Konservativ in der Sache, dynamisch in der Kommunikation
“Quo vadis, CDU?” – Impuls 9: Es wird immer wichtiger für die CDU, eloquent, dynamisch und digital daherzukommen, meint der Unternehmer Finn Hänsel. Das habe weniger mit Anbiedern denn mit dem eigenen Anspruch als Volkspartei zu tun. Konservativ in der Sache zu sein, müsse nicht zwingend mit einer altbackenen Kommunikation einhergehen. Die CDU solle großstädtischer werden – und auch auf die Expertise von Quereinsteigern vertrauen.
In die CDU eingetreten bin ich vor fast genau 20 Jahren – nach bereits einiger Zeit in der Schüler Union und später in der Jungen Union. Ich kann guten Gewissens sagen: Auch damals war die CDU keine besonders hippe Partei, die die Jugend in Scharen begeisterte. Eine Führungsriege durchsetzt von älteren Semestern, immer die gleichen Themen und konventionelle Kommunikationsmuster. Doch ich wage zu behaupten, dass das damals nicht so entscheidend war wie heute. Das Internet war fast noch jung, keine Partei verstand es wirklich und Jugendliche erwarteten nicht, dass die Politik genau dieselben Felder bespielte wie die, die im Interesse der Jugendlichen lagen.
Ich selbst habe übrigens trotz CDU Mitgliedschaft, einem Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung und einer sehr aktiven Zeit in der Jungen Union genau einmal SPD gewählt – und das war Gerhard Schröder 1998. Der Grund hatte damals einen Namen: Jost Stollmann. Hatte sich die SPD da doch wirklich getraut, eine junge, politikunerfahrene aber dynamische und kommunikativ starke Person als Wirtschaftsminister ins Schattenkabinett zu stellen. Jost Stollmann erledigte sich zwar schnell – mein Gedanke, dass die Politik mehr solcher dynamischen Quereinsteiger braucht, hält sich hingegen bis heute.
Und genau heute denke ich wieder daran. Die CDU hat sich im Vorfeld der Europawahl so schlecht verkauft, dass ich das ein oder andere Mal Fremdscham verspürt habe: Die Witze über andere Geschlechter im Karneval, Artikel 13 und die dazugehörigen stümperhaften Twitter-Ausbrüche der CDU / EVP, der Umgang mit „Fridays for Future“ und jetzt zuletzt die schlimme Antwort auf das Rezo-Video. Die CDU hat jede Menge dynamische Mitglieder, auch in der digitalen Berliner Start-up Szene, die nur bereitstehen zu helfen – und doch nutzt die CDU dieses Potential nicht. Was kann sie also besser machen? Hierzu sechs Punkte.
1. Zwischen dem „Was kommunizieren“ und dem „Wie kommunizieren“ trennen
Häufig höre ich aus der CDU, dass die meisten Youtuber genauso wie die „Fridays for Future“-Aktivisten ja Linke seien und man sich gar nicht auf deren Niveau begeben sollte. Falscher kann man nicht liegen. Sicherlich geht es auch um die Inhalte und die Tatsache, dass die CDU bisher keine Partei war, die sich Klimarettung aktiv auf die Fahnen geschrieben hat. Aber es geht hier gar nicht nur um die Positionen der CDU – also das ‚Was‘. Es geht allem voran dadurch, wie diese kommuniziert werden. Man kann konservative Positionen vertreten, muss aber trotzdem nicht so auftreten als ob man vom Internet noch nie etwas gehört hätte. Konservativ sein ist eine Sache, altbacken zu kommunizieren und damit auch altbacken zu wirken, hingegen eine Andere. Wie es anders geht, hat Sebastian Kurz in Österreich bewiesen: Eloquent, dynamisch, digital, manchmal ironisch, immer einen guten Spruch auf der Zunge – aber in der Sache trotzdem konservativ. Dieses Beispiel zeigt: Es geht. Die Mobilisierung jener Wählergeneration, die es bevorzugt, bierernste und sauer dreinblickende Politiker zu haben, die nicht schlagfertig sein müssen, wird bald kaum mehr ausreichen, um Wahlen zu gewinnen.
2. Großstädtischer und weltoffener werden
Die konservative Kernzielgruppe der CDU ist auf dem Land. Das war so lange ich denken kann fast immer so. Aber die CDU hat auch einige Male – wenn auch enttäuschend selten – gezeigt, dass sie anders kann: Ole von Beust in Hamburg war ein schillerndes Beispiel, Carsten Meyer-Heder in Bremen ist ein weiteres Beispiel. Beide haben die Erfolge der CDU nicht mit linken Positionen erreicht, die sie der SPD oder den Grünen geklaut haben. Stattdessen erklