Kon­zept, das im Juni 2022 vor­ge­legt wer­den wird, steht vor der Auf­ga­be, die­sen Kon­sens in kohä­ren­te und ange­mes­se­ne Schrit­te umzusetzen.

Unter­schied­li­che Prioritäten

Ob und wie die NATO die Her­aus­for­de­rung Chi­na ange­hen soll­te, ist in ihren Rei­hen strit­tig. Die Mit­glie­der bewer­ten die­se Her­aus­for­de­rung gra­du­ell wie prin­zi­pi­ell unter­schied­lich. Es sind vor allem die USA, die sich bei der Aus­tra­gung ihres sys­te­mi­schen Kon­flikts mit Chi­na die NATO zunut­ze machen möch­ten. Ande­re geben der Bedro­hung durch Russ­lands revi­sio­nis­ti­sche Außen­po­li­tik Vor­rang und füh­len sich durch Mos­kaus Angriff auf die Ukrai­ne dar­in bestä­tigt, wie­der ande­re wol­len die Gefähr­dung durch ter­ro­ris­ti­sche Grup­pie­run­gen und Cyber­an­grif­fe in den Mit­tel­punkt der NATO-Pla­nun­gen stellen.[5] Die Per­spek­ti­ven hin­sicht­lich Chi­na sind also sehr ver­schie­den, und die sicher­heits­po­li­ti­sche Sicht ist nur eine von vielen.

Poli­tisch nach­voll­zieh­bar ist, dass die NATO-Mit­glie­der ver­su­chen, die genann­ten Sicher­heits­be­den­ken mit ihren jewei­li­gen Wirt­schafts- und Han­dels­be­zie­hun­gen zu Chi­na in Ein­klang zu brin­gen. Das ist ins­be­son­de­re für die EU und für Deutsch­land eine schwie­ri­ge Auf­ga­be. Dem­entspre­chend viel­tö­nig klan­gen die Staats- und Regie­rungs­chefs in Brüs­sel: Im Kon­text des Gip­fels ver­trat die dama­li­ge deut­sche Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel eine wei­che­re Linie gegen­über Chi­na und erklär­te, dass „vor allem Russ­land die größ­te Her­aus­for­de­rung“ für die NATO und „Chi­na in vie­len Fra­gen ein Riva­le und gleich­zei­tig in vie­len Fra­gen ein Part­ner“ sei.[6] Der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nu­el Macron stell­te der­weil die Fra­ge, ob die NATO über­haupt das rich­ti­ge For­mat sei, um die Art von Her­aus­for­de­run­gen zu bewäl­ti­gen, die von Chi­na aus­ge­hen. Er erklär­te, dass „die NATO eine nord­at­lan­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on ist, Chi­na nichts mit dem Nord­at­lan­tik zu tun hat“ und „wir unse­re Bezie­hung zu Chi­na nicht ein­sei­tig betrach­ten soll­ten – sie ist viel grö­ßer als nur das Militär.“[7]

Die Besorg­nis der NATO über Chi­nas wach­sen­de Fähig­kei­ten der Macht­pro­jek­ti­on und Ein­fluss­nah­me ist nicht neu. Das Kom­mu­ni­qué des Gip­fels der Staats- und Regie­rungs­chefs baut auf frü­he­ren Erklä­run­gen von Gene­ral­se­kre­tär Jens Stol­ten­berg sowie auf dem erwähn­ten Bericht der NATO-Refle­xi­ons­grup­pe 2030 aus dem Jahr 2020 auf. Sowohl die Abschluss­erklä­rung als auch der Bericht lis­ten die diver­sen Her­aus­for­de­run­gen auf, die Chi­na nach Ansicht der Mit­glied­staa­ten für das Bünd­nis dar­stellt. Die­se rei­chen von den geo­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen durch Russ­land und Chi­na, Pekings Ein­satz von wirt­schaft­li­chem Zwang und aggres­si­ver Diplo­ma­tie, der Gefähr­dung der Fähig­keit der NATO, kol­lek­ti­ve Ver­tei­di­gung zu orga­ni­sie­ren und kri­ti­sche Infra­struk­tu­ren zu schüt­zen, über Chi­nas mili­tä­ri­sche Moder­ni­sie­rung und die Aus­wei­tung sei­nes Nukle­ar­ar­se­nals bis hin zu sei­ner tech­no­lo­gi­schen Entwicklung.[8] 

Dimen­sio­nen der chi­ne­si­schen Herausforderung

Dass Chi­nas Auf­stieg ande­re Staa­ten und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen vor neue Her­aus­for­de­run­gen stellt, da er regio­nal wie glo­bal eta­blier­te Macht­ver­hält­nis­se erschüt­tert und welt­an­schau­li­che Alter­na­ti­ven zu west­li­chen Ord­nungs­vor­stel­lun­gen stärkt, ist an sich nichts Neu­es. Inter­es­sant ist, wie jeder ein­zel­ne Akteur in der inter­na­tio­na­len Poli­tik sich je nach spe­zi­fi­schem Auf­ga­ben­ge­biet, inne­rer Ver­fasst­heit und unter­schied­li­cher Betrof­fen­heit dar­auf ein­stellt. Der NATO, die sich aus Län­dern Nord­ame­ri­kas und Euro­pas zusam­men­setzt, und ihren Mit­glie­dern könn­ten meh­re­re Aspek­te von Chi­nas Ver­hal­ten zusetzen.

