Nach der Schicksalswahl für die Union: An der Basis rumort es gewaltig
“Quo vadis, CDU?” – Impuls 5: Jenseits der Berliner Politikblase zeigt sich, dass es an der Basis deutliche Kritik an der derzeitigen Kommunikation und Strategie der Parteiführung gibt. Andreas Hamacher aus der CDU Neuss fordert mehr Unterstützung für die Wahlkämpfer vor Ort.
Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) hat bei der Europawahl historische Verluste hinnehmen müssen. Wer nach der personellen Erneuerung an der Spitze der Bundespartei mit der neuen CDU-Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und dem neuen jungen Generalsekretär Paul Ziemiak geglaubt hatte, die Weichen seien nunmehr auf eine erfolgreiche Zukunft für die Unionsfamilie als letzte verbliebende Volkspartei in Deutschland gestellt, wurde eines Besseren belehrt. Denn gerade an der Parteibasis, in den vielen Kreis‑, Stadt- und Gemeindeverbänden rumort es gewaltig. Die Flügel der CDU hatten nach dem intensiv geführten, überwiegend fair verlaufenen parteiinternen Richtungswahlkampf zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und dem konservativen Flügel um Friedrich Merz und den Neo-Konservativen um Jens Spahn zunächst erhebliche Mühe, wieder zur Ruhe und zu einer gemeinsamen Annäherung zu finden. Mittlerweile werden die verschiedenen Flügel durch die Erkenntnis geeint, dass sich die in erster Linie durch den Generalsekretär der CDU im Konrad-Adenauer-Haus zu verantwortende Kampagne- und Kommunikationsstrategie als wahres Desaster erwiesen hat. Die politische Basis fühlte sich im Wahlkampf derart von der Bundespartei im Stich gelassen, dass vielerorts örtliche Initiativen ergriffen wurden, um eigenes Wahlkampfmaterial zu beschaffen bzw. eigene europapolitische Resolutionen zu erarbeiten. Ein abgestimmter Wahlkampf, eine gemeinsame Kommunikationsstrategie und vor allen Dingen ein mit Engagement und Leidenschaft geführter Wahlkampf der Gesamtpartei sehen jedenfalls anders aus. Dieses Bild wird nicht zuletzt durch die vielfältigen Wahlanalysen gestützt, die Gegenstand lebendiger Diskussionen auch in den Parteigremien in den Verbänden vor Ort sind.
Hilfslosigkeit der CDU im Wahlkampf
Die Hilflosigkeit der CDU auf Bundesebene wurde kurz vor dem Wahltermin erneut besonders deutlich, als man kein geeignetes Mittel fand, um einer von dem YouTube-Influencer Rezo verantworteten Social Media-Kampagne, die sich vor allen Dingen mit haarsträubenden Behauptungen und Äußerungen gegen die CDU richtete, irgendetwas entgegensetzen zu können. Eine mediale und strategische Blamage der Union par excellence war die Folge, die die Kluft zwischen der CDU und insbesondere den jungen Wählerinnen und Wählern weiter vertiefte.
Was nun zu tun ist
Doch was ist nun zu tun? Als Christdemokraten sind wir es den Menschen schuldig, nach vorne zu blicken und das zu leisten, was die Bürgerinnen und Bürger zu Recht von der Politik und einer konservativen Partei mit dem „C“ im Namen erwarten dürfen. Es ist unsere Aufgabe, die drängenden Fragen der Gegenwart und Zukunft so zu beantworten, dass jedenfalls eine klare Mehrheit der Menschen in die Lage versetzt wird, uns und unseren politischen Konzepten wieder zu vertrauen. In einer multimedial strukturierten Lebenswirklichkeit reicht es dabei allerdings nicht mehr aus, im stillen Kämmerlein die richtigen Sachentscheidungen zu treffen. Es geht vielmehr darum, die Menschen von Beginn an mitzunehmen und auch ein stets offenes Ohr für ihre individuellen Sorgen und Nöte zu haben. Dies ist für die Akzeptanz unserer Politik, aber auch der Persönlichkeiten, die unsere Politik und die Partei insgesamt nach außen repräsentieren, von entscheidender Bedeutung.
