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Deutschlands Rolle in der Welt Bestandsaufnahme und was eigentlich passieren müsste

  • Autorenbild: Civis
    Civis
  • 17. März
  • 4 Min. Lesezeit

von Lena Düpont




Betrachtet man die letzten Monate auf europäischer und internationaler Ebene, könnte die Lage nicht dynamischer sein. Und nicht erst seit dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg in der Ukraine stellt sich die Frage, ob Deutschland ausreichend auf eine solche dynamische Lage eingestellt ist. Was das mit unserem Standing auf europäischer Ebene zu tun hat, mithin mit unserer Rolle in der Welt, und wie sehr das Auswirkungen auf unseren politischen Handlungsspielraum hat, kann auch der Blick auf das kürzlich intensiv debattierte Asyl- und Migrationspaket verdeutlichen.


Denn kaum ein Themenfeld ist mehr geprägt von Interdependenzen: Deutschland agiert nicht im luftleeren Raum, genauso wenig wie sich Europa aus seiner geographischen oder geopolitischen Lage lösen kann. Alles, was um uns herum passiert, hat Auswirkungen auf unsere Außengrenze, auf den Schengenraum, auf die Innenpolitik – nach den letzten Jahren eigentlich eine Binsenweisheit, aber immer noch viel zu wenig in der deutschen Politik verankert. Dabei bestimmt das Vertrauen der Partner in unsere Verlässlichkeit ganz maßgeblich den Handlungsspielraum europäischer Politik – und dieses Vertrauen hat nicht nur durch die äußerst zögerliche Umsetzung der Zeitenwende gelitten, sondern auch durch Alleingänge wie den „Doppelwumms“ oder die mangelnde Akzeptanz von Trilogmandaten.


Rätseln über die deutsche Haltung

Unter anderem deswegen fällt so schwer ins Gewicht, dass die Haltung der Regierungskoalition zu Asyl und Migration keine geschlossene ist – wenn alle drei Teile der Fortschrittskoalition in unterschiedliche Richtungen schreiten, ist das für das Brüsseler Verhandlungssystem eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Natürlich ist die „German Vote“ nichts Neues – aber selten ist sie so persistent zu Tage getreten. Brüssel rätselt an mehr als einer Stelle, mit welcher deutschen Haltung sie nun arbeiten sollen: Sicherung der Außengrenze und effiziente Grenzverfahren oder doch eher Chancenaufenthaltsrecht, Bürgergeld und Seenotrettung über den Bundeshaushalt? Europäisch das eine zu fordern und national das andere zu machen, ist nicht nur wohlfeil, sondern lässt unsere Partner mit den Auswirkungen dieser „mixed signals“ alleine – Deutschland positioniert sich hier auf Kosten insbesondere der Außengrenzstaaten, nicht nur derer im Süden, sondern auch des Baltikums und ignoriert dabei nebenher elementare Sicherheitsinteressen (Stichwort instrumentalisierte Migration).


Die großen Linien erkennen

Noch deutlicher wird das bei der externen Dimension als integralem Bestandteil des Pakts, um den in Brüssel intensiv gerungen wurde. Teile der Vertreter von Grünen, SPD und FDP in Brüssel sehen in Drittstaatskooperationen bis heute ein Grundübel, übersehen dabei aber mehr als einmal die oben genannten Interdependenzen. Dabei geht es mitnichten, wie es häufig skandalisiert wird, um die Externalisierung von Verantwortung – sondern im Gegenteil darum, auch außerhalb der EU Verantwortung zu übernehmen, vor allem entlang der häufigsten Fluchtrouten. Ein Ausdruck davon ist das Abkommen mit Tunesien, Teil der Neuausrichtung der EU in Kooperationsfragen. Dabei werden ohne Frage schmerzhafte Kompromisse gemacht werden müssen, insbesondere, wenn es um eine realistische Einschätzung außenpolitischen Handlungsspielraums geht. Leitend bleibt aber die Frage: Was wird besser, wenn wir uns nicht engagieren?


