Wunsch und Wirklichkeit Was kann feministische Außenpolitik?
- Civis
- 17. März
- 4 Min. Lesezeit
von Annette Widmann-Mauz

Seit nunmehr zwei Jahren regieren die Taliban in Afghanistan – mit verheerenden Folgen für die Rechte von Frauen und Mädchen. Im September jährt sich der gewaltsame Tod von Mahsa Amini, der im Iran landesweite Proteste gegen die Unterdrückung von Frauen und das Mullah-Regime auslöste. In den USA, Brasilien und anderswo erstarken ultra-konservative Gruppen, die rückwärtsgewandte gesellschaftliche Familien- und Geschlechterbilder predigen.
Die Außenpolitikerin Annette Widmann-Mauz fragt: Was hat die feministische Außenpolitik der Bundesregierung dem entgegenzusetzen? Ihre nüchterne Bilanz: Zu wenig – denn sie droht an der Wirklichkeit harter Interessenspolitik und ideologischer Über- höhung zu scheitern. Wunsch und Wirklichkeit von Annette Widmann-Mauz Was kann feministische Außenpolitik? Was für ein Leben muss das sein, wenn man als Frau nicht anziehen darf, was man will, nicht allein in einer Wohnung leben, allein verreisen oder ein eigenes Bankkonto haben darf?
Genau das erleben Millionen Frauen und Mädchen – von Afghanistan, wo Frauen öffentlich ausgepeitscht werden, wenn sie es wagen, ohne männliche Begleitung im Park spazieren zu gehen, bis in die Ukraine, wo Frauen und Mädchen von russischen Soldaten systematisch verschleppt, brutal vergewaltigt und zum Teil zwangssterilisiert werden. Seit die deutsche Außenpolitik im März offiziell „feministisch“ geworden ist, wirft das ein grelles Schlaglicht auf die verzweifelte Lage von Frauen und Mädchen weltweit – und das ist gut so.
Moral macht noch keine Politik Doch was moralisch erstrebenswert scheint, muss in der Praxis nicht unbedingt zielführend sein. Wer auf dem Papier allumfassende Ansprüche stellt – femi- nistische Außenpolitik soll nach Lesart der Bundes- regierung alle Länder, alle Geschlechter, alle Formen der Diskriminierung, alle Religionen und Kulturen umfassen – läuft Gefahr, in der Praxis das genaue Gegenteil zu erreichen. Terminologie und Ansatz wirken im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv, weil sie als neuer westlicher Werteimperialis- mus verstanden werden können, der emanzipieren und erziehen will und als anmaßend oder belehrend wahrgenommen wird.
Feministische Außenpolitik wird dann unweigerlich zum Instrument einer Macht- und Interessenpolitik, die die Substanz des Werte-, Traditions- und Kulturkanons anderer Länder angreift und damit im Zweifel Türen ver- schließt, noch bevor Dialog überhaupt möglich ist. Feministische Außenpolitik muss sich in erster Linie an der Realität messen. Wer der besonderen Situa- tion und den spezifischen Bedürfnissen von Frauen und Mädchen wirklich Rechnung tragen will, muss sich politischen Realitäten stellen und pragmatische Lösungen verfolgen.
Doch bei allen aktuellen Krisen und Entwicklungen, bei denen die feministische Außenpolitik wirklich gefordert wäre, stößt sie schnell an realpolitische Grenzen und verliert sich in Allgemeinplätzen und Unverbindlichkeiten. Im Spannungsfeld zwischen Werten und Interessen Statt in ideologischen Idealvorstellungen zu schwel- gen, braucht es deshalb einen Leitfaden und Krite- rien, die handlungsanleitend sind, wenn die Ziele feministischer Außenpolitik etwa auf harte Sicher- heits- und Wirtschaftsinteressen stoßen. Welche Rolle spielen die Rechte von Frauen und Mädchen bei den Gesprächen über das iranische Atompro- gramm und die Zukunft des Atomabkommens JCPOA?
Welche Rolle spielt die feministische Außenpolitik künftig bei Rüstungsexporten, bei der Ausgestaltung von Sanktionsregimen und Handels- abkommen? Oder im Asylrecht, bei der Aushandlung von Migrationspartnerschaften und der Visavergabe? Weder verfolgt die feministische Außenpolitik der Bundesregierung bislang konkrete politische Ziel- setzungen noch definiert sie Kriterien und Instru- mente, um den eigenen Fortschritt zu messen. Zu oft scheut sie den Konflikt zwischen Werten und Interessen.
Wie schwer sie sich im Umgang mit Zielkonflikten tut, zeigen auch die Diskussionen um die Fortführung humanitärer Hilfslieferungen nach Afghanistan, wo dringend benötigte Hilfen im Zweifel Frauen und Mädchen nicht zugutekom- men. Doch gerade solche Dilemmata werden in der Zukunft eher zu- statt abnehmen – und damit muss feministische Außenpolitik umgehen können. Feministische Außenpolitik ist Politik für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie. Sie muss pragmatisch, konsequent und stringent, aber zu- gleich kontext- und kultursensibel ausgestaltet sein, um in Zeiten eines sich verschärfenden globalen Sys- temwettbewerbs wirksam und dialogfähig zu sein.
Sie muss in die jeweiligen lokalen Kontexte und Strukturen eingebettet werden und diese zumin- dest berücksichtigen, um den Zugang zu den Frauen und Mädchen, die sie erreichen will, nicht von vorn- herein zu verbauen. Sie muss ressortübergreifend und in diesem Sinne kohärent sein, um Phänome- nen wie Menschenhandel, etwa in der Prostitution, konsequent begegnen zu können. Und sie muss vor allen Dingen robust sein – denn mit einer rein pa- zifistischen Außen- und Sicherheitspolitik können Frauen und Kinder nirgendwo wirksam gegen brutale Gewalt geschützt werden, wie das Beispiel der Jesidinnen im Nordirak eindrücklich zeigt. Stärkung von Frauenrechten als Antwort auf den Ukraine-Krieg Das gilt ganz besonders für den Krieg in der Uk- raine. Autoritäre Machthaber wie Putin verhöh- nen Frauen- und Menschenrechte und propagieren chauvinistische, rückwärtsgewandte gesellschaftliche Vorstellungen.
Hinter der angeblichen Verteidigung „traditioneller Werte“ wie Familie, Reli- gion und Kultur, verbirgt sich eine perfide Strategie: Die Verächtlichmachung von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Vielfalt bedient ein Narra- tiv, das Ängste in der Bevölkerung vor dem Verfall der Familienstruktur, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der nationalen Identität schüren und autoritäre Politik rechtfertigen soll. Denn Frauen- und Menschenrechte, Emanzipation und Feminismus verkörpern das „westliche Feindbild“.
Die Stärkung von Frauenrechten muss deshalb auch eine Antwort auf den Krieg in der Ukraine sein. Dazu braucht es eine Außenpolitik, die ohne ideo- logische Überhöhung Frauen in ihren Fokus rückt und sich imperialem Machtstreben wo auch immer entschlossen entgegenstellt.
Weder verfolgt die feministische Außenpolitik der Bundesregierung bislang konkrete politische Zielsetzungen noch definiert sie Kriterien und Instrumente, um den eigenen Fortschritt zu messen.
Annette Widmann-Mauz ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. In der aktuellen Legislaturperiode ist sie Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Ausschuss für Kultur und Medien. Zuvor war sie Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Be- auftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit. Als Bundesvorsitzen- de der Frauen Union der CDU Deutschlands vertritt sie die Ansichten und Anliegen der Frauen in der CDU.
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