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Russlands Überfall auf die Ukraine hat die in Deutschland vorhandene Vorstellung über Krieg und Frieden und die Rolle Deutschlands in Europa und der Welt stark verändert.

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    Civis
  • 17. März
  • 19 Min. Lesezeit



Spätestens mit dem Ausrufen der Zeitenwende streiten Politik und Gesellschaft über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.


Im Interview mit CIVIS mit Sonde diskutieren Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, und Carlo-Antonio Masala, Militärexperte an der Bundeswehr-Universität München, über historische Chancen, den Anspruch auf Führung und die notwendigen Konsequenzen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik.


Die Fragen stellten Melanie Meyer und Christoff Abels am 19. Juni 2023.



CIVIS: Braucht Europa eine neue Sicherheitsarchitektur? Wie kann sich Deutschland in diese einbringen?


Dr. Strack-Zimmermann:

Das ist eine komplexe Frage. Und Vieles, was diskutiert wird, ist Kaffeesatzleserei. Tatsache ist, dass der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 bereits der zweite Angriff war. Warum erwähne ich das? Die internationalen Reaktionen auf den ersten Überfall im Jahr 2014, in dessen Folge Russland große Landesteile der Ukraine besetzte, war minimal. Der Westen hat sich zwar empört darüber, aber der Empörung keine angemessene Reaktion folgen lassen. Nur wenige Experten haben die Situation und ihre Tragweite richtig eingeschätzt.


Für die Ukraine war es der Beginn eines brutalen Krieges, bei dem alleine bis 2022 15.000 Menschen ums Leben kamen. Für Russland war dieser erste völkerrechtswidrige Angriff die Generalprobe für das, was acht Jahre später folgen sollte. Der Westen hat das damals nicht verstanden oder schlichtweg nicht wahrnehmen wollen. In Berlin gab es zwar parteiübergreifend warnende Stimmen, aber laut waren diese nicht. Und auch die Presseberichterstattung war überschaubar. Der russische Plan entsprach dem Vorgehen von 2014 auf der Krim. Den Raum besetzen, dann ein sogenanntes Referendum durchführen, dem im Anschluss daran die Annexion folgt. So wurden seinerzeit in kurzer Zeit Fakten geschaffen. Der Westen übernahm die Rolle des Zuschauers, der zwar an Russland appellierte, dass Frieden einkehren müsse, aber so gut wie nichts unternahm, dieses durchzusetzen. Diese Passivität hat sich gerächt und bis heute in der Ukraine hunderttausende Menschenleben gekostet.


Es ist natürlich immer leicht, eine Lage und die Folgen daraus im Nachhinein zu beurteilen, aber wir hätten eben auf die Osteuropäer — die Balten und die Polen — hören sollen, die uns immer wieder vor der Aggression Russlands gewarnt haben. Dass die Kanzlerin nach dem ersten russischen Überfall auf die Ukraine auch noch Nordstream 2 bilateral mit Russland einfädelte, ist ein weiterer schwerer Fehler gewesen. Auch da gab es Warnungen seitens der EU und den USA. Angela Merkel und die große Koalition haben damals ernsthaft angenommen, man habe die Formel für die richtige Russlandpolitik gefunden. Eine tragische Fehleinschätzung.



Der russische Angriff im Februar 2022 war nur möglich, weil wir 2014 nicht deutlich genug reagiert und Russland entsprechend sanktioniert haben. 2014 war Putin militärisch noch nicht so weit, um an eine vollständige Annexion der Ukraine militärisch auch nur zu denken. Er hat aber seinerzeit getestet, wie weit er gehen kann. Erst mit dem 24. Februar 2022 hat auch der Letzte hoffentlich Putins Plan verstanden.


Allerdings ging Putins Rechnung nicht auf. Die Europäische Union hält zusammen. Die NATO wächst um zwei starke Partner. Die Resilienz und Verteidigungsbereitschaft in der Ukraine ist gigantisch. Die praktische Unterstützung aus den Reihen der demokratischen Staaten ist weltweit inzwischen auf mehr als 50 Staaten angewachsen. Sie stehen fest an der Seite der Ukraine. Und vor allem hat sich die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der NATO durch abgestimmte Reaktionen auf die Bedrohungen und Herausforderungen deutlich verbessert. Putin hat sich komplett verkalkuliert.


Die Politik, die wir heute machen, entscheidet grundlegend, wie wir in Zukunft wahrgenommen werden. Deshalb ist das, was gerade passiert, in der Tat eine Zeitenwende. Die heutige Lage verlangt, es so zu entscheiden, dass wir uns in zehn Jahren nicht vorwerfen lassen müssen, wir hätten erneut nichts unternommen.


Zudem kommt es darauf an, wie resilient wir sind, wenn der Krieg zu Ende geht. Erschlaffen wir dann wieder und sagen „Gott sei Dank, wieder eine Krise überstanden“ und „Hurra, wir leben noch“ oder ziehen wir die richtigen Konsequenzen aus dieser Situation? Wir entscheiden jetzt und heute, wie in Zukunft die Sicherheitspolitik Deutschlands und Europas aussehen wird.


Prof. Masala:

Ich möchte ergänzen, dass man sich sehr klar sein muss, dass solange dieses Regime in Moskau vorherrscht – unabhängig davon, wie dieser Krieg ausgeht – wir es mit einem Regime zu tun haben, das auf Expansion ausgerichtet ist. Das ist die große Bedrohung. Unabhängig davon, ob sich das russische Regime in der Ukraine durchsetzt oder nicht. Aber dieses Regime ist auf Expansion und einen imperialistischen Ansatz ausgerichtet. Das ist etwas, das wir nie aus den Augen verlieren dürfen. Denn wir müssen verhindern, dass sich 2014 bis 2022 wiederholt.


Das bedeutet, dass wir verhindern müssen, dass Europa sich in taktischen Pausen von russischen Charm-Offensiven spalten lässt – was wir alles 2014 bereits gesehen haben, als manche Staaten schon 2016 über die Lockerung von Sanktionen sprechen wollten. Solange in Russland eine neoimperiale Agenda die Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt, solange wird es unsere Aufgabe sein, Russland abzuschrecken und einzudämmen. Und da darf nicht nachgelassen werden. Sollte sich Russland in der Ukraine durchsetzen, wird diese Notwendigkeit nochmal dramatischer, weniger dramatisch, wenn die Ukraine diesen Krieg gewinnt. In beiden Szenarien, so muss man es letztlich sagen, ist der Gegner für die nächste Dekade Russland.



CIVIS: Diese neoimperiale Agenda scheint nicht nur auf das Regime begrenzt, denn der Angriffskrieg gegen die Ukraine erfährt teilweise erhebliche Unterstützung aus der Bevölkerung. Auch die grausamen Kriegsverbrechen russischer Soldaten müssen umfassend strafgerichtlich aufgearbeitet werden, was eine entsprechende Reaktion der Bevölkerung hervorrufen wird. Ist es vor diesem Hintergrund realistisch, dass Russland seine Beziehung zum Westen nach einem Regierungswechsel tatsächlich verändert – auch jenseits der kommenden zehn Jahre?


Prof. Masala:

Das ist jetzt ein etwas schiefes historisches Bild, aber am 8. Mai 1945 wurden in Deutschland auch keine Demokraten von einer kleinen Clique befreit. Zehn Jahre später, im Mai 1955, waren wir Mitglied der NATO. Die Grundzüge einer demokratischen Gesellschaft waren alle bereits gelegt. Auch wenn es nach Kriegsende viel zu tun gab, etwa im Hinblick auf die Aufarbeitung der Auschwitzprozesse, war die Grundlage für die Demokratie da.


Die Menschen leben in Russland, seit Putin im Jahr 2000 an die Macht kam, in einem autoritären Regime, das die Medien kontrolliert, das versucht Narrative zu setzen, das mit Repressionen arbeitet. Seit Februar 2022 hat dieses Regime immer mehr faschistoide Züge. Ja, die Bevölkerung trägt das, aber man darf nicht verkennen, dass große Teile einfach gehirngewaschen sind. Das ist nicht unähnlich dessen, was im Nationalsozialismus passiert ist. Sollte es einen Regimewechsel geben, gibt es auch die Möglichkeit, diese Probleme zu überwinden. Ich glaube nicht, dass die russische Frau oder der russische Mann auch in einer Demokratie die militärische Eroberung der Ukraine, Georgiens, Moldawiens oder der baltischen Staaten unterstützen würde, weil sich diese die Sowjetunion zurückwünschen. Da wäre ich nicht so skeptisch.



Dr. Strack-Zimmermann:

Es ist immer schwierig historische Augenblicke zu vergleichen. Trotzdem glaube ich, dass viele Menschen die Bedeutung der Medienvielfalt bei uns verkennen. Natürlich werden auch uns Informationen leider immer wieder ungeprüft serviert – etwa falsche Darstellung historischer Tatsachen oder schlichtweg aus Unwahrheiten Wahrheiten zu machen – aber wir haben ein breites mediales Spektrum, um uns zu informieren und auf dieser Grundlage den Diskurs zu führen. Das gibt es in Russland nicht. Bereits vor Jahrzehnten hat die vollständige Gleichschaltung der russischen Medien begonnen, die Putin heute weiter so ausbaut, dass in Russland eine völlig andere Wahrnehmung des Krieges herrscht, als in anderen Teilen der Welt, auch weil der freie Zugriff auf das weltweite Netz blockiert ist.