Da sind ers­tens Pekings Ver­su­che, chi­ne­si­sche Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men in die digi­ta­le Infra­struk­tur west­li­cher Län­der zu inte­grie­ren und so Ein­fluss auf die­se zu neh­men. Dies ist beson­ders rele­vant für die anhal­ten­de Debat­te in Euro­pa über die draht­lo­se Tech­no­lo­gie der fünf­ten Genera­ti­on (5G).

Ein zwei­tes The­ma sind Chi­nas stei­gen­de Inves­ti­tio­nen in kri­ti­sche Infra­struk­tu­ren Euro­pas. Neben Inves­ti­tio­nen etwa in Elek­tri­zi­täts­net­ze, 5G-Netz­wer­ke oder Smart-City-Pro­jek­te zei­gen chi­ne­si­sche Staats­un­ter­neh­men ein hohes Inter­es­se an Häfen – und dies aus­ge­prägt in euro­päi­schen NATO-Staa­ten. Offen ist, ob die NATO-Län­der sich auf die Nut­zung die­ser Häfen ver­las­sen kön­nen, soll­te sich die Alli­anz Euro­pa ver­tei­di­gen müs­sen. Es ist zumin­dest nicht selbst­ver­ständ­lich, dass die chi­ne­si­schen Eigen­tü­mer ihr erlau­ben wer­den, Schif­fe in die­sen Häfen auf­zu­tan­ken, zu ver­sor­gen oder zu repa­rie­ren. Die euro­päi­schen NATO-Part­ner sind sich die­ser poten­zi­el­len Beschrän­kung zuneh­mend bewusst.

Drit­tens haben chi­ne­si­sche Cyber­an­grif­fe auf euro­päi­sche und ame­ri­ka­ni­sche Fir­men sowie ande­re For­men mili­tär­tech­ni­scher Spio­na­ge mas­siv zuge­nom­men. Laut dem Bericht 2020 des deut­schen Ver­fas­sungs­schut­zes demons­trier­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren „chi­ne­si­sche Cyber­ak­teu­re eine beacht­li­che tech­no­lo­gi­sche Wei­ter­ent­wick­lung mit deut­li­chem Schwer­punkt auf die Ver­schleie­rung ihrer Angrif­fe. Hier­bei besteht eine deut­li­che Kon­gru­enz der Aus­wahl der Opfer in Wirt­schaft und Poli­tik mit den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Ziel­set­zun­gen der chi­ne­si­schen Regie­rung“. [9]

Für wei­te­re Beden­ken, und zwar im engs­ten sicher­heits­po­li­ti­schen Sin­ne, sorgt vier­tens die chi­ne­si­sche-rus­si­sche Zusam­men­ar­beit – vor allem die mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit der bei­den Staa­ten. Ange­sichts der rus­si­schen Inva­si­on in der Ukrai­ne steht gera­de die­se Nähe zwi­schen Chi­na und Russ­land im Fokus der NATO. Bis­her war der Umfang der rus­sisch-chi­ne­si­schen mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit noch sehr begrenzt. Im Jahr 2015 schlos­sen sich drei Schif­fe der chi­ne­si­schen Mari­ne dem rus­si­schen Flot­ten­ver­band im öst­li­chen Mit­tel­meer für eine fünf­tä­gi­ge Mari­ne­übung an – die ers­te Koope­ra­ti­on die­ser Art von Chi­na und Russ­land. 2017 ent­sand­te Chi­na im Rah­men einer acht­tä­gi­gen Übung einen Zer­stö­rer, eine Fre­gat­te und ein Ver­sor­gungs­schiff in die rus­si­sche Exkla­ve Kali­nin­grad. In der Ost­see war dies die ers­te sol­che Mili­tär­übung und ist bis­lang die ein­zi­ge geblie­ben. Eben­falls noch über­schau­bar ist die Zusam­men­ar­beit bei den Land­streit­kräf­ten: Im Jahr 2018 erreg­te Chi­nas Teil­nah­me an Russ­lands groß ange­leg­ter Mili­tär­übung Wos­tok-18 zwar erheb­li­che media­le Auf­merk­sam­keit, doch stell­te Chi­na nicht mehr als 3.000 der 300.000 Sol­da­ten, die an dem Manö­ver teil­nah­men. Außer­dem beschränk­te sich Chi­nas mili­tä­ri­sche Prä­senz wäh­rend der Übung auf die Regio­nen öst­lich des Baikalsees.

