Die Vor­sit­zen­de der Frau­en Uni­on Pots­dam, Regi­na Rys­sel, ana­ly­siert das Wahl­ver­hal­ten der Frau­en bei der Land­tags­wahl in Bran­den­burg und belegt, war­um Pari­tät für den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt wich­tig ist. Auf dem Weg zu ech­ter Pari­tät kön­ne ein Pari­té-Gesetz eine wirk­sa­me Krü­cke bilden.

Die über­re­gio­na­len Medi­en sahen im Aus­gang der Land­tags­wahl in Bran­den­burg vor allem eine glück­li­che Ver­hin­de­rung der AfD als stärks­te Kraft. Zugleich fing sich die SPD eine „Rekord-Klat­sche“ ein. Als Haupt­ur­sa­che wur­de zumeist ein gefühl­tes und tat­säch­li­ches Abge­häng­t­sein der öst­li­chen Regio­nen Bran­den­burgs aus­ge­macht. Zugleich soll­te den eta­blier­ten Par­tei­en ein Denk­zet­tel ver­passt wer­den. Einen rele­van­ten, aber wenig beleuch­te­ten Aspekt bil­det das Wahl­ver­hal­ten von Frau­en in Bran­den­burg. Gera­de aus Sicht der CDU als Volks­par­tei lohnt hier ein genaue­rer Blick.

Die Wäh­ler­grup­pe Frauen

Frau­en stel­len weder eine homo­ge­ne noch eine bere­chen­ba­re Wäh­ler­grup­pe dar. Die meis­ten der wahl­be­rech­tig­ten Frau­en in Bran­den­burg wähl­ten mit 28 Pro­zent die SPD. Nur 12 Pro­zent wähl­ten die Grü­nen, 11 Pro­zent die Lin­ke, obwohl die­se Par­tei­en ihre Lis­ten pari­tä­tisch besetz­ten und in den Par­tei­pro­gram­men gro­ßen Wert auf die Inter­es­sen und Bedürf­nis­se von Frau­en leg­ten. Auch des­we­gen mag es über­ra­schen, dass laut der For­schungs­grup­pe Wah­len 18 Pro­zent der Frau­en die AfD wähl­ten. Das ist im Ver­gleich zu den Män­nern mit 28 Pro­zent zwar wenig; ins­ge­samt ist es aber das zweit­bes­te Ergebnis.

16 Pro­zent der Frau­en in Bran­den­burg wähl­ten die CDU. Vor dem Hin­ter­grund, dass vie­le Wäh­ler der CDU über 60 Jah­re alt sind (17 Pro­zent) und die Zustim­mung bei den unter 30-Jäh­ri­gen bei nur noch 9 Pro­zent liegt, wird sich die CDU in Bran­den­burg einem Denk­wan­del auch und gera­de in frau­en­po­li­ti­scher Hin­sicht stel­len müs­sen, um zukunfts­taug­lich zu sein. Die Vor­sit­zen­de der Frau­en Uni­on der CDU Deutsch­lands, Annet­te Wid­mann-Mauz, hat es wie folgt aus­ge­drückt: „Die poli­ti­sche Teil­ha­be von Frau­en ist für die Volks­par­tei CDU eine Überlebensfrage.“

Frau­en in Land­tag und Partei

Frau­en stel­len über 51 Pro­zent der bran­den­bur­gi­schen Gesamt­be­völ­ke­rung. Bezieht man sich auf die­se Ver­gleichs­grö­ße, dann sind Frau­en gegen­wär­tig im Bran­den­bur­ger Land­tag deut­lich unter­re­prä­sen­tiert: Der Frau­en­an­teil ist auf 32 Pro­zent gesun­ken. Ein Pari­té-Gesetz, so wie es ab 2020 in Bran­den­burg vor­ge­se­hen ist, hät­te wahr­schein­lich zu mehr Aus­ge­wo­gen­heit zwi­schen dem Män­nern- und Frau­en­an­teil im Land­tag geführt.