Das gilt im Übrigen auch für das Thema Ernährungssicherheit und hybride Kriegsführung als einem der Treiber für Fluchtbewegungen: Auslöser (unter anderem) für die politischen Instabilitäten und Krisen, die zur Migrationsbewegung 2015 führten, war der russische Weizen-Exportstopp 2011. Europas und Deutschlands Antwort auf die fortlaufende Bombardierung ukrainischer Häfen und die erneute Aussetzung des Getreideabkommens durch Russland kann nur sein: Unterstützung der Ukraine mit allen verfügbaren Mitteln („Whatever it takes, as long as it takes!“), Kooperation mit Drittstaaten insbesondere in Afrika bei der Abwendung von Hungersnöten. Ausgerechnet jetzt finanzielle Unterstützungsleistungen für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen zurückzufahren, ist mit Sicherheit keine gute Idee.


Wer diese (langen) Linien und Interdependenzen ignoriert, verhindert, die EU mit dem Pakt krisensicherer zu machen. Selbiger kann mitnichten allein diese Herausforderungen schultern, aber er kann dafür sorgen, dass die Europäische Union in der Asyl- und Migrationspolitik verlässlicher aufgestellt ist und weniger durch externe Ereignisse unter Druck gerät.


Asyl- und Migrationspakt nicht zum Spielball deutscher Innenpolitik machen

Wenngleich nicht abschließend, wird allein mit den genannten Punkten deutlich, dass das Asyl- und Migrationspaket sowie die allgemeine Weltlage zu wichtig sind, um sie zum Spielball von innerdeutschen Koalitions- oder Wahlkampfinteressen zu machen. Es ist in Brüssel sehr wohl aufgenommen worden, dass die Ministerin nicht aktiv eine vermittelnde Rolle eingenommen hat, sondern die klare Mehrheit des Rates am Ende akzeptieren musste – der deutsche Sonderweg hat das Standing weiter untergraben. Alle beteiligten Ministerien sollten sich nicht hinter den Worten oder Entscheidungen anderen Mitgliedstaaten verstecken, sondern aktiv in ihrer Koalition für einen konsequenten Pakt werben, der Humanität und Ordnung in Einklang bringt. Nur so werden wir auf Dauer unseren humanitären Anspruch aufrechterhalten können – im Chaos oder unter angestrengten Kapazitäten drohen sonst immer Abstriche. Nicht zuletzt die Auslastung unserer Kommunen, aber auch vieler ehrenamtlicher Strukturen haben das in den letzten Monaten mehr als deutlich gemacht.


Schlussendlich bleibt, dass Deutschland sich gerade im Kontext der Europäischen Union seiner Größe und seiner zentralen Lage wieder verstärkt bewusst werden muss. Denn Migration ist und bleibt ein internationales Phänomen, das wir nur gemeinsam mit unseren Partnern adressieren können. Insbesondere als Staat in der Mitte der EU sollten wir besonderen Wert auf die Verbindung Außen-Schengen-Innen legen und unsere Partner, die allesamt näher an der Außengrenze liegen, ernst nehmen und unterstützen, wo immer wir können.


Diese Weltgewandtheit, dieses Bewusstsein für unsere Position in der (europäischen und internationalen) Welt dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, gerade und insbesondere in Zeiten, in denen Populisten nach einfachen Lösungen krähen. Die Kette der Verantwortung beginnt bei Herkunfts- und Transitstaaten, geht über konsequenten Außengrenzschutz und frühestmögliche Differenzierung zwischen schutzberechtigt und nicht schutzberechtigt zu einer konsequenten Rückführung der einen sowie menschenwürdige Aufnahme derer in der EU, die vor Krieg und Verfolgung fliehen.


Lena Düpont

ist seit 2019 Abgeordnete der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende der CDU in Niedersachsen und Mitglied im ständigen Arbeitskreis „Europäische Zusammenarbeit und Migration“ im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Der Artikel wurde vor dem Militärputsch in Niger verfasst.

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