Was kommen mag
CIVIS mit Sonde im Titelinterview mit dem Thüringer Spitzenkandidaten Mike Mohring: über den erfahrenen Zuspruch in schwerer Zeit, die Volkspartei der Influencer, das Grundgesetz aus dem Blick der östlichen Bundesländer, eine Politik mit den Bürgern und europäische Emotionen.
CIVIS: Herr Mohring, Sie haben zuletzt mit viel Mut der Öffentlichkeit von Ihrer Krankheit berichtet. Woher haben Sie diesen Mut gezogen? Haben Sie in dieser schweren Phase den Glauben wiederentdeckt?
Mohring: Wiederentdecken musste ich den nicht. Aber ich habe die Dinge in den letzten Wochen und Monaten häufiger hinterfragt, auch mich selbst. Nach meiner letzten Chemotherapie habe ich die letzten Zeilen eines Bonhoeffer-Gedichts online gestellt: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Das war für mich ein wichtiger Punkt, den Prozess zumindest medizinisch abgeschlossen zu haben. Jetzt liegt es in anderen Händen, wie der Körper es aufnimmt. Aber ich verlasse mich darauf, dass es gut wird. Es gibt Halt, wenn man weiß, dass da noch jemand ist, der immer bei uns ist.
CIVIS: Sie haben davon berichtet, viel Zuspruch aus der Bevölkerung erhalten zu haben. Was haben Ihnen die Menschen gesagt? Inwiefern spielte in der Kommunikation auch der christliche Glaube eine Rolle?
Mohring: Viele Leute haben mir Gebete und Zeilen geschickt, die sie in Zeiten getragen haben, in denen sie es schwer hatten. Das war teils sehr persönlich, sehr beeindruckend. Genauso wie es natürlich beeindruckend war, dass mir ganz viele ihre eigenen Schicksale geschildert haben und das immer noch tun. Die Menschen sagen mir, dass ihnen mein Auftreten Kraft und Mut gibt. Und das wiederum gibt mir Kraft, dass so viele Leute auf mich zukommen und mich positiv begleiten. Ich weiß gar nicht, was gewesen wäre, wenn ich nicht so viel Zuspruch erhalten hätte.
CIVIS: Gerade auch in Thüringen hatte man den Eindruck, dass Sie fair behandelt wurden. Wenn man etwa den amerikanischen Wahlkampf an- schaut, in dem bei gesundheitlichen Problemen direkt die persönliche Eignung hinterfragt wird, war das vielleicht nicht selbstverständlich. War das besonders schön zu sehen?
Mohring: Das war eine erfreuliche Erfahrung. Viele Beobachter haben gesagt, dass es richtig war, in die Öffentlichkeit zu treten. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich das mache und in welcher Form und erst mal abgewartet, wie die Therapie verläuft und wie mein Körper das alles verkraftet. Ich wollte mich erst einmal sammeln. Nachdem ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, hat dieses hohe Maß an Mitmenschlichkeit geholfen, auch von den politischen Mitbewerbern, die ja aus allen politischen Lagern Genesungswünsche geschickt haben. Dass alle so anständig geblieben sind, verdient Respekt.
CIVIS: Ein Lichtblick im sonst oft wenig zimperlichen politischen Betrieb?
Mohring: Ja, vor allem ein völliges Gegenteil zu dem, was man sonst in den sozialen Netzwerken erlebt. Auch da habe ich im Verhältnis 1000 zu 1 Zuspruch erlebt, ehrlichen Herzens und mitfühlend. Und viele Leute, die geschrieben haben: „Ich bin mit der Politik der CDU nicht einverstanden, aber ich wünsche Ihnen alles Gute, gute Genesung.“ Das hätten die Leute nicht tun müssen, doch es war ihnen ein besonderes Bedürfnis.
CIVIS: Wenn man durch so eine Phase geht, was kann man mit dem Lesen von Papieren, seien es auch kluge Positionspapiere, der Antrags- schwemme und Geduldigkeit des Papiers noch anfangen? Welche Bedeutung mag man dem noch beimessen?