Jedoch sieht die gegen­wär­ti­ge poli­ti­sche Rea­li­tät anders aus: Der ehe­ma­li­ge CDU-Lan­des­par­tei­vor­sit­zen­de Ingo Senf­t­le­ben leg­te zwar auf der Lan­des­ver­tre­ter­ver­samm­lung im Juni die­ses Jah­res eine Kan­di­da­ten­lis­te vor, die gera­de auf den vor­de­ren Plät­zen pari­tä­tisch besetzt wor­den war. Den­noch konn­ten sich letzt­end­lich nur vier Frau­en unter den ers­ten 15 Plät­zen durch­set­zen. Da mit Bar­ba­ra Riech­stein und Ingo Senf­t­le­ben nur zwei Abge­ord­ne­te für die CDU direkt in den Land­tag ein­zie­hen konn­ten, zogen alle wei­te­ren Kan­di­da­ten über die nun nicht mehr pari­tä­tisch besetz­te Lis­te ein. Das Ergeb­nis ist, dass der 15-köp­fi­gen CDU-Frak­ti­on des Bran­den­bur­ger Land­ta­ges nun ledig­lich vier Frau­en angehören.

Das Par­la­ment weist aber unter ande­rem auch des­halb eine man­gel­haf­te Frau­en­quo­te auf, weil es bei der SPD eben­falls zu einem Frau­en­schwund gekom­men ist. Sie­ben Frau­en sit­zen mit 18 Män­nern in der SPD-Frak­ti­on. In die­sem Fall war es umge­kehrt – die pari­tä­tisch besetz­te Lis­te wur­de bei 25 errun­ge­nen Direkt­man­da­ten zu einer Art „Ersatz­spiel­er­lis­te“, sodass auch hier die Frau­en nicht wirk­lich zum Zug kamen.

Die Pro­ble­me lie­gen tie­fer: Bei der Auf­stel­lung für die direk­ten Wahl­kreis-Kan­di­da­tu­ren haben Frau­en oft das Nach­se­hen. Das hat unter­schied­li­che Ursa­chen, die es wei­ter zu dis­ku­tie­ren gilt. Jedoch ist bereits jetzt eines ein­deu­tig: Der Bran­den­bur­ger Land­tag spie­gelt die Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung des Lan­des unzu­rei­chend wider. In Zukunft könn­te ein Pari­täts­ge­setz grei­fen, das auch die Kan­di­da­tu­ren für Direkt­man­da­te mitbedenkt.

Gleich­ge­stellt mit­ein­an­der reden

Die Wäh­ler­grup­pe der Frau­en ist – genau wie die der Män­ner – hete­ro­gen. Ein Wahl­er­geb­nis ist abhän­gig von der Alters‑, Bildungs‑, Berufs- und Gehalts­grup­pe, von geleb­ten und geplan­ten Lebens­ent­wür­fen und Sozia­li­sie­rungs­bio­gra­phien in Ost und West. Somit ist das Geschlecht nur eine von vie­len Kategorien.

Wenn vom gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt die Rede ist, dann kom­men in der Regel sol­che The­men ins Spiel, bei denen es nicht funk­tio­niert; wo Tren­nung offen­sicht­li­cher ist als Zusam­men­halt. Nicht nur in Bran­den­burg spürt man die Span­nung zwi­schen Ost und West, Rechts und Links, Jung und Alt – Frau und Mann. Gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt wird in Zukunft mehr denn je davon abhän­gen, wie wir mit­ein­an­der umge­hen, wel­che Hal­tung wir zuein­an­der haben. Die Dis­kus­si­ons­kul­tur hat sich ver­än­dert, die Stimm­la­ge ist zuwei­len dok­tri­när und aggres­siv gewor­den. Mit dem Einen will man nicht reden, mit dem Ande­ren soll man nicht reden und mit dem Drit­ten kann man nicht reden. Und über Gleich­stel­lung braucht man angeb­lich gene­rell nicht mehr zu reden – alles sei gesagt. Doch wenn wir nicht mit­ein­an­der spre­chen, was bleibt dann?