Ein Beispiel: Gerade erst wurden in Russland neue Kinder- und Schulbücher gedruckt und in den Kindergärten und Schulen verteilt. Darin wird die Geschichte der Ukraine, Weißrusslands und „Groß“-Russlands neu erzählt – inklusive des Narratives „in der Ukraine regieren Nazis“. Das ist deswegen so bizarr, weil gerade die Ukraine der Teil der Sowjetunion war, der im Laufe der Geschichte am brutalsten malträtiert wurde. Die schrecklichen Überfälle und Morde im 20. Jahrhundert fanden überwiegend in der Ukraine statt. Ich befürchte, dass wir uns als freie offene Gesellschaft einfach nicht vorstellen können, wie man ein Volk manipulieren kann. Hinzu kommt, dass die Menschen in Russland über Jahrzehnte anders sozialisiert worden sind als wir. Wenn es in Russland gelänge dieses manipulative Informationssystem aufzubrechen, es wieder freien Zugang zu allen Medien gäbe, und die Bürger nicht für Jahre im Gefängnis verschwinden würden, nur weil sie eine anderer Meinung als die Regierung vertreten, ja dann könnte man ein solches System öffnen.



CIVIS: Ist das ein realistisches Szenario, dass sich in einer Kleptokratie wie Russland jemand finden lässt, der dieses System aufbricht – selbst wenn der Westen, wie Sie sagen, erschlafft?


Prof. Masala:

Ob das ein realistisches Szenario ist, kann natürlich heute niemand beurteilen. Deswegen würde ich immer sagen, lasst uns bei unseren Planungen für die Zeit nach dem Krieg davon ausgehen, dass dieses Regime an der Macht bleibt. Zwar bin ich nicht so alt wie Frau Strack-Zimmermann …


Dr. Strack-Zimmermann:

… wie, dabei sehen sie viel älter aus …


Prof. Masala:

… aber keiner hat damals damit gerechnet, was nach dem Machtantritt von Michail Gorbatschow passiert. Keiner der Kreml-Astrologen hatte ihn auf dem Schirm. Gorbatschow kam plötzlich an die Macht und viele nahmen an, dass er zwar jünger, aber trotzdem Kommunist wie die anderen ist und damit eine gewisse Kontinuität erhalten bleibt. Es kam anders. Das zeigt, Geschichte ist ein offener Prozess. Wir können im Moment nicht darauf hoffen, dass sich das System aufbrechen lässt, weil es keine Anzeichen dafür gibt, aber ausschließen kann man eine solche Entwicklung auch nicht.



CIVIS: Gibt es noch offene Gesprächskanäle nach Russland, und was weiß man über das Netzwerk hinter Putin?


Prof. Masala:

Die Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich austausche, die Russlandexperten sind, sagen immer, sie wussten mehr über das Politbüro der KPdSU als über den inneren Kreis Putins.


Dr. Strack-Zimmermann:

Wir wissen, der Kanal zum Gefangenenaustausch funktioniert bisher, weil es auch im ureigensten Interesse Russlands ist, die eigenen Leute zurückzuholen. Deswegen liefert die Ukraine russische Gefangene aus, um im Austausch die eigenen Soldaten zu retten. Während nachweislich Russland keine Gefangenen macht, sondern brutal liquidiert. Bis dato gab es auch Gespräche zur Frage der Ausfuhr ukrainischen Getreides. Weiter ist offen, ob die Gespräche fruchten werden. Russland verhindert erneut die Ausfuhr von Getreide, von dem weltweit 400 Millionen Menschen abhängen. Nach der russischen Sabotage und Sprengung des Kachowka-Staudamms, wird durch massives Verschlammen das Sähen und Ernten in der Ukraine in Zukunft zudem erschwert. Das ist wirklich dramatisch. Die Ukraine fällt in manchen Regionen durch diese massiven Überflutungen um 80 Jahre zurück. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was das letztlich bedeutet. Weltweite Hungersnot und damit einhergehend Migrationsbewegungen. Offensichtlich versucht Russland die westliche Welt zu erpressen, um Lockerungen bei gegen sie gerichtete Sanktionen zu erzielen.



CIVIS: Wie muss sich Deutschland positionieren, um in den kommenden Jahren als strategischer Partner wahrgenommen zu werden?

Gerade auch im Hinblick auf entstehende Blöcke, beispielsweise durch die BRICS oder verschiedene afrikanische Staaten, die zwar neue Partner suchen, jedoch eine komplett andere Wahrnehmung vieler Entwicklungen haben als wir im Westen, häufig aufgrund einer komplett anderen wirtschaftlichen Situation, an der wir vor dem Hintergrund verschiedener Abhängigkeiten nicht unbeteiligt sind. Wie können wir sicherstellen, dass wir mit Blick auf diese Partner und gegenüber Russland nicht auf der Strecke bleiben?


Dr. Strack-Zimmermann:

Ich glaube nicht, dass wir auf der Strecke bleiben werden. Warum sollten wir? Wir sind ein wirtschaftliches starkes Land. Ich würde dringend raten, unsere grenzenlose Naivität, unser paradiesisches Denken „Wird schon alles gut gehen“, „Et hätt noch immer jot jejange“ – wie der Rheinländer sagt – abschütteln müssen.