Mohring: Dieselbe Bedeutung wie vorher. Das gehört zu unserem Geschäft dazu. Ich finde nur, dass viele Prozesse zu langatmig sind. Wenn es weniger Eitelkeiten gäbe, wäre manches einfacher. Ich habe das umschrieben mit dem Satz: Wenn man in Beratungen geht mit dem Wissen, der andere könnte auch Recht haben, könnte man sich häufig schneller verständigen.
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Die CDU als Volkspartei:
ihre Mitglieder als Kommunikatoren
CIVIS: So gesehen könnte auch der Prozess zum neuen CDU-Grundsatzprogramm die Gefahr bergen, länglich zu werden.
Mohring: Das ist aber etwas ganz Anderes. Die breite Beteiligung der Mitglieder ist positiv. Das habe ich in Thüringen auch so angelegt, als wir vor zehn Jahren unser Grundsatzprogramm geschrieben haben. Es ist richtig, die Basis einzubeziehen und sich zu fragen: Was macht uns eigentlich aus? Warum sind wir alle in derselben Partei? Die einen aus der Bauernpartei, die anderen aus der CDU der DDR, die anderen aus dem Neuen Forum oder Demokratischen Aufbruch, die anderen ganz neu dazugekommen: alle in derselben CDU. Was verbindet uns? Das kann kein Vorstand allein beantworten. Diese Fragen immer wieder zu erörtern, und sich zu vergewissern, was noch gilt und gegebenenfalls nach zu justieren, das muss eine Partei immer wieder tun. So gesehen finde ich diesen Prozess richtig. Und auch, dass er gerade jetzt stattfindet.
CIVIS: Sie betonen immer wieder, dass die CDU die Partei der Mitte ist. Haben Sie das Gefühl, sie bewegt sich in eine Richtung weg? Kalibriert sich da etwas neu? Mit der neuen Vorsitzenden?
Mohring: Ich glaube die Partei wird gerade selbstbewusster und stellt sich als Volkspartei wieder breiter auf. Sie justiert nach. Das gehört dazu, dass man zwischendurch schaut, ist noch alles richtig kalibriert. Das finde ich sehr positiv. Ab und zu geht es im politischen Alltag unter, was die Partei eigentlich ausmacht. Deswegen ist es gerade in der Regierungszeit wichtig, sich selbst zu prüfen.
CIVIS: Jeder von uns beobachtet Annegret Kramp-Karrenbauer seit ihrer Wahl. Viele sind an irgendeiner Stelle von ihr überrascht. Was hat Sie am meisten überrascht?
Mohring: Überrascht hat sie mich nicht. Wer es schafft, einen solchen innerparteilichen Wahlkampf zu gewinnen, der kann auch die Partei führen. Und bei ihr wird häufig übersehen, dass sie schon viele Jahre als Ministerin Führungserfahrung gesammelt hat, bevor sie selbst Regierungschefin geworden ist. Wenn jemand auf Landesebene drei Ressorts führt, dann in die Staatskanzlei kommt, dann erfolgreich Wahlen bestreitet und dabei auch noch die Koalitionspartner rausschmeißt und trotzdem gewinnt: Dann finde ich, da überrascht nichts. Ihr Weg ins Konrad-Adenauer-Haus bestätigt eigentlich nur ihr bisheriges Tun. Diese Tatsachen haben viele übersehen, weil der Blick in die kleinen Landesverbände aus Berlin oft oberflächlich ist. Annegret Kramp-Karrenbauer tut der Partei gut. Der Wechsel, den Angela Merkel eingeleitet hat, war klug – notwendig und klug. Er war selbstbestimmt und auch ein wenig überraschend. Ich bin eigentlich kein Freund von Doppelspitzen, aber ich vermute, dass diese Doppelspitze für die Wahlperiode funktionieren kann. Ein Dauerinstrument ist sie dennoch nicht.