Während die Sachpolitik von den Fachpolitikern in den Parlamenten und den Gremien unserer Partei zu verantworten ist, ist es Aufgabe der Parteispitze und des Konrad-Adenauer-Hauses, eine gemeinsame kohärente Gesamtkonzeption zu entwickeln, die den Kompass unserer politischen Ausrichtung zunächst neu justiert und sodann in eine Kommunikationsstrategie einbettet, die die Menschen erreicht und auch die Politik und ihre Handlungsträger für die Menschen wieder stärker erreichbar macht. Hier besteht dann auch Gelegenheit, entweder eigene Medienkompetenz unter Beweis zu stellen oder insoweit professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Mediale Trends proaktiv mitgestalten
Unabhängig davon, wie man entsprechende Trends persönlich bewerten mag, wird eine weitere Amerikanisierung der Wahlkampfführung nicht zu verhindern sein. Dies jedenfalls unter der Annahme, dass es unser Anspruch ist, die künftigen Wahlkämpfe wieder erfolgreich mit einem guten Ergebnis bestreiten zu wollen. Denn, wenn eine weitere Amerikanisierung der Wahlkampfführung schon nicht verhindert werden kann, sollte man sich auf diese Rahmenbedingungen möglichst von Beginn an positiv und professionell begleitet einstellen. Es wird also Aufgabe einer modernen CDU mit dem Anspruch, als „Volkspartei“ wahrgenommen zu werden, sein, aktuelle mediale Trends proaktiv mitzugestalten und hier – innerhalb des geltenden medienrechtlichen Rahmens – eigene Akzente zu setzen, die als kreativ und zukunftsgewandt empfunden werden. Nur, wenn dies gelingt, besteht auch die Chance, verstärkt wieder junge Menschen für die politischen Ideen der CDU und eine entsprechende Unterstützung bei den Wahlen zu gewinnen.
Durchlässigkeit in der Partei
Politik braucht darüber hinaus mehr Durchlässigkeit. Es ist ein überaus bedauernswertes Phänomen, dass es Außenstehenden und Quereinsteigern in unserer Partei oftmals schwer gemacht wird, verantwortungsvolle Aufgaben und Mandate zu übernehmen. Ränkespielchen und Besitzstandswahrung der langjährig etablierten Parteifunktionäre tragen oftmals dazu bei, dass politische Gestaltung als „Closed Shop“ weniger Privilegierter empfunden wird. Dies darf allerdings nicht unser Politik-Verständnis in der Unionsfamilie sein, wenn wir Talente – insbesondere junge Talente – fördern wollen und unseren gemeinsamen Anspruch als Volkspartei auch tatsächlich leben möchten.
Wir können dabei indes nicht nur von den amerikanischen Freunden, sondern auch von unseren direkten Nachbarn in Österreich lernen. Trotz der jüngsten, durch die rechtspopulistische FPÖ ausgelösten Krisenmomente in der österreichischen Bundesregierung ist es der ÖVP gelungen, mit Sebastian Kurz durch einen jungen und dynamischen Bundeskanzler repräsentiert zu werden, der für einen klaren politischen Kurs steht und dem Irrglauben entgegenwirkt, dass ein hohes Staatsamt zwingend auch an ein ebenso hohes Lebensalter gebunden wäre. Die klare Erwartung der Parteibasis geht aus meiner Sicht dahin, von der Parteispitze der CDU nicht nur zu einer Zielscheibe von Beschäftigungstherapien degradiert zu werden, sondern echte politische Teilhabe erfahren zu können. Es sollten bei den Partizipationsmöglichkeiten der Parteibasis insbesondere nicht nur Grundsatzprogrammdiskussionen und die Errichtung geduldiger Parteitagspapiere im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte die Bundespartei die vielen engagierten Mitglieder in ihren Reihen dazu befähigen, eine echte Teilhabe an der zielorientierten Gestaltung der politisch drängenden Fragen unserer Zeit zu erhalten.