Wir müssen uns auch darüber im Klaren werden, was es für Folgen haben könnte, wenn der nächste US-Präsident nicht Joe Biden heißt. Die kommende US-Wahl, vermutlich bereits der Wahlkampf, wird auch Einfluss auf Europas Politik haben. Ganz sicher nicht wird Europa binnen weniger Jahre seine sicherheitspolitischen Versäumnisse aufholen können. Aber es sollte allen klar sein, dass Europa und Deutschland sich weitere Partner suchen müssen. Am besten demokratische Staaten. Aber machen wir uns nichts vor: Nach lupenreinen Demokratien muss man sehr lange suchen. Selbst Länder, die auf einem demokratischen System fußen, wie Indien zum Beispiel, stellen die Menschenrechte nicht an erste Stelle. Länder des Globalen Südens gewinnen an Einfluss und spielen heute eine relevante Rolle. Man muss die Länder der Erde neu bewerten, und dann entsprechend pragmatisch Partner suchen. Und vor allem auch seinen eigenen Kontinent wiederentdecken. Die EU besteht aus 27 Staaten, plus der europäischen Staaten, die nicht Mitglied sind. Es wird letztlich unsere Aufgabe sein, neue Handelswege zu suchen und Herstellung von Waren und deren Produktion nach Europa zurückzuholen.


Zum Thema Afrika kann man viel sagen, denn die Sicherheitslage hier ist sehr kompliziert und der Handlungsbedarf riesig, und nicht nur weil hier längst „Player“ wie China oder Russland Einfluss nehmen. Es sind verschiedene Faktoren, die hier aufeinandertreffen: Es ist der Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen für die Menschen dort, die Armut und das Bevölkerungswachstum. Es fliehen inzwischen mehr Menschen vor den Folgen der Klimaveränderung als vor bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Kämpfe in der Sahel-Zone sind zwar ethnischer Natur, aber sind letztlich immer auf ökologische Aspekte zurückzuführen. Auch wenn die Ethnien historisch betrachtet unterschiedliche Lebensformen haben – die einen sind zum Beispiel Viehzüchter, die anderen Ackerbauern – kämpfen doch heute beide um die Ressource Wasser. Wir sprechen von „ethnischen Auseinandersetzungen“. Die haben aber mehr damit etwas zu tun, dass es um das nackte Überleben geht. Wenn Sie bedenken, dass es in der Region im Durchschnitt sieben Lebendgeburten pro Frau gibt, und die Frauen bereits mit fünfzehn Jahren anfangen Kinder zu gebären, brauche ich Ihnen nicht zu sagen, wie in der Bevölkerung der Verteilungskampf um lebenswichtige Ressourcen zunehmen wird. Die Hälfte der Bevölkerung ist schon heute unter vierzehn Jahre alt.


Wenn sie das alles genau betrachten und in einen Zusammenhang stellen – jetzt sind wir beim Thema Sicherheitsstrategie – umfasst das Feld, über das wir sprechen: militärische, ökonomische und ökologische Sicherheit. Das sind die großen Probleme, die wir angehen müssen. Aber wir als Deutsche müssen in die Vorhand gehen, ob wir wollen oder nicht. Wenn einer in politischer Verantwortung dazu keine Lust hat, soll er seinen Job abgeben und nach Hause gehen. Dann ist er hier an der falschen Stelle.



Prof. Masala:

Ich teile das Gesagte in Grundzügen. Auf Deutschland kommt die Aufgabe zu – in den Worten von Olaf Scholz – „führende Macht in Europa zu sein“. Das muss man aber konsequent wollen. Und man muss dann dafür auch die Ressourcen zur Verfügung stellen. Wir leiden daran, dass wir rhetorisch den Anspruch auf Führung immer wieder erheben, aber eigentlich selten bereit sind, diesen langfristig materiell zu unterfüttern. Ich nenne als Beispiel das Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Unabhängig davon, ob das Zwei-Prozent-Ziel Sinn macht oder nicht, kann ich nicht den Anspruch erheben zu führen und dann solche zentralen Aspekte, die mittlerweile kleinere Staaten in der NATO schon erfüllen, einfach vernachlässigen und, wie in der Nationalen Sicherheitsstrategie geschehen, erklären, dass wir jetzt im mehrjährigen Mittel über zwei Prozent kommen.



CIVIS: Sind wir in dieser Hinsicht noch rechtzeitig? Gerade wenn man sich ansieht, wie bemüht China in großen Teilen Afrikas und Lateinamerikas ist?


Prof. Masala:

Zumindest legt der Kanzler einen Schwerpunkt auf diese Regionen.