CIVIS: Dennoch gibt es im großstädtischen Milieu auch manches Rumoren. Viele Hauptstädter etwa hatten sich an Angela Merkel und ihren Stil gewöhnt. AKK ist nun eine Vorsitzende, die nach Ansicht mancher ein Familienbild aus den 1950er Jahren propagiert. Damit mische sich die Union plötzlich wieder in Lebensmodelle ein, was sie jahrelang nicht getan hat. Bei einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung könnte die Partei dadurch auf dem Rückweg sein.
Mohring: Ich sehe überhaupt keinen Nachteil darin, dass in der Union Mitglieder unterschiedliche Familienbilder haben und verschiedene Lebensmodelle vertreten. Niemand will die Partei auf ein bestimmtes Bild verpflichten. Eine Volkspartei, die in sehr unterschiedlichen Milieus zu Hause ist und zu Hause sein will, in ländlichen Regionen und Großstädten, steht für große Breite und Vielfalt. Ich würde raten, eine gewisse Gelassenheit an den Tag zu legen, dann kann man damit sehr gut umgehen. Das trifft sowohl auf den liberaleren, aber auch auf den konservativeren Teil zu. Wenn AKK Raum gibt für die Debatte, für Personen, dann ist das gut. Und ich habe den Eindruck, das hat sie vor. Ich nehme zum Beispiel positiv wahr, dass sie zu Friedrich Merz ein gutes Verhältnis gefunden hat und er das auch bestätigt. Viele sehen in Friedrich Merz jemanden, der den konservativen Teil durch sein eigenes Wirken glaubhaft repräsentieren kann. Auch an Repräsentanten für liberale oder christlich-soziale Positionen fehlt es in der Partei ja nicht.
CIVIS: Und auf diesem Wege kann die Stärkung der CDU als Volkspartei gelingen?
Mohring: Genau. Wir müssen diese Vielfalt als Volkspartei selbstbewusster ausleben. Wir sind die einzig verbliebene Volkspartei, egal wo in Deutschland. Von Bayern bis in den Norden, vom Osten bis in den Westen. Und das ist auch unser gesellschaftlicher Anspruch, diesen Status zu repräsentieren, damit wir auch Vertrauen gewinnen. Unsere Aufgabe ist, in einer sozial und kulturell immer vielfältigeren, auch polarisierten Gesellschaft Brücken zu bauen und zugleich Leuchtturm zu sein. Denn die Menschen erwarten in stürmischen Zeiten Orientierung. Daran können sich die Menschen orientieren – und trotzdem ihren eigenen Weg gehen.
CIVIS: Angenommen die Stärkung der Union als Volkspartei gelingt nicht oder schlägt sich nicht in ausreichender Weise in den Wahlergebnissen nieder: Ist zu erwarten, dass die Zersplitterung des politischen Systems mittelfristig dazu führt, dass Koalitionen sich bereits im Vorfeld sortieren und gemeinsam als Wahlplattform antreten?
Mohring: Das will ich nicht ausschließen, wenn der Trend zur Zersplitterung anhalten würde. Ich glaube aber eher, dass sich das Parteiensystem wieder konsolidieren wird und nicht alle Parteien, die jetzt auf dem Markt sind, auch in der Zukunft noch da sein werden. Ob dem so ist, liegt aber auch an uns.
CIVIS: Was lässt Sie hoffen, dass sich das wieder einfangen lässt?
Mohring: Wir sollten uns einfach zutrauen und daran arbeiten, die erforderliche Bindungskraft zu entwickeln. Nur wenn wir als stärkste politische Kraft dauerhaft unter 30 Prozent notieren würden, dann wären wir an so einem Punkt angekommen. Aber das sehe ich nicht.
CIVIS: Sie sprechen in Interviews immer mal wieder von einer medialen Parallelwelt. Die mag eines der Probleme sein, das wir in den politischen Diskussionen haben. Welche Strategie könnte die CDU dazu entwickeln?