Gleich­wohl ist eine wach­sen­de Inter­es­sen­kon­ver­genz und stra­te­gi­sche Koor­di­na­ti­on zwi­schen Chi­na und Russ­land nicht zu über­se­hen – ver­mehrt auch in Euro­pa. Dies trifft nicht nur auf die mili­tä­ri­sche und mili­tär­tech­ni­sche Zusam­men­ar­beit zu, son­dern auch auf die Roh­stoff­för­de­rung in der Ark­tis, den Aus­bau von Inter­net­zen­sur, die 5G-Netz-Ent­wick­lung (für die Russ­land Hua­wei als ver­trau­ens­wür­di­gen Anbie­ter akzep­tiert hat) sowie auf Dual-Use-Tech­no­lo­gien wie Welt­raum­sys­te­me, Satel­li­ten­na­vi­ga­ti­on, Soft­ware­ent­wick­lung und unbe­mann­te Sys­te­me. Russ­land und Chi­na öff­nen ihre stra­te­gi­sche Koope­ra­ti­on zudem ver­mehrt für Dritt­län­der, so etwa den Iran. So fand Ende 2019 erst­mals eine tri­la­te­ra­le rus­sisch-chi­ne­sisch-ira­ni­sche Mari­ne­übung im Indi­schen Oze­an statt.

Chi­nas Balan­ce im Ukraine-Krieg

Der chi­ne­si­sche Wis­sen­schaft­ler Yan Xue­tong sprach jüngst in einem Arti­kel davon, wie sehr der Krieg in der Ukrai­ne den chi­ne­si­schen Inter­es­sen scha­de; nicht nur wirt­schaft­lich, son­dern auch außen­po­li­tisch. Denn die Wei­ge­rung Pekings, Russ­land zu ver­ur­tei­len, belas­te Chi­nas außen­po­li­ti­sche Bezie­hun­gen dauerhaft.[10] Innen­po­li­tisch ver­stär­ke der andau­ern­de Krieg zudem die poli­ti­sche Pola­ri­sie­rung in der Gesell­schaft („Pro- und Anti-Russ­land-Lager“). Den­noch wer­de Chi­na außen­po­li­tisch die Balan­ce im Ukrai­ne-Krieg und den Bezie­hun­gen zu Russ­land fort­set­zen, denn Peking wol­le unnö­ti­ge Pro­vo­ka­tio­nen in den chi­ne­si­schen Bezie­hun­gen mit bei­den riva­li­sie­ren­den Mäch­ten, den USA und Russ­land, ver­mei­den. Peking wer­de die Inva­si­on weder öffent­lich ver­ur­tei­len (und sich etwa bei Abstim­mun­gen in der UN-Gene­ral­ver­samm­lung ent­hal­ten), noch wer­de die chi­ne­si­sche Füh­rung den Krieg offen­siv unter­stüt­zen. Nur eines kön­ne den chi­ne­si­schen Mit­tel­weg ändern und Chi­na auf die Sei­te Russ­lands drän­gen, laut Yan, näm­lich „wenn die Ver­ei­nig­ten Staa­ten eine tai­wa­ne­si­sche Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung mili­tä­risch unter­stüt­zen wür­den“. [11]

Chi­na unter­stützt den Kreml nicht mili­tä­risch, hält aber die Geschäfts­be­zie­hun­gen mit Russ­land auf­recht. Eine Annä­he­rung an die Posi­ti­on der USA im Ukrai­ne-Krieg dürf­te der­weil des­halb unwahr­schein­lich sein, da aus chi­ne­si­scher Sicht auch eine Ver­ur­tei­lung des Krie­ges die chi­ne­sisch-ame­ri­ka­ni­schen Bezie­hun­gen nicht nen­nens­wert ver­bes­sern wür­den und man daher nichts zu gewin­nen hat. Die Ein­däm­mungs­po­li­tik gegen­über Chi­na wer­de Washing­ton sicher­lich nicht auf­ge­ge­ben, so Yan Xuetong.[12]  Ent­spre­chend ver­schärft hat sich die chi­ne­si­sche Rhe­to­rik im Ver­lauf des Krie­ges gegen­über Washing­ton. So haben die USA und NATO in der chi­ne­si­schen Rhe­to­rik die rus­si­sche Inva­si­on in der Ukrai­ne nicht nur zu ver­ant­wor­ten, son­dern sie wür­den zusätz­lich Öl ins Feu­er gie­ßen und den Krieg bewusst auf­recht hal­ten, um Russ­land (und auch Chi­na) zu schwächen.

Dies passt ins domi­nan­te chi­ne­si­sche Nar­ra­tiv, das mit Vor­lie­be den Nie­der­gang der ame­ri­ka­ni­schen Hege­mo­nie the­ma­ti­siert und die­sen „Befund“ zum Dreh- und Angel­punkt der eige­nen Außen­po­li­tik macht. Im Kon­text des glo­ba­len Sys­tem­wett­be­werbs benut­zen die USA, in der chi­ne­si­schen Les­art, über­dies die NATO als Instru­ment, um die EU zu domi­nie­ren. Die­sem Nar­ra­tiv zufol­ge woll­ten die USA die Sys­tem­kon­fron­ta­ti­on mit der Volks­re­pu­blik ver­schär­fen und die EU und ande­re Ver­bün­de­te gegen Chi­na aufbringen.