Dr. Strack-Zimmermann:

Der jüngste Besuch des kolumbianischen Präsidenten in Berlin ist für die Kolumbianer ein wichtiges Zeichen. In vielen Teilen des südamerikanischen Kontinents ist China noch nicht übermäßig präsent, wie etwa in Chile. Kaum ein Land der Welt bietet so hervorragende natürliche Bedingungen zur Produktion von Grünem Wasserstoff. Da gilt es jetzt für uns zügig, diese Chance zu ergreifen. Ich sehe auch und begrüße es, dass der Kanzler grundsätzlich Südamerika als potentiellen Partner entdeckt hat. Ich sagte es bereits: Deutschland muss die Weltkarte genau anschauen.


Prof. Masala:

Die Vereinbarungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius mit seinem indischen Amtskollegen auf der Indo-Pazifik-Reise im Juni zeigt die neue Strategie der Bundesregierung. Deutschland und Indien wollen ihre Zusammenarbeit trotz der Abhängigkeit Indiens von russischer Technologie um eine militärische Kooperation vertiefen. Natürlich vor dem Hintergrund, dass diese Abhängigkeit in den kommenden Jahren reduziert wird. Vor fünf Jahren hätte das keiner gemacht. Da hätte man gesagt: Die sind abhängig von Russland, wir machen hier keinen Technologietransfer, der drei Monate später in Moskau landet. Es braucht solchen Pragmatismus. Wir müssen von unserem hohen Ross runterkommen und vor allen Dingen diese Partnerschaften langfristig und auf Augenhöhe anlegen. Langfristiges Denken und Ausdauer gehören nicht zu den Merkmalen deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Das gilt es, zu lernen.


Dr. Strack-Zimmermann:

Deutschland hat in der Vergangenheit nicht langfristig gedacht. Deutschland hat bezahlt und ist jahrzehntelang damit gut durchgekommen. Das ist vorbei. Die ganze Welt, die einigermaßen so tickt wie wir, erwartet, dass wir eine ganz klare Rolle übernehmen. Und wer immer die Bundesregierung in den nächsten Jahrzehnten führt, wird sich dieser Situation stellen müssen.



CIVIS: Würden Sie sagen, dass die wichtigsten Akteure in der deutschen Politik das verstanden haben?


Dr. Strack-Zimmermann:

Politik hat viel mit „learning by doing“ zu tun. Politik bedeutet auch, in eine Situation hineinkatapultiert zu werden, die man sich vorher nicht hat vorstellen können. Nehmen Sie das aktuelle Beispiel: Bis zum 24. Februar 2022 wussten nur politisch sehr Interessierte, dass es einen Verteidigungsausschuss gibt. Geschweige denn kannte die breite Bevölkerung den oder die Vorsitzende. Es handelt sich sogar um einen Pflichtausschuss mit Verfassungsrang. Es weiß auch vermutlich keiner, dass der erste Vorsitzende Franz-Josef Strauß war – das nur nebenbei bemerkt. In anderen Ländern sieht das anders aus, alleine schon, weil deren Armee einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft hat.


Es gibt eben Menschen, die erfassen die Lage schnell und verstehen, dass man schleunigst umdenken muss, und andere tun sich damit ausgesprochen schwer. Das ist überall so – in jeder Partei, in jeder Regierung, in jeder Nation. Selbstkritisch muss ich übrigens anmerken, dass auch wir in der schwarz-gelben Koalition noch davon träumten, dass „alles schon gut wird und sich die Freiheit durchsetzt“. Guido Westerwelle unterstützte als unser Außenminister damals die Proteste am Maidan. Vor allem junge Menschen protestierten in Kiew zwischen November 2013 und Februar 2014. Auslöser war die überraschende Erklärung des Ministerpräsidenten der Ukraine Mykola Asarow das geplante Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht unterzeichnen zu wollen. Die Annexion der Krim muss man als russische Reaktion auf diese Freiheitsbewegung verstehen. Die Bundesregierung hatte angenommen, dass der Wunsch nach Freiheit sich überall durchsetzt und ihr politisches Handeln entsprechend als richtig empfunden. Und jetzt merken wir, dass das leider nur begrenzt funktioniert hat und wir jetzt einer neuen Situation gegenüberstehen, die eine andere Politik von uns erwartet.



CIVIS: Sie haben die Ausschüsse mit Verfassungsrang angesprochen – müssen die Ausschüsse und Parlamentarier stärker zusammenarbeiten, um die Bevölkerung bei diesen wichtigen Fragen mitzunehmen?


Dr. Strack-Zimmermann:

Wir arbeiten sehr gut miteinander, besser als man den Eindruck haben könnte. Bei generellen Fragen zum Thema Sicherheit, arbeiten auch das Verteidigungs-, Außen- und Innenministerium eng zusammen. Man glaubt es kaum, aber es ist so. Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland eine völlig andere Erwartungshaltung haben. Bürgerinnen und Bürger wollen, darf ich das so salopp sagen, dass der Laden läuft. Alle wollen – wie warb Frau Merkel mal – „gut und gerne leben“. Die eigentlichen Prozesse, die in Berlin ablaufen, interessieren doch nur wenige. Wichtig für die Menschen ist, was am Ende rauskommt. Wenn Sie ein Waschmittel präferieren, interessiert sie sich doch auch nicht, wie es hergestellt wird, sondern, dass die Wäsche blitzsauber wird.