Mohring: Die Frage ist doch: Woher nehmen die Leute ihre Informationen, wie bilden sie sich ihre Meinung? Wir müssen in sozialen Netzwerken mitdiskutieren und unsere Argumente einbringen. Es steht uns als Partei nicht zu, in WhatsApp-Gruppen privater Freundeskreise aufzutauchen. Aber unsere Mitglieder können ihre Freunde in solchen Debatten informieren. Da müssen wir besser werden. Und da müssen sich auch unsere Mitglieder mehr anstrengen, die bisher auch oft nur Post und Parteizeitung empfangen haben. Besser wäre, wenn sie mit diesen Informationen selbst zum Botschafter werden. Die Abgeordneten zuallererst. Aber am Ende jedes Mitglied. Dafür brauchen wir eine ganz neue Form der Kommunikation in der Partei und die haben wir noch nicht gefunden. Als Volkspartei – mit über 400.000 Mitgliedern – haben wir die riesige Chance, unzählige Influencer zu haben. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle selbst so verstehen.
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Das Grundgesetz und der gelebte Patriotismus
CIVIS: 70 Jahre Grundgesetz: Wie blicken Sie und wie schauen die Einwohner Thüringens auf dieses Datum, auch auf diese Feierlichkeit? War die Art und Weise, also der Beitritt des Ostens zum Geltungsbereich des Grundgesetzes, ein Fehler
Mohring: Ich komme ja aus dem Neuen Forum und wir haben damals als Bürgerrechtsbewegung einen eigenen Verfassungsentwurf vorgelegt. Natürlich hätten wir uns gewünscht – auch ich ganz persönlich, ich war damals 17–18 Jahre alt –, dass sich dieses geeinte Vaterland auch eine neue Verfassung gibt. Der Weg ist anders gelaufen. Er ist deshalb nicht falsch und die Debatte darüber ist eigentlich müßig. Festzuhalten ist, dass die Zeit des Umbruchs 1989/90, als so viel Neues passiert ist, Demokratie die Leute zu Hunderttausenden, Millionen begeistert hat und alle mitgestalten wollten, eine wunderbare Zeit war. Aber vielleicht hätte es auch den Weg zur deutschen Einheit überfrachtet, wenn man auch noch eine grundlegende Verfassungsdebatte geführt hätte.
CIVIS: Das wäre vor allem viel Textarbeit gewesen.
Mohring: Rückblickend kann man das schwer einschätzen. Das Zeitfenster für die Einheit war nicht groß. Und vielleicht waren die Leute klug, die entschieden haben, das nicht zu machen, weil sonst das Fenster für die Einheit zugegangen wäre. Aber wir – ich kann das aus meiner eigenen Perspektive sagen – wir haben jedenfalls dafür gestritten, für eine neue Verfassung.
CIVIS: Als ich in Jena studiert habe, hatte ich eine Kommilitonin aus Erfurt. Die sagte immer so halb scherzhaft: „Den Sandmann habt ihr uns gelassen. Das Ampelmännchen habt ihr uns gelassen. Aber der Rest kam von Euch.“ Das war so ein Gefühl, oder?
Mohring: Natürlich haben die Ostdeutschen gerade in der Zeit des Umbruchs auch einen Teil ihrer Identität verloren. Dafür haben sie an Freiheit gewonnen, sie haben an Demokratie gewonnen. Das wiegt natürlich stärker. Aber das Gefühl, dass vieles, was ihr Leben bis dahin bestimmt hat, an Gültigkeit verlor, das hat viele aus der Bahn geworfen. Hinzu kommt, dass das, was ihnen Halt gegeben hat – ihre Arbeit, wo sie sich wertgeschätzt gefühlt haben – auf einmal weg war. Nicht wenige haben jahrelang, manchmal Jahrzehnte lang keine neue Arbeit gefunden. Wenn sie irgendwo zur Bewerbung angetreten sind, wurde alles hinterfragt, was sie vorzuweisen hatten. Sie mussten sich permanent rechtfertigen. Sie hatten zurecht die Wahrnehmung, dass das ihre Kollegen im Westen nicht machen mussten. Das hat viele skeptisch werden lassen. Die Euphorie ist da ein Stück verflogen. Dennoch ist die Demokratiezufriedenheit, der Blick auf die deutsche Einheit, auf das Grundgesetz, auf die Freiheiten und Chancen, die sich ergeben haben, für mindestens drei Viertel der Bürger viel entscheidender. Die Demokratie hat feste Wurzeln im Osten.