Die Gren­zen der NATO

Vor­stö­ße der euro­päi­schen NATO-Staa­ten in den indo­pa­zi­fi­schen Raum wer­den vor allem von Beob­ach­tern und Autoren befür­wor­tet, die nach einer (mili­tä­ri­schen) Chi­na-Stra­te­gie der NATO-Alli­anz rufen. Euro­pa sind jedoch mili­tä­risch enge Gren­zen gesetzt. So wer­den die euro­päi­schen NATO-Mit­glie­der mit Aus­nah­me von Groß­bri­tan­ni­en und Frank­reich kei­ne gewich­ti­ge mili­tä­ri­sche Rol­le im indo­pa­zi­fi­schen Raum spie­len kön­nen – nicht, weil sie des­sen poli­ti­sche Bedeu­tung nicht aner­ken­nen wol­len, son­dern vor allem weil sie nicht in der Lage sind, den ame­ri­ka­ni­schen Ver­bün­de­ten wirk­sa­me mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung zu bieten.

Chi­nas mili­tä­ri­scher Auf­stieg im Indo­pa­zi­fik ist zunächst auch kei­ne direk­te mili­tä­ri­sche Bedro­hung für die NATO und Asi­en ist nicht Teil des geo­gra­phi­schen Ein­fluss­ge­biets der Alli­anz. Dies begrenzt die Zie­le der USA, die NATO-Mit­glie­der stär­ker sicher­heits­po­li­tisch in Asi­en ein­zu­bin­den. Nicht ein­mal Chi­nas Vor­rü­cken in die euro­päi­sche Peri­phe­rie, ins­be­son­de­re im mili­tä­ri­schen Schul­ter­schluss mit Russ­land, stellt eine unmit­tel­ba­re Bedro­hung dar.

Neben der ange­hen­den mili­tä­ri­schen Zusam­men­ar­beit von Russ­land und Chi­na beun­ru­hi­gen viel­mehr die wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen, die sich aus Pekings Vor­ge­hen im euro-atlan­ti­schen Raum erge­ben. Chi­nas Inves­ti­tio­nen in Häfen und ande­re Infra­struk­tu­ren gehen ein­her mit dem Stre­ben, west­li­che Wirt­schafts­pro­zes­se zu beein­flus­sen. Chi­ne­si­sche Inves­ti­tio­nen sol­len ein Ein­fluss­po­ten­zi­al auf­bau­en, auf das sich zu einem spä­te­ren Zeit­punkt zurück­grei­fen lässt und das in der Zwi­schen­zeit die demo­kra­ti­schen poli­ti­schen Sys­te­me anfäl­li­ger Natio­nen unter­gra­ben kann.

Dies erfor­dert vor allem eine wirt­schaft­li­che oder poli­ti­sche Reak­ti­on – wofür die NATO nicht gut gerüs­tet ist. Die Alli­anz soll­te vor­sich­tig sein, etwas Ande­res zu sug­ge­rie­ren und Chi­na so unge­wollt zu einer mili­tä­ri­schen Gefahr für den euro-atlan­ti­schen Raum zu über­hö­hen. Ein­zel­ne NATO-Mit­glied­staa­ten und vor allem die EU mit ihren jewei­li­gen poli­ti­schen Kom­pe­ten­zen ver­fü­gen über mehr Instru­men­te, um mit einem außen­po­li­tisch ambi­tio­nier­ten Chi­na umzu­ge­hen, als die NATO als Insti­tu­ti­on. Bis Chi­na tat­säch­lich eine mili­tä­ri­sche Bedro­hung im Nord­at­lan­tik­raum dar­stel­len könn­te, ver­mag die NATO als Insti­tu­ti­on, die zum Zweck der regio­na­len kol­lek­ti­ven Ver­tei­di­gung geschaf­fen wur­de, eine nur begrenz­te, den­noch nicht unwich­ti­ge Rol­le bei der Bewäl­ti­gung der Pekin­ger Her­aus­for­de­rung zu spielen.