Das Mit­ein­an­der-Spre­chen ist jedoch nur dann sinn­voll, wenn man den Ande­ren als gleich­ge­stellt wert­schätzt. Gleich­stel­lung besteht in der Kunst, aus der Wer­tung her­aus­zu­tre­ten und den ande­ren Men­schen als ande­re wirk­sa­me Kraft mit eige­ner Denk­wei­se, Kom­pe­tenz und indi­vi­du­el­len, sozia­len – auch bio­lo­gi­schen – Facet­ten wahr­zu­neh­men, um ihn oder sie dann bewusst auf die glei­che Denk-Ebe­ne zu stel­len, auf der man sich sel­ber ver­steht – ganz so, wie man sich selbst wert­ge­schätzt sehen möch­te. Das ent­spricht dem Gedan­ken christ­li­cher Nächs­ten­lie­be. Aus der Wer­tung her­aus­zu­ge­hen ist ein bewuss­ter, kon­zen­trier­ter Moment. Doch Pari­tät bedeu­tet nicht Gleich­ma­che­rei. Pari­tät ist viel­mehr die unvor­ein­ge­nom­me­ne Betrach­tung des Ande­ren in sei­ner Viel­sei­tig­keit. Den ande­ren Men­schen wert­zu­schät­zen und zu respek­tie­ren ist dabei zentral.

Oder anders aus­ge­drückt: Wir sind eine „Mensch­heits­fa­mi­lie“ (Danie­le Gan­ser) und soll­ten uns in unse­rer gan­zen Dif­fe­ren­ziert­heit, Indi­vi­dua­li­tät und Hete­ro­ge­ni­tät begrei­fen und aner­ken­nen. Dazu benö­tigt es Selbst­be­wusst­sein, Tole­ranz, Soli­da­ri­tät, Ver­nunft, Auf­rich­tig­keit, Empa­thie, kla­re Spiel­re­geln und sicher­lich noch man­ches mehr. Pari­tät als Gleich­stel­lung ist eine Haltung.

Gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt beruht auf Parität

Tren­nung kommt da auf, wo sich Men­schen nicht gleich-gestellt füh­len und die Augen­hö­he in Schief­la­ge gerät. Im Umkehr­schluss braucht gesell­schaft­li­cher Zusam­men­halt Pari­tät, damit sich nicht die immer glei­chen Kli­schees und Erwar­tungs­hal­tun­gen in einer Kon­tro­ver­se gegen­über­ste­hen und das Schei­tern vor­pro­gram­miert ist. Denn wie bereits Kris­ty Augus­tin, Vor­sit­zen­de der Frau­en Uni­on Bran­den­burg, rich­ti­ger­wei­se beton­te, müs­sen wir die gleich­be­rech­tig­te poli­ti­sche Teil­ha­be von Frau­en als Grund­la­ge ermög­li­chen, um Pari­tät zu errei­chen. Wir müs­sen fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le, einen Abbau der Büro­kra­tie, Ver­än­de­run­gen in der Sit­zungs­kul­tur, aber auch bezahl­te Kin­der­be­treu­ung wäh­rend der Sit­zun­gen dis­ku­tie­ren. Ver­bes­se­run­gen von denen Män­ner glei­cher­ma­ßen pro­fi­tie­ren würden.

Wenn Pari­tät das Ziel ist, dann ist das ein Pari­té-Gesetz die Krü­cke auf dem Weg dort­hin. Jedoch soll­te jede Krü­cke irgend­wann nicht mehr benö­tigt wer­den. Unser Den­ken muss sich wandeln.

 

Dr. Regi­na Ryssel

ist Vor­sit­zen­de der Frau­en Uni­on Pots­dam und stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de der Frau­en Uni­on Bran­den­burg. Sie pro­mo­vier­te in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaf­ten in Aachen und ist seit 2017 Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin in der Abtei­lung Wirt­schafts­päd­ago­gik an der Hum­boldt-Uni­ver­si­tät zu Berlin.