CIVIS: Es hat jetzt diese gemeinsame Verfassung nicht gegeben. Finden Sie dennoch, das Grundgesetz taugt als Spender von Verfassungspatriotismus, Leitkultur oder Identität?
Mohring: Unbedingt, das macht sich doch auch fest an den nationalen Symbolen, an Schwarz-Rot- Gold, an einem entspannten, fröhlichen, gelassenen Patriotismus.
CIVIS: Leben wir den?
Mohring: Unterschiedlich. Es gibt Phasen der Euphorie, des Sommermärchens, da war das stärker. Ich finde jetzt spannend und beeindruckend, dass Bundespräsident Steinmeier bei seiner Rede zu 100 Jahren Weimarer Reichsverfassung Schwarz-Rot-Gold wieder so in den Mittelpunkt gerückt hat. Ich bin selber ein Freund davon. Ich kann mich an eine Auseinandersetzung mit Bodo Ramelow erinnern, der sich empört hat, als unsere Fraktion im Landtag mit schwarz-rot-goldenen Krawatten aufgetreten ist. Heute tut er so, als wäre er der größte Verfassungspatriot, aber es gab eben auch Zeiten, in denen er das alles infrage gestellt hat. Wie bei jeder Nation ist das Selbstbewusstsein, die Festigung der Identität durch nationale Symbole, von großer Bedeutung. In manchen Phasen haben wir das vernachlässigt. Ein entspannter, gelassener, positiver Patriotismus erschöpft sich nicht im Grundgesetz, er findet dort jedoch ein ausgezeichnetes Fundament. Und übrigens auch in den Landesverfassungen. Vielen Ostdeutschen sind die Debatten um die Landesverfassungen noch präsent, weil wir uns alle erst nach der friedlichen Revolution neue Verfassungen geben konnten. Sie sind damit auch ein Stück moderner als das Grundgesetz. Und das relativiert in gewisser Weise auch die Bedeutung der ausgefallenen gesamtdeutschen Verfassungsgebung.
CIVIS: Finden Sie, wir sind zu wenig dankbar für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolge, deren Rahmenbedingungen der deutsche Rechtsstaat auf Grundlage unseres Grundgesetzes geschaffen hat?
Mohring: Dankbarkeit ist keine politische Kategorie und Politiker sollten sie auch nicht erwarten. Wir haben einen permanenten Auftrag. Dazu gehört zum Beispiel, das Sicherheitsversprechen des Staates zu erfüllen. Viele haben das Gefühl, dass der Staat ihnen dieses Versprechen nicht mehr uneingeschränkt geben kann. Aber sie erwarten zu Recht einen starken Staat, der ihnen Freiheit und Sicherheit gleichermaßen garantiert, der diejenigen, die Sicherheit für uns garantieren als Polizisten, als Rettungseinsatzkräfte, schützt und anerkennt. Da haben wir in der neuen Koalition als CDU/CSU jetzt auch viel getan. Wenn es uns gelingt, Vertrauen zurückzugewinnen, dann gibt es im Gegenzug das Vertrauen in die Institutionen und in die Politik.
CIVIS: Das sind Themen, die Sie immer wieder ansprechen, dass das Vertrauen in die Institutionen schwindet, in den Rechtsstaat, in das staatliche Gewaltmonopol. Gleichzeitig aber wächst die reale Sicherheit, wenn man sich die Kriminalitätsstatistiken ansieht. Die Frage ist, wo und wie kann die Politik da ansetzen und Vertrauen spenden?