Vor­schlä­ge für eine Chi­na-Agen­da der NATO 

Die NATO soll­te (1) ihre eige­nen Mög­lich­kei­ten beim Umgang mit den nicht­mi­li­tä­ri­schen Bedro­hun­gen sei­tens Chi­na rea­lis­tisch ein­schät­zen. Es geht nicht dar­um, ein alle Akti­vi­tä­ten der Alli­anz über­wöl­ben­des, neu­es Hand­lungs­pa­ra­dig­ma für die kom­men­den Jah­re zu defi­nie­ren. Viel­mehr soll­te die NATO für sich einen Platz inner­halb des kom­ple­xen Gefü­ges euro-atlan­ti­scher Insti­tu­tio­nen defi­nie­ren, sodass mög­li­che Akti­vi­tä­ten des Bünd­nis­ses funk­tio­nal Sinn erge­ben, ent­spre­chen­de Pla­nun­gen ande­rer Orga­ni­sa­tio­nen aber nicht dupli­ziert wer­den. Das soll­te ihre Mit­glied­staa­ten ermu­ti­gen, mehr außer­halb des NATO-Rah­mens zu unter­neh­men. Zwar müss­ten sich die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger der Mit­glied­staa­ten wei­ter­hin auf eine robus­te kon­ven­tio­nel­le und nuklea­re Abschre­ckung durch die Alli­anz ver­las­sen kön­nen, doch über die poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Instru­men­te, um den von Chi­na aus­ge­hen­den wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Risi­ken zu begeg­nen, ver­fü­gen vor­nehm­lich die natio­na­len Haupt­städ­te und in eini­gen Fäl­len die EU.[13]

Die Alli­anz soll­te sich (2) weder ver­zet­teln noch ablen­ken las­sen, son­dern die exis­ten­ten sicher­heits­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen klar prio­ri­sie­ren. Für die NATO bleibt bis auf wei­te­res, allein auf­grund der geo­gra­fi­schen Nähe, Russ­lands aggres­si­ve und revi­sio­nis­ti­sche Außen­po­li­tik die direk­tes­te Bedrohung.[14] Die mili­tä­ri­sche Her­aus­for­de­rung durch Mos­kau ent­spricht genau einer jener Auf­ga­ben, für die man das Bünd­nis vor über 70 Jah­ren geschaf­fen und sei­ne Instru­men­te ent­wi­ckelt hat. Die NATO soll­te die rus­sisch-chi­ne­si­sche mili­tä­ri­sche Zusam­men­ar­beit durch­aus auf­merk­sam ver­fol­gen, aber kein Miss­ver­ständ­nis dar­über auf­kom­men las­sen, dass Russ­land die grö­ße­re Wach­sam­keit verlangt.[15] Alles ande­re wäre für eine Viel­zahl von Mit­glie­dern nicht akzep­ta­bel, wür­de einen Keil in die Alli­anz trei­ben und somit die not­wen­di­ge inne­re Geschlos­sen­heit gefährden.

Glei­ches gilt (3)  für die chi­ne­si­sche Her­aus­for­de­rung – die NATO darf sich in die­ser Fra­ge nicht spal­ten las­sen. In der NATO besteht bis­lang eine vor­sich­ti­ge, nahe­zu for­mel­haf­te Einig­keit dar­in, wel­chen Part sie gege­be­nen­falls im Umgang mit Peking ein­neh­men soll­te. Vie­les jedoch bleibt im Vagen, exis­tie­ren­de Dif­fe­ren­zen wer­den mit diplo­ma­ti­schen Flos­keln über­spielt, haupt­säch­lich, weil nie­mand die „Wie­der­ent­de­ckung“ der NATO durch die Regie­rung von Prä­si­dent Biden gefähr­den möch­te. Chi­na steht nun wäh­rend des Ukrai­ne-Kriegs an der Sei­te Russ­lands und posi­tio­niert sich dabei nicht nur gegen die USA, son­dern auch gegen das auf den Prin­zi­pi­en der Frei­heit, Gleich­heit und indi­vi­du­el­ler Selbst­be­stim­mung fußen­de libe­ra­le Ord­nungs­mo­dell. Chi­nas still­schwei­gen­de Bil­li­gung der rus­si­schen Inva­si­on in der Ukrai­ne führt vor Augen, dass die sys­te­mi­sche Riva­li­tät zwi­schen Chi­na und den USA eines Tages zu einem ähn­li­chen Sze­na­rio im indo-pazi­fi­schen Raum (Chi­na-Tai­wan) füh­ren könn­te. Die Reak­ti­on, die Einig­keit und Här­te des Wes­tens gegen­über Russ­land, ist unzwei­fel­haft eine der Leh­ren, die Chi­na aus die­ser Inva­si­on zie­hen wird. Es gilt daher immer zu unter­strei­chen, dass die­se Dimen­si­on des Groß­macht­wett­be­werbs nicht zwi­schen Chi­na und den Ver­ei­nig­ten Staa­ten besteht, son­dern zwi­schen Chi­na und der trans­at­lan­ti­schen Gemein­schaft, die durch gemein­sa­me Wer­te, Inter­es­sen und Geschich­te ver­bun­den ist. So wie die Ein­heit des Bünd­nis­ses ange­sichts der rus­si­schen Aggres­si­on von ent­schei­den­der Bedeu­tung ist, so soll­te die NATO auch in der Chi­na-Fra­ge eine Spal­tung vermeiden.

Chi­nas Ent­wick­lung als stra­te­gi­scher Akteur wird auch sicher­stel­len, dass die Alli­anz wei­ter­hin ein nuklea­res Bünd­nis blei­ben wird. Sie könn­te (4) mit­tel­fris­tig aller­dings eine Anpas­sung der NATO-Nukle­ar­stra­te­gie erfor­dern. Chi­na ist eine Atom­macht mit stra­te­gi­scher Reich­wei­te. Im Som­mer 2021 wur­den Berich­te bekannt, denen zufol­ge Chi­na mit dem Bau von mehr als 250­-300 neu­en Silos für Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten begon­nen hat – was auf eine bedeu­ten­de Erwei­te­rung von Pekings nuklea­ren Fähig­kei­ten hin­wei­sen könnte.[16] Solan­ge die Län­der des euro-atlan­ti­schen Raums von irgend­ei­nem Punkt der Welt, Asi­en inklu­si­ve, einer ato­ma­ren Bedro­hung aus­ge­setzt sind, wird die NATO ein nuklea­res Bünd­nis blei­ben. Zugleich soll­te man die Bestre­bun­gen inten­si­vie­ren, Chi­na in Rüs­tungs­kon­troll- und Abrüs­tungs­ver­ein­ba­run­gen ein­zu­be­zie­hen. So hat NATO-Gene­ral­se­kre­tär Jens Stol­ten­berg in sei­nem Gespräch mit dem chi­ne­si­schen Außen­mi­nis­ter am 27.09.2021 nicht nur grund­sätz­lich die Bezie­hun­gen zwi­schen der NATO und Chi­na erör­ter­tet und den sich aus­wei­ten­den Dia­log zwi­schen bei­den Akteu­ren begrüßt. Stol­ten­berg for­der­te Chi­na dane­ben auf, sich in Bezug auf sei­ne nuklea­ren Fähig­kei­ten und sei­ne Dok­trin sinn­voll am Dia­log, an ver­trau­ens­bil­den­den Maß­nah­men und an Trans­pa­renz­maß­nah­men zu beteiligen.[17]

Ange­sichts der skiz­zier­ten inter­nen Dif­fe­ren­zen erscheint es frag­lich, ob die NATO eine Mili­tär­stra­te­gie eigens für Chi­na for­mu­lie­ren wird. Sie soll­te aber (5) die Mit­glied­staa­ten ermun­tern, ihre jewei­li­gen Stra­te­gie­do­ku­men­te zum The­ma Chi­na zu koor­di­nie­ren. Denn für eini­ge ihrer Mit­glie­der ist Chi­na ein wich­ti­ger Trei­ber der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik. Dies gilt ins­be­son­de­re für die USA und in gerin­ge­rem Maß für Kana­da, Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en. Mili­tä­ri­sche Übun­gen im Indo­pa­zi­fik und Ope­ra­tio­nen für freie Schiff­fahrt im Süd­chi­ne­si­schen Meer soll­ten die Mit­glied­staa­ten auf mul­ti­la­te­ra­ler oder bila­te­ra­ler Ebe­ne koor­di­nie­ren und dabei auch NATO-Part­ner­län­der wie Aus­tra­li­en, Finn­land, Japan, Neu­see­land, Schwe­den und Süd­ko­rea einbeziehen.[18]

Die NATO soll­te außer­dem (6) ihre Bezie­hun­gen zu bereits bestehen­den Part­nern im pazi­fi­schen Raum – Aus­tra­li­en, Neu­see­land, Süd­ko­rea und Japan – ver­tie­fen. Die poli­tisch-kon­sul­ta­ti­ve Dimen­si­on die­ser Ver­bin­dun­gen soll­te sie erwei­tern durch regel­mä­ßi­ge­re und robus­te­re mili­tä­ri­sche Übun­gen (ins­be­son­de­re Luft‑, See- und Spe­zi­al­kräf­te­übun­gen) und Ope­ra­tio­nen, dar­un­ter auch sol­che, die der Frei­heit der Schiff­fahrt die­nen. Der­ar­ti­ge Unter­neh­mun­gen unter der Flag­ge der NATO wären eine sinn­vol­le Ergän­zung zu den ame­ri­ka­ni­schen See- und Luft­übun­gen im Pazi­fik, an denen seit Lan­gem auch euro­päi­sche Ver­bün­de­te teil­neh­men. An frü­he­ren RIMPAC (Rim of the Paci­fic)-Übun­gen der USA waren bei­spiels­wei­se Mili­tär­flug­zeu­ge, Schif­fe und Stä­be aus Däne­mark, Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en, Kana­da, den Nie­der­lan­den und Nor­we­gen beteiligt.

