Verfolgt und vergessen Religionsfreiheit „mit den Füßen getreten“
- Civis
- 17. März
- 4 Min. Lesezeit
von Carl-Heinz Pierk

Man stirbt, weil man Christ ist. Im Mai 2022 wurde im Nordwesten Nigerias die christliche Studentin Deborah Samuel von muslimischen Kommilitonen nach einem als beleidigend empfundenen Post gesteinigt, ihre Leiche danach verbrannt. Ihr „Vergehen“: Sie hatte sich nach bestandenem Examen via WhatsApp bei Gott für dessen Beistand bedankt. Christsein ist lebensgefährlich. Dabei versteht sich Nigeria als säkularer Staat, der die freie Religionsausübung garantiert. Doch wer eine fundamentalistische Auslegung des Islam nicht befolgt, wird von Dschihadisten mit dem Tode bedroht oder umgebracht.
In Westafrika sticht vor allem die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram hervor. Seit 2009 ziehen die Islamisten eine Blutspur durch Nigeria. Brutaler Höhepunkt des Terrors gegen Christen in Nigeria war ein Massaker am Pfingstsonntag 2022 im Bundesstaat Ondo. Mindestens 50 Menschen wurden getötet und zahlreiche Gläubige verletzt. Am 5. Juni 2022 hatten bewaffnete Täter die vollbesetzte Kirche in Owo gestürmt, als gerade die heilige Messe zu Ende ging. Sie schossen in die Menge und zündeten Sprengkörper. Unter den Toten waren viele Kinder. Die Franz-Xaver-Kirche wurde nach der Attacke renoviert; seit der Karwoche 2022 finden dort auch wieder regelmäßig Gottesdienste statt. Alleine zwischen 2020 und 2022 wurden in Nigeria über 7.600 Christen getötet.
Sahelzone: Krisenbewältigung braucht Zukunftsperspektiven
Besonders in der Sahelzone ist die Situation für Christen prekär. Die Sahelzone umfasst im engeren Sinn sechs Staaten in der Übergangsregion von Nordafrika zum subsaharischen Afrika: Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, den Tschad und den Sudan. Weil der Norden Nigerias von der Sahelzone geprägt ist, wird auch dieses Land häufig hinzugerechnet. Neben radikalen Islamisten operieren zahlreiche Terrorgruppen in der Sahelzone, einige sind dem selbsternannten „Islamischen Staat“, andere dem Al-Qaida-Netzwerk verbunden. Hinzu kommt die organisierte Kriminalität in Form von Drogen-, Waffen-, Zigaretten- und Menschenhandel – ein toxischer Mix. Die Terrorgruppen haben sich dauerhaft in großen Teilen der Region eingenistet. Sie erzwingen dort ihr Gesetz und finanzieren sich durch Erpressung der Bevölkerung wie auch durch ihren Anteil an illegalen Geschäften. Sie kontrollieren die Transitgebiete der Migranten, die so leichte Beute für Menschenhändler werden. Ebenso profitieren sie vom Drogenschmuggel, dessen Großteil über den Hafen von Lagos in Nigeria abgewickelt und anschließend nach Europa transportiert wird.
Zunehmend verschärfen und überlagern sich in der Sahelzone unterschiedliche Konfliktursachen. Doch militärische Ansätze allein reichen nicht aus, um die Region zu stabilisieren, wie das Beispiel Mali oder Niger zeigt. Es müssen auch Zukunftsperspektiven geschaffen werden. „Die Politik muss sich vor allem auf die grundlegenden Probleme konzentrieren, wie zum Beispiel Bildung, und Elemente bereitstellen, die eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung zumindest mit Nahrungsmitteln garantieren können“, sagt Enrico Casale, Afrika-Experte der Zeitschrift „Africa“, im Gespräch mit „Radio Vatikan“. Neben einer verbesserten Sicherheitslage brauche es für die Region vor allem ein Konzept, um der galoppierenden Armut Einhalt zu gebieten, betont Casale und verweist damit auch auf das Thema Migration. Mehr Stabilität und Entwicklung für die Sahelzone bedeute zugleich, zu verhindern, dass noch mehr Menschen aus Afrika Richtung Europa aufbrechen. Mit anderen Worten: Für eine langfristige Stabilisierung der Sahelzone müssen Sicherheitsinteressen und existentielle Bedürfnisse der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt gestellt werden. Gerade junge Menschen brauchen eine Perspektive – konkret menschenwürdige Einkommensmöglichkeiten. Nach wie vor werden in der Sahelzone täglich grundlegende Menschenrechte verletzt: das Recht auf Leben, auf Religionsfreiheit, auf Bildung, auf Eigentum und auf Sicherheit.
Religionsfreiheit mit populistischen Flügeln
Die Gefährdung des Rechts auf Religionsfreiheit begegnet uns heute vor allem im Zusammenhang mit Zuwanderung. Neue Herausforderungen entstehen, weil rechtspopulistische und nationalistische Parteien dieses Thema für sich entdeckt haben – in Deutschland etwa die AfD. So behauptete der AfD-Abgeordnete Jürgen Braun 2021 in der Debatte um das Amt des Beauftragten für weltweite Religionsfreiheit, „dass die Religionsfreiheit in der deutschen Politik keine Lobby hat, außer der AfD“. Er warf der Union vor, 16 Jahre lang Christenverfolgung kleingeredet und den Begriff sogar vermieden zu haben: „Nur wir von der AfD prangern die Christenverfolgung offen an.“ Da muss Braun auf einem anderen Planeten gelebt haben, denn Volker Kauder, langjähriger Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat sein Amt immer wieder genutzt, um auf die Lage verfolgter Christen aufmerksam zu machen.
Dass es der AfD tatsächlich um Religionsfreiheit und den Schutz diskriminierter oder verfolgter Christen gehe, darf jedoch bezweifelt werden. Vielmehr wirkt das Thema wie ein Mittel zum Zweck, nämlich die Ablehnung von Zuwanderung, vor allem aus islamisch geprägten Ländern, zu legitimieren. Die Rechtspopulisten präsentieren sich als vermeintliche Hüter des Christentums, das, so ihre Behauptung, vom Islam bedroht sei. Folgerichtig fordert die AfD in ihrem Wahlprogramm, der freien Religionsausübung in Deutschland „Schranken zu setzen durch staatliche Gesetze“. Religionsfreiheit ist jedoch nicht irgendein Recht.
Religionsfreiheit als bedeutendes Menschenrecht
Andere Menschenrechtsfragen erhalten auf internationaler und nationaler Ebene oft große Aufmerksamkeit, während verfolgte Christen häufig vergessen oder ausgeblendet werden. Anlässlich der Fußball-WM in Katar wurde zwar viel über Menschenrechte gesprochen, doch wer setzte sich für die rund 370.000 Christen dort ein – und speziell für jene katarischen Staatsangehörigen, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind? In Katar und anderen islamischen Ländern kann die Abkehr vom Islam ein todeswürdiges Verbrechen sein.
Auch in Europa spüren Christen einen schärferen Gegenwind, wie die Beobachtungsstelle für Intoleranz und Diskriminierung von Christen in Europa (OIDAC) feststellt. Wer aus religiöser Überzeugung bestimmte Werte vertritt, muss mit Diskriminierung rechnen – etwa in Form von „Shitstorms“ in den sozialen Medien. Denn wer das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ins öffentliche Bewusstsein rückt, gilt schnell als islamophob oder rechtsextrem.
Die Verfolgung von Christen ist nicht nur ein Problem der Kirchen, sondern betrifft die Politik insgesamt. Ein Mangel an Religionsfreiheit geht nämlich fast immer mit eingeschränkten Bürgerrechten und bedrohten Menschenrechten einher. Doch für die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock scheint dieses Thema wenig Priorität zu haben. Stattdessen will sie mit feministischer Außenpolitik und dem Einsatz für den Weltklimaschutz punkten und freut sich, wenn sie etwa die Benin-Bronzen in ihre Ursprungsländer zurückbringen kann – das ergibt natürlich schöne Fotos.
Über den Autor:
Carl-Heinz Pierk,
Jahrgang 1945, absolvierte nach dem Abitur den Wehrdienst beim Bundesgrenzschutz (BGS) und ließ sich anschließend zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Redakteur bei der „Deutschen Tagespost“ (heute „Die Tagespost“) und wirkte bei der Zeitschrift „kompass“ des Katholischen Militärbischofs mit. Zahlreiche Reisen führten ihn ins südliche Afrika. Heute … (Text endet hier im vorliegenden Auszug.)
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