Mohring: Es genügt ein spektakuläres Verbrechen, um bei den Leuten die Skepsis zu verstärken und Vertrauen schwinden zu lassen. Das ist ein Problem. Ein anderes, dass wir oft zu zögerlich sind. Wir haben für Angriffe auf Polizeibeamte jetzt die Höchststrafe von drei auf fünf Jahren Freiheitsstrafe erhöht. Aber wir haben nicht die Mindeststrafe erhöht, weil die SPD sich verweigert hat. Und wahrgenommen wird ja die Regierung als Ganzes und nicht nur eine einzelne Partei. Wenn die Regierung kneift, was soll denn der Bürger, der eh schon skeptisch ist, davon halten? Dessen Vertrauen schwindet. Er wird dann plötzlich anfällig für die lauten Töne der Populisten, die nie Lösungen sind. Das ist die Gefahr. Da sind wir zu langsam.
CIVIS: Gilt das auch beim Thema Sicherheitsreform im Hinblick auf die Landesverfassungsschutzämter? Ist es nicht sinnvoller, Sicherheit in diesem Bereich als nationale Aufgabe zu begreifen?
Mohring: Richtig ist, der Verfassungsfeind macht nicht an der Landesgrenze zwischen Hessen und Thüringen halt.
CIVIS: Aber der Staat in der Kompetenzabgrenzung.
Mohring: Deswegen braucht es eine nationale Strategie, in die die Arbeit der Landesämter für Verfassungsschutz eingebettet wird. Nachdem der Nationalsozialistische Untergrund, der NSU, aufgeflogen und verheerende Fehler in der Sicherheitsarchitektur sichtbar geworden sind, ist auch schon viel verändert worden. Wir brauchen eine bundesweite Koordination und Bündelung der Informationen. Die Länder graben sich jedoch das Wasser ab, wenn sie sich querstellen. Wir sehen es nun schon seit Jahren bei Rot-Rot-Grün in Thüringen. Die Linke stellt den Verfassungsschutz infrage. Die Linke beleidigt die Polizisten mit ihren linksextremistischen Sprayern mit “ACAB” – “All cops are bastards” – und lassen den Innenminister und seine Behörde hängen. Der Verfassungsschutz wird permanent infrage gestellt. Das alles stärkt nicht das Vertrauen in die Institutionen. Wer sich so verhält, ruiniert den Föderalismus. Auch deshalb muss die Linke heraus aus der Thüringer Staatskanzlei.
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Für eine neue Politik in Thüringen: nicht über die Köpfe der Menschen hinweg
CIVIS: Jetzt haben wir in diesem Jahr drei Landtagswahlen vor der Brust. Alle vier Jahre wählen wir den Bundestag, dazwischen finden ständig diverse Landtagswahlen statt. Bundesthemen funken in die Landesthemen rein, und umgekehrt. Da stellt sich die strukturelle Frage, ob man diese ganzen Landtagswahltermine nicht mal harmonisiert – anstatt permanent die Jagd durch den politischen Zirkus zu betreiben?
Mohring: Das würde schon praktisch auf längere Sicht kaum funktionieren, weil zum Beispiel Regierungen zurücktreten oder Wahlperioden aus anderen Gründen außerplanmäßig zu Ende gehen. Ich glaube, es tut der Demokratie auch gut, wenn Politik sich durchgängig und immer wieder hinterfragen lassen und rechtfertigen muss. Das mag mühselig sein, anstrengend sein, aber ich finde, das ist doch das beste Regulativ. Denn das Volk kann jederzeit in irgendeinem Teil des Landes seine Zustimmung geben oder rote Karten verteilen.
CIVIS: In der gefühlten Wahrnehmung sind das derzeit viele roten Karten.
Mohring: Das liegt eben auch daran, dass so viele Leute auf der Suche nach Orientierung sind, viele sich zurückgelassen fühlen. Das darf uns nicht erschüttern, sondern fordert uns mehr. Aus den Herausforderungen folgt nicht der Untergang der Volkspartei. Es braucht doch diese eine prägende Kraft im politischen System, die bündeln kann, die Brücken baut, die koalitionsfähig ist. Und es ist zuallererst die Aufgabe einer Partei in der Mitte, vor allem in der breiteren bürgerlichen Mitte, sich diese Bindungs- und Anschlussfähigkeit zu bewahren. Die Randparteien und Splitterparteien und Protestparteien können diese Bindungskraft nie erzielen. Umso größer ist die Herausforderung für uns.