Ich teile aber die Meinung, dass es innerhalb einer Demokratie, zwischen den demokratischen Parteien, eine deutlich bessere Zusammenarbeit geben muss. Da schließe ich ausdrücklich die Opposition mit ein. Ich finde es nicht besonders glücklich, wenn der CDU-Vorsitzende die Nationale Sicherheitsstrategie, kurz nach Veröffentlichung, in zwei Sätzen niedermacht. Ich finde, dass wir letztlich bei allen Diskussionen im Detail mehr zusammenarbeiten müssen. Es hätte Herrn Merz gut zu Gesicht gestanden, die Strategie grundsätzlich zu begrüßen und auch mal selbstkritisch zu bemerken, „hätten wir unter unserer Führung deutlich früher angehen müssen“. Die Menschen wünschen sich, gerade wenn es um ihre Sicherheit geht, einen breiten Konsens in der Politik. Sie wollen nicht, dass von einer so großen Partei, wie die der CDU, auch wenn diese in der Opposition ist, Antworten auf sicherheitsrelevante Themen in dieser Art und Weise „geschreddert“ werden. Vermutlich, da bin ich Realist, hätte die SPD in der Rolle der Opposition auch so gehandelt.



CIVIS: Also ist die Sicherheitsstrategie eine gute Grundlage für weitere Schritte?


Dr. Strack-Zimmermann:

Es ist gut, dass sie endlich aufgesetzt worden ist. Ich weiß nicht, wie die allgemeine Erwartungshaltung war. Wichtig ist, dass Deutschland erkennt, dass Sicherheit mehr ist als nur Verteidigung- und Außenpolitik. Innere Sicherheit ist ebenso ein riesiges Thema. Zum ersten Mal wird Sicherheit breit gedacht: dazu gehört Versorgungssicherheit mit Energie, Gesundheitsversorgung, Sicherheit im Internet. Alles hängt an allem, denn Sicherheit zieht sich durch alle Lebensbereiche. Jeder Bereich für sich hat das Zeug dazu, ein Volk in große Unruhe zu versetzen und zu destabilisieren.


Prof. Masala:

Meines Erachtens braucht es in der Tat mehr Kooperation zwischen den Ausschüssen. Und zwar nicht wegen der Öffentlichkeit, sondern weil die Dinge so kompliziert geworden sind. Nur eine engere Kooperation der Legislative ermöglicht eine bessere Kontrolle der Exekutive. Das große Problem ist immer – sowohl seitens der Legislative als auch der Exekutive, aber vor allem der Exekutive – die kontinuierliche Kommunikation über Sicherheitspolitik. Und das war schon immer und ist immer noch problematisch in der Bundesrepublik Deutschland.


Nicht zuletzt, weil man mit dem Thema keine Wahlen gewinnen kann. Von unserer Sicherheit hängt aber unser Wohlstand und unsere Freiheit ab – das wird leider selten bis nie wahrgenommen. Da muss man nachlegen, vor allem von Seiten der Exekutive. Über Sicherheitspolitik muss kontinuierlich kommuniziert werden. Und zwar von anderen Personen als allein von den Bundesministern Pistorius und Baerbock, von denen man erwartet, dass sie sich mit dem Thema beschäftigen. Es muss klar werden, dass Sicherheit eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Stichwort: Integrierte Sicherheit. Die Sicherheitsstrategie geht weit über die Zuständigkeiten im Kanzleramt, Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium hinaus.


Zur Nationalen Sicherheitsstrategie – gut, dass sie da ist. Ich favorisiere nationale Sicherheitsstrategien allerdings nicht. Was man aber festhalten muss, ist, dass die Herausforderungen, die auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen, hier sehr gut analysiert wurden. Es sind nur wenige Punkte aufgeführt, die ich anders einschätze. Sie macht allerdings an der Stelle Halt, wo es für mich interessant wird. Nämlich, was muss nun politisch passieren? Was sind die Vorstellungen, wie man Strukturen und Prozesse verändert – das ist das eine, was mir fehlt.


Das zweite ist allgemein bekannt. Die Strategie ist sehr ambitioniert, und steht gleichzeitig unter einem Finanzierungsvorbehalt. Man kann natürlich versuchen, diese nur mit dem bestehenden Geld umzusetzen, das halte ich aber für eher schwierig. Daher besteht die Gefahr, dass der Anspruch zu hoch ist im Hinblick auf die Mittel, um die Strategie zu realisieren. Ich sage nicht, dass wir 35 Sondervermögen mit jeweils 100 Milliarden Euro brauchen. Aber die finanziellen Grenzen so rigide in die Strategie zu schreiben, ist eine Bremse. Das ist, als würden Sie sich in einen Porsche setzen, der auf 80 km/h gedrosselt ist. Zusammenfassend gesagt: Mir fehlt die Ableitung.