Für eine opti­mier­te Lage­bild­ge­win­nung und einen ent­spre­chen­den Infor­ma­ti­ons­aus­tausch wäre es (7) fer­ner von Vor­teil, im indo­pa­zi­fi­schen Raum ein Cen­ter of Excel­lence ein­zu­rich­ten und Offi­zie­re aus­ge­wähl­ter Part­ner­staa­ten in die Kom­man­do­struk­tur des Bünd­nis­ses zu inte­grie­ren. Eine sol­che Initia­ti­ve wür­de dazu bei­tra­gen, das Ver­ständ­nis der Alli­anz für den indo­pa­zi­fi­schen Raum zu ver­bes­sern, ihre Prä­senz in der Regi­on zu insti­tu­tio­na­li­sie­ren und die Part­ner mit den Auf­ga­ben, Struk­tu­ren und Abläu­fen der NATO bes­ser ver­traut zu machen. Gege­be­nen­falls könn­te man auch, um die Übun­gen und Ope­ra­tio­nen der NATO zu koor­di­nie­ren, ein klei­nes mili­tä­ri­sches Haupt­quar­tier im indo­pa­zi­fi­schen Raum ein­rich­ten und zum Bei­spiel in das Cen­ter oder das Pazi­fik­kom­man­do der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ein­bet­ten. Die­se Maß­nah­me könn­te eben­falls zur Infor­ma­ti­on der NATO über Ent­wick­lun­gen in der Regi­on bei­tra­gen und, wenn sich die Gele­gen­heit dazu bie­tet, die Zusam­men­ar­beit mit Chi­na fördern.

In die­sem Zusam­men­hang gilt es (8) die Form und die The­men des direk­ten Aus­tau­sches mit Chi­na zu defi­nie­ren. Aus­gangs­punkt ist, dass die Volks­re­pu­blik es anzu­stre­ben scheint, auf Dau­er eine euro­päi­sche Macht zu wer­den. Eini­ge Vor­schlä­ge zu einem NATO-Chi­na-Dia­log oder gar einem per­ma­nen­ten NATO-Chi­na-Rat sind vor die­sem Hin­ter­grund bereits unter­brei­tet wor­den. Auch Ange­la Mer­kel hat in ihrer Amts­zeit als Bun­des­kanz­le­rin im Kon­text des Brüs­se­ler Gip­fels dafür plä­diert, Chi­na ein insti­tu­tio­na­li­sier­tes Dia­log­an­ge­bot zu machen. Die­ses wür­de ana­log zum NATO-Russ­land-Rat gebil­det wer­den, des­sen Wur­zeln bis ins Jahr 1997 zurück­rei­chen. Damit wür­de die Rea­li­tät von Chi­nas wach­sen­dem Ein­flus­ses und zuneh­men­der Reich­wei­te aner­kannt. Die Bünd­nis­mit­glie­der wür­den ange­spornt, sich mit den von Chi­na aus­ge­hen­den Her­aus­for­de­run­gen koor­di­niert, ernst­haft und umfas­send zu befas­sen. Es könn­te eben­so dazu die­nen, Mög­lich­kei­ten einer kon­struk­ti­ven Zusam­men­ar­beit mit Chi­na zu ermit­teln und zu för­dern, etwa bei der Bekämp­fung von Pira­te­rie. Noch erscheint dies ver­früht und ange­sichts der exis­tie­ren­den Span­nun­gen unter den NATO-Part­nern unpas­send. Einst­wei­len wäre es ver­dienst­voll, die Koor­di­nie­rung der chi­na­po­li­ti­schen Stra­te­gie­de­bat­ten in der NATO und der EU in Gang zu bringen.[19]

Bio­gra­phie

PD Dr. habil. Mar­kus Kaim ist Seni­or Fel­low in der For­schungs­grup­pe Sicher­heits­po­li­tik der Stif­tung Wis­sen­schaft und Poli­tik (SWP). 2007 hat er als Ver­tre­ter des Lehr­stuhls „Inter­na­tio­na­le Poli­ti­k/Au­ßen- und Sicher­heits­po­li­tik“ an der Uni­ver­si­tät Kon­stanz gelehrt und war anschlie­ßend Inha­ber des DAAD-Gast­lehr­stuhls für „Ger­man and Euro­pean Stu­dies“ an der Uni­ver­si­ty of Toron­to. Er ist Lehr­be­auf­trag­ter an der Her­tie School of Gover­nan­ce, Berlin.
Dr. Ange­la Stan­zel ist Wis­sen­schaft­le­rin in der For­schungs­grup­pe Asi­en der Stif­tung Wis­sen­schaft und Poli­tik (SWP). Davor war sie Seni­or Fel­low im Asi­en­pro­gramm des Euro­pean Coun­cil on For­eign Rela­ti­ons sowie Seni­or Fel­low im Asi­en­pro­gramm des fran­zö­si­schen Think Tanks Insti­tut Mon­tai­g­ne. Sie hat an der Frei­en Uni­ver­si­tät im Fach­be­reich Sino­lo­gie promoviert.

Fuß­no­ten

[1] Lon­don Decla­ra­ti­on. Issued by the Heads of Sta­te and Government par­ti­ci­pa­ting in the mee­ting of the North Atlan­tic Coun­cil in Lon­don 0­4 Decem­ber 2019, https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_171584.htm.