CIVIS: Eine Herausforderung, die durch den permanenten Wahlkampf noch verschärft wird.
Mohring: Ich habe dafür plädiert, dass die Thüringer mit Sachsen und Brandenburg am 1. September zusammen wählen und es die eine große Ostwahl in diesem Jahr gibt. Das wäre eine Chance gewesen, die Probleme des Ostens in Berlin stärker in den Fokus zu rücken, wenn in drei Ländern gleichzeitig gewählt würde. Aber das haben Bodo Ramelow und die Linke abgelehnt und damit die Koalitionspartner Grüne und SPD genauso. Sie wollten einen eigenen Wahltermin haben.
CIVIS: Diese Frage wird man Ihnen in den kommenden Wochen und Monaten wohl noch häufiger stellen, aber: Wenn Sie Ministerpräsident werden, was machen Sie anders als Ramelow?
Mohring: Das kann ich ganz klar sagen. Wir wollen nicht über die Köpfe der Bürger hinweg Politik machen, sondern mit ihnen Politik gestalten und sie einbinden – und das ohne die Arroganz der Macht, wie wir sie bei Rot-Rot-Grün erleben. Wenn das gelingt, kann man in einem Land eine ganze Menge bewegen. Da ist auch Selbstkritik angezeigt. Im Verhalten des Thüringer Linksbündnisses haben wir auch oft unser eigenes Verhalten vor 2014 gespiegelt gesehen. Ich will den Beweis antreten, dass wir in der Opposition und aus dem Fehlverhalten der Linkskoalition gelernt haben. Bei der sind Wort und Tat völlig auseinandergefallen: „Mehr Bürgerbeteiligung“ oder das Petitionsrecht tragen sie immer wie eine Monstranz vor sich her, in der Realität haben sie aber so ignorant wie keine Regierung zuvor in Thüringen Bürgerinteressen mit Füßen getreten. Ein Beispiel: Jüngst gab es im Petitionsausschuss eine Sitzung zum Schulgesetz. Die Linkskoalition provoziert mit diesem Gesetz, dass kleine Schulen im ländlichen Raum geschlossen werden. Tausende Leute haben dagegen eine Petition unterschrieben. Dann werden diese Bürger angehört und vom zuständigen Kultusministerium ist niemand da. Und auf unseren Antrag, der Minister möge sich den Petenten erklären, lehnt das Rot-Rot-Grün einfach ignorant ab. Und diese Art hat sich durch die ganzen Regierungsjahre gezogen.
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Ein Mangel an emotionalen Gesten in Europa
CIVIS: Vor die Landtagswahlen hat der Kalender die Europawahl gesetzt. Wie erklärt man einem Thüringer Europa? Wie kämpft man als CDU-ler, der Leidenschaft für Europa in der DNA trägt, bei einem Publikum, das europäischen Gedanken vermutlich nicht immer aufgeschlossen gegenübersteht?
Mohring: Indem man beweist, dass Europa notwendig ist. Europa, allen voran die Europäische Union, steht am Ende genauso wie die Volksparteien unter Rechtfertigungsdruck. Und irgendwie fehlt es an der gemeinsamen Zukunftsidee. Friedensprojekt, Wirtschaftsunion, Währungsunion – das ist alles richtig, aber das reicht für die Zukunft nicht als Begründung. Und wie in der Politik üblich: Zukunft lässt sich nicht allein durch den Verweis auf die Vergangenheit beschreiben. Wir reden seit Jahren über die Sicherung der Außengrenzen und kommen nicht aus dem Knick. Es gibt keine Antwort darauf, wie sich Europa stärker behaupten kann gegenüber den USA, China und Russland, wie Europa auch verteidigungspolitisch enger zusammenrücken kann. Frankreich und Deutschland suchen nach einem gemeinsamen Projekt und tun sich mit der Einigung schwer. Auch die Empathie zwischen den Regierungschefs hat nachgelassen. Ein technokratisches Gebilde alleine erwärmt keine Herzen. Es fehlt an emotionalen Gesten in Europa. Die Auftritte Adenauers und de Gaulles, der Kniefall Brandts in Warschau, Mitterand und Kohl Hand in Hand vor Soldatengräbern, Kohl mit Gorbatschow im Kaukasus. Ich suche vergeblich nach diesen Bildern im letzten Jahrzehnt.