Dr. Strack-Zimmermann:

Im Grunde war die Strategie vom Außenministerium umfangreicher gedacht und wurde vom Kanzleramt Stück für Stück eingedampft. Es macht auch Sinn, den Finanzierungsvorbehalt anzusprechen. Die Bundesrepublik hat bis 1990 grundsätzlich alles, aufgrund des Ost-West-Konflikts, aus der Perspektive der Sicherheit betrachtet: Nehmen Sie nur mal das Beispiel des Autobahnbaus. Die Leitplanken wurden so installiert, dass man sie bei Bedarf rausnehmen konnte, damit im Krisenfall ein Flugzeug dort hätte landen können. Nehmen Sie die Züge der Deutschen Bahn. Die Sitze wurden so eingebaut, dass man sie hätte rausnehmen können, um beim Anfall vieler Verletzter schnellstmöglich Transportkapazität zu schaffen. Es wurde bei allem eine mögliche Gefahrenlage mitgedacht. Das war übrigens auch jahrzehntelang bei unserem neutralen Nachbarn in der Schweiz der Fall. Hier hatte jedes Haus einen Bunker nachzuweisen. Vor ein paar Jahren erst hat man das eingestellt. Auch unsere Nachbarn wiegten sich in Sicherheit. Das muss sich wieder ändern.


Prof. Masala:

Der Kardinalfehler der vergangenen zwanzig Jahre ist genau das, dass wir die Gefahr nicht mehr mitdenken. Es scheint uns absurd, dass unsere Art des Lebens bedroht ist. Es gab diese Zeit, in der es unwahrscheinlich war, denn die vergangenen Jahre waren von einer Politik geprägt, da brauchte man keinen „Plan B“. Ich komme aus der verteidigungspolitischen Forschung. Ich gehe immer vom schlimmsten Fall aus und hoffe natürlich, dass der nicht eintritt. Aber wenn ich in Verantwortung stehe, muss ich für den schlimmsten nur denkbaren Fall ein Konzept in der Schublade liegen haben, um nicht die Kontrolle zu verlieren.


Dr. Strack-Zimmermann:

Interessanterweise sichern wir Deutschen unser privates Eigentum sehr gut ab. Wenn Sie ein Haus bauen, muss dieses Haus einen bestimmten Brandschutz vorweisen, ohne den die Bauaufsicht beziehungsweise die Feuerwehr einen Neubau nicht abnimmt. Darüber regen sich unheimlich viele Bauherren auf, weil Brandschutz teuer ist. Aber eben, weil wir diese Vorkehrungen treffen, brennt es in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten viel weniger. Deshalb gehen bei uns keine Diskotheken in Flammen auf, oder sind Notausgänge zugestellt. Oder nehmen Sie den TÜV für ihr Auto. Mit der Hauptuntersuchung soll sichergestellt werden, dass nur Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen, die keine erheblichen Mängel aufweisen und daher keine Gefahr für die Verkehrssicherheit darstellen. Warum können wir Sicherheit im Kleinen denken, aber beim großen Ganzen schaffen wir es nicht? Bedrohungslagen erscheinen uns abstrakt. Aber es ist nicht mehr abstrakt, dass Europa und damit Deutschland angegriffen wird. Es ist eine reale Gefahr.



CIVIS: Heißt das, dass Politik nur dann Zukunftsentscheidungen treffen kann, wenn ein Fenster geöffnet wurde?

Wie im Fall des russischen Angriffskriegs? Weil sonst politische Entscheidungen von der Bevölkerung nicht mitgetragen werden?


Prof. Masala:

Vermutlich bekommen Sie nun zwei Antworten, die des Wissenschaftlers und die der Politikerin. Es gibt keine zentrale außen- und verteidigungspolitische Entscheidung in der Bundesrepublik Deutschland, die zu dem Zeitpunkt, an dem sie getroffen wurde, von einer Mehrheit der Deutschen mitgetragen wurde. Hätte man von Konrad Adenauer an herunterdekliniert, hätte man auf die Mehrheitsmeinung gehört, gäbe es ganz viele Errungenschaften in unserem Land nicht. Es gäbe keine Bundeswehr. Es gäbe keinen Euro. Drei bis vier Jahre nach solchen Entscheidungen zeigten interessanterweise Umfragen, dass die Deutschen mit diesen Entscheidungen einverstanden waren. Will sagen, es ist eine Frage der politischen Führung. Es ist die Frage, ob man eine Sache will und bereit ist möglicherweise zunächst einmal auch gegen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, immer kommunikativ gut begleitet, bestimmte Sachen durchzusetzen. Wir hätten keine Nachrüstung gehabt, die letzten Endes mit zum Kollaps der Sowjetunion und der des Warschauer Paktes geführt hat, wenn Helmut Schmidt und später Helmut Kohl sich an Umfragen orientiert hätten. Schmidt war sogar dazu bereit, sein eigenes politisches Schicksal damit zu verknüpfen.