[2] Head of NATO says mem­ber sta­tes need to ’streng­t­hen’ poli­cy on Chi­na, CBC, 13.6.2021, https://www.cbc.ca/news/politics/stoltenberg-barton-china-nato-trump‑1.6063130.

[3] Vgl. für die­se Pha­se Cha­cho, Tania M. (2014): Poten­ti­al Part­ners in the Paci­fic? Mutu­al Inte­rests and the Sino-NATO Rela­ti­ons­hip, The Jour­nal of Con­tem­pora­ry Chi­na, 23 (87), 387–407.

[4] The Secreta­ry General’s Annu­al Report 2020, NATO, 16.3.2021.

[5] Zu die­sen unter­schied­li­chen Lagern inner­halb der NATO vgl. die Bei­trä­ge in: Dem­bin­ski, Matthias/Fehl, Caro­li­ne, Hrsg. (2021): Three Visi­ons for NATO. Map­ping Natio­nal Deba­tes on the Future of the Atlan­tic Alli­an­ce. Ber­lin: Fried­rich Ebert Stiftung.

[6] Pres­se­state­ment von Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel zum NATO-Gip­fel in Brüs­sel am 14. Juni 202, https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressestatement-von-bundeskanzlerin-merkel-zum-nato-gipfel-in-bruessel-am-14-juni-2021–1928838. Zur Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung vgl. auch „Not­wen­dig­keit einer NATO-Chi­na-Stra­te­gie“. Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf die Klei­ne Anfra­ge der Abge­ord­ne­ten Dr. Mar­cus Faber, Frank Mül­ler-Rosen­tritt, Alex­an­der Graf Lambs­dorff, wei­te­rer Abge­ord­ne­ter und der Frak­ti­on der FDP (BT-Druck­sa­che 19/26322), Ber­lin 2021.

[7] Zitiert nach David M. Her­szen­horn, Rym Mom­taz: NATO lea­ders see rising thre­ats from Chi­na, but not eye to eye with each other, Poli­ti­co, 14.6.2021, https://www.politico.eu/article/nato-leaders-see-rising-threats-from-china-but-not-eye-to-eye-with-each-other/.

[8] Vgl. Nou­wens, Meia/Legarda, Hele­na (2020): Chinas´s Rise as a Glo­bal Secu­ri­ty Actor: Impli­ca­ti­ons for NATO. Lon­don: MERICS/IISS (44–50).

[9] Ebd.

[10] Yan Xue­tong, „China’s Ukrai­ne Conund­rum — Why the War Neces­si­ta­tes a Balan­cing Act”, For­eign Affairs, 2.5.2022, https://www.foreignaffairs.com/articles/china/2022–05-02/chinas-ukraine-conundrum.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Hen­rik Lar­sen: NATO Shouldn’t Try to Do Too Much on Chi­na. NATO’s Chi­na poli­cy must focus on core busi­ness, The Diplo­mat, 16.7.2021, https://thediplomat.com/2021/07/nato-shouldnt-try-to-do-too-much-on-china/.

[14] Brauss, Hein­rich (2020): Euro­pas bedroh­li­cher Nach­bar, Inter­na­tio­na­le Poli­tik, 75 (2), 48–51.

[15] Maull, Hanns W. (2021): Der neue Blick. Chi­na gerät stär­ker in den Fokus des Nord­at­lan­ti­schen Bünd­nis­ses, Inter­na­tio­na­le Poli­tik, 76 (5), 58–62; Sven Biscop: Biden, NATO and the EU: Who deals with Chi­na, and who with Rus­sia?, Egmont Insti­tu­te, 29.3.2021, https://www.egmontinstitute.be/biden-nato-and-the-eu-who-deals-with-china-and-who-with-russia/.

[16] Vgl. Bug­os, Shannon/ Mas­ter­son, Julia (2021): New Chi­ne­se Mis­si­le Silo Fiel­ds Dis­co­ve­r­ed, Arms Con­trol Today, https://www.armscontrol.org/act/2021–09/news/new-chinese-missile-silo-fields-discovered; Tong Zhao: What’s Dri­ving China’s Nuclear Buil­dup?, Car­ne­gie Com­men­ta­ry, 5.8.2021, https://carnegieendowment.org/2021/08/05/what-s-driving-china-s-nuclear-buildup-pub-85106.

[17] NATO Secreta­ry Gene­ral meets vir­tual­ly with China’s For­eign Minis­ter Wang Yi, 27.9.2021, https://www.nato.int/cps/en/natohq/news_186940.htm

[18] Heis­bourg, Fran­cois (2020): NATO 4.0: The Atlan­tic Alli­an­ce and the Rise of Chi­na, Sur­vi­val, 62 (2), 83—102.

[19] Riecke, Hen­ning (2021): Der nahe Fer­ne Osten: Die NATO braucht mehr als nur ein stra­te­gi­sches Selbst­ge­spräch über Chi­na. Ber­lin: Bun­des­aka­de­mie für Sicherheitspolitik.