CIVIS: Aber da hat die heutige Generation politisch Verantwortlicher es auch schwer. An viele Symbolthemen wurde schon ein Haken gemacht. Irgendwann kann man das nicht mehr toppen. Bei aller Sympathie für Kohl und Mitterrand: Über manche politischen Feinarbeiten haben die sich auch keine Gedanken gemacht. Und da hat man es heute nicht leicht.
Mohring: Die eben genannten Themen werden zu wenig diskutiert, stattdessen wird öffentlich gleich alles abqualifiziert. Macron hält eine Rede, AKK entgegnet und dann sagen gleich wieder alle: Nein, alles falsch.
CIVIS: Weil man dafür vielleicht auch nochmal ein neues Format finden muss. Dieses Vorgehen, Paris hält eine Rede und erwartet eine Antwort aus Berlin, das funktioniert doch nicht.
Mohring: Eine Rede zur Lage der Nation wäre ein Instrument. Das ist ein Format, in dem man diese großen Fragen behandeln könnte. Einmal im Jahr die großen Linien zeichnen, länger denken und auch Debatten auslösen. Das wollen die Leute auch. Das würde Orientierung geben. Bisher sind wir doch in dem Rhythmus drin: Es gibt einen EU-Gipfel und dann gibt es eine mehr oder minder beachtete Regierungserklärung. Das war‘s. Das ist alles richtig, aber ist doch auch eher eine Pflichterfüllung.
CIVIS: Ein Teil der aktuellen Regierung würde sich wahrscheinlich schon an dem Wort „Nation“ stoßen.
Mohring: Schlimm genug. Das ist eine Frage der Emotionen, und da sind wir auch wieder bei Patriotismus und Identitäten. Wir müssen uns nicht unterhalten, ob Behörden in den Osten verlegt werden, damit Identität, nationaler Zusammenhalt gestiftet wird. Es geht um ein Selbstbewusstsein, das sich seiner selbst tatsächlich bewusst ist, ein Nationalbewusstsein. Dazu haben die Ostdeutschen aus ihrer besonderen historischen Erfahrung viel zu sagen. Dazu müssen sie allerdings dort präsenter sein, wo öffentliches Bewusstsein, wo Meinung geprägt wird: in den Universitäten, in der Publizistik, in den Verwaltungen, in der Justiz in der Bundeswehr. Wir brauchen sicherlich keine Ostquote, aber eine größere Sensibilität dafür, bei Einstellungen, Beförderungen und Berufungen. Solange etwa das halbe Thüringer Kabinett am Wochenende auspendelt, weil etliche Minister und Staatssekretäre nicht aus dem Land kommen, stimmt etwas nicht. Es geht gar nicht um die Frage Ost-West, West-Ost. Es ist einfach nur die Frage: Würde in anderen Ländern so ein Zustand hingenommen werden? In Bayern etwa? Ich behaupte: Das würde nicht passieren.
Mike Mohring
ist seit 2008 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag und seit 2014 Landesvorsitzender der CDU Thüringen. Seit 2010 ist er Mitglied im Bundesvorstand, seit 2018 auch Mitglied im Präsidium der CDU Deutschlands. Bei der Thüringer Landtagswahl am 27. Oktober 2019 tritt er als Spitzenkandidat der CDU an.
Das Gespräch fand am 24. März 2019 in Berlin statt.
Interview: Christine Hegenbart & Sebastian Hass
Redaktionelle Mitarbeit: Christina von Busch & Carl-Philipp Sassenrath