Dr. Strack-Zimmermann:

Ich sehe das genauso. Ich glaube, dass es bei Menschen, die in der Politik sind, darauf ankommt, wie sie ihre Aufgabe definieren. Werde ich in meinem Wahlkreis wieder aufgestellt und für die nächsten dreißig Jahre sicher im Bundestag sitzen? Oder sehe ich mein Mandat als zeitlich begrenzten Lebensabschnitt und nutze diese Zeit, um mich mit Haut und Haar für Dinge zu engagieren, von denen ich der Meinung bin, dass sie relevant für unser Land sind? Deshalb sollte das Amt des Bundeskanzlers auch begrenzt werden und nur eine Wiederwahl möglich sein. Das macht frei, weil klar ist, der Job ist am Ende der zweiten Wahlperiode vorbei und man kann die verbleibende Zeit nutzen, auch Unbequemes durchzusetzen. Unser System führt eben auch dazu, dass manche Abgeordnete extrem kurzsichtig und minimalistisch denken, und sie es nicht als Lohn der Arbeit oder schlicht als Gunst des Schicksals begreifen, dass sie dieses Mandat ausüben dürfen. Es ist die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, die Zukunft in jede Richtung zu denken und dafür einzustehen, auch wenn man Gegenwind bekommt.




CIVIS: Ist es nur eine Frage des Wollens? Oder des Müssens?


Dr. Strack-Zimmermann:

Es kostet Geld.


Prof. Masala:

Ja, es kostet Geld, aber wir müssen es tun. Ich gebe ein Bespiel: Wir haben in der Corona-Pandemie gelernt, dass es 2012 einen Bericht im Deutschen Bundestag mit Sachverständigen gab, der eine Pandemie – nicht Corona – aber den Ausbruch einer Pandemie mit ihren Folgen im Prinzip antizipiert hatte. Und die Kritik im Jahr des Corona-Ausbruchs lautete: Man habe das doch alles schon 2012 gewusst. Warum hat man denn nicht im Vorfeld Notfallpläne geschrieben? Ich sage Folgendes: Geben Sie einmal Milliarden aus für etwas, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit relativ gering ist. Und es tritt dann nicht ein. Dann gilt der alte Spruch „There is no glory in prevention“ – es liegt kein Ruhm in der Vorsorge. Das bekommen Sie politisch nicht vermittelt.


Dr. Strack-Zimmermann:

Nehmen Sie das Beispiel Gesundheit. Angesichts der Corona-Pandemie besonders interessant: Ebenfalls im Jahr 2012 hat das Robert-Koch-Institut im Auftrag des FDP-Bundesgesundheitsministers Daniel Bahr eine Risikoanalyse für das Szenario einer Viruspandemie erstellt. Die Kosten beliefen sich auf Milliarden Euro. So viel Geld für die Eventualität einer Krise in die Hand zu nehmen, war politisch nicht gewollt.


Prof. Masala:

Es klingt zynisch. Wenn Sie vor zehn Jahren mit dem Bedrohungsszenario eines möglichen russischen Angriffs auf einen NATO-Verbündeten gekommen wären und dies mit der Forderung verbunden hätten, dass wir anfangen müssten, Brücken zu verstärken, und Züge benötigten, die schnell umzurüsten seien, um Verwunderte zu transportieren, wie es Frau Dr. Strack-Zimmermann eben gesagt hat, dann hätten die meisten Menschen in Deutschland das für eine utopische Forderung gehalten. Man hätte erwidert: Wir haben doch ganz andere Probleme und Herausforderungen, die wir angehen müssen. Dafür geben wir doch jetzt nicht zwanzig oder dreißig Milliarden aus, um uns auf etwas vorzubereiten, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit extrem gering ist. Jetzt haben wir ein Fenster geöffnet, das genutzt werden muss, um uns neu aufzustellen.



Kurzbiografien


Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann

ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages und sitzt seit 2017 für die FDP als Direktkandidatin im Deutschen Bundestag. Von 2008 bis 2014 war sie Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Düsseldorf. Sie bekennt sich eindeutig zur Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO. Sie befürwortet seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Eine ihrer Forderungen ist eine grundlegende Reform des Beschaffungsamtes der Bundeswehr (BAAINBw), eine verbesserte Ausstattung der Bundeswehr und eine neue Struktur des Bundesverteidigungsministeriums.


Prof. Dr. Carlo Antonio Masala

ist ein deutscher Politikwissenschaftler und seit 2007 Professor für Internationale Politik an der Fakultät für Staats- und Sozialwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik (ZfP), der Zeitschrift für Internationale Beziehungen (ZIB) und der Zeitschrift für Strategische Analysen (ZfSA). Außerdem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik sowie ständiger Sachverständiger in der Enquete Kommission des Deutschen Bundestags zum Afghanistaneinsatz.


(Fotografie: Rory Grubb)



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