Das Thema Klimaschutz
Ein praktisches Beispiel: Beim Thema Klimaschutz, das derzeit – vielleicht etwas hysterisch – in aller Munde ist, sollten wir aus meiner Sicht nicht versuchen, den ideologischen Verlockungen der Grünen nachzueifern, und in Reaktion auf das Europawahlergebnis auch nicht von dem Ziel beseelt sein, nunmehr bestenfalls sogar die „besseren Grünen“ werden zu wollen. Hier sollten wir inzwischen vielmehr aus der Vergangenheit gelernt haben, da sich eben auch das zurückliegende Bemühen nicht als richtig erwiesen hat, die CDU zu einer Art „besseren SPD“ umgestalten zu wollen, um hierdurch um die Wählergunst zu buhlen. Solche Mühen führen letzten Endes nämlich dazu, politische Beliebigkeit und fehlende Unterscheidbarkeit aus Sicht der Wählerinnen und Wähler zu befördern und unsere politischen Stammwähler zutiefst zu verunsichern.
Es wird daher nötig sein, unter Mitwirkung der eigenen Mitglieder (etwa durch Ideenwettbewerbe, Klimakonferenzen, Fachdiskussionen bundesweit) eine eigene Klimastrategie zu entwickeln, die durchaus bereits auf Erfolge in der Vergangenheit (Stichwort „Energiewende“) aufsatteln kann. Denn, wenn der Klimawandel schon nicht gänzlich verhindert werden kann, ist es unsere Aufgabe, hier das nötige Gestaltungspotential zu erkennen und sicherzustellen, dass eine gelingende Klimapolitik unseren Ansprüchen an Generationengerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung im besten christdemokratischen Sinne genügt. Eines ist allerdings klar: Eine politische Bevormundung der Menschen und einen Raubbau an unserer deutschen und europäischen Wirtschaft und insbesondere des Mittelstandes darf und wird es mit der Union nicht geben.
Die CDU muss dazulernen
Die anstehende Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands sollte von dem Bewusstsein geprägt sein, dass es an der Zeit ist, das Schicksal der CDU in die Hand zu nehmen. Die Basis wird es künftig kaum mehr dulden, noch einmal in ähnlicher Weise wie in der Vorbereitung des Europawahlkampfes im Stich gelassen zu werden, wo doch auch im zurückliegenden Wahlkampf etwa Schulungsangebote, geeignetes Material und die Herstellung von (multimedialer) Kampagnenfähigkeit gerade vor dem Hintergrund der hohen Komplexität europapolitischer Themen so entscheidend gewesen wären.
Dem Bundesvorstand der CDU muss es gelingen, den programmatischen Kompass der Partei dergestalt neu auszurichten, dass das christdemokratische Profil unserer Union wieder klarer erkennbar wird. Es muss eine Strategie entwickelt werden, Inhalte und Persönlichkeiten besser gegenüber den Menschen, den Wählerinnen und Wählern, zu vermitteln und wieder verstärkt das Ohr an den Sorgen und Nöten der Menschen zu haben. Hierzu ist es wichtig, dass die CDU bereit ist, dazuzulernen: Von den Kampagnenprofis der beiden großen Parteien in den Vereinigten Staaten von Amerika, von dem engagierten Team um den jungen österreichischen Bundeskanzler der ÖVP, Sebastian Kurz, aber vor allen Dingen von den vielen Mitgliedern der CDU, die bereit sind, sich mit ihrer individuellen Kompetenz zum Wohle ihrer Partei und der Menschen in unserem Land einzubringen und politisch zu engagieren.
Unsere gemeinsamen Anstrengungen sollten dabei immer klar auf das Ziel ausgerichtet sein, verlorengegangenes Vertrauen der Wählerinnen und Wähler wiederzugewinnen und den Menschen neue Hoffnung zu geben. Neue Hoffnung auf eine gute persönliche, aber auch auf eine gute gemeinsame Zukunft in Deutschland und Europa! Packen wir es an!
Dr. iur. Andreas Hamacher
von Beruf Rechtsanwalt, ist seit ca. 25 Jahren in der CDU und in ihren Vereinigungen engagiert. Derzeit ist er stellvertretender Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Neuss und als Beisitzer Mitglied in den Vorständen der CDU im Rhein-Kreis Neuss und im Bezirksvorstand der CDU Niederrhein. In den Jahren 2004 bis 2014 war er Mitglied des Rates der Stadt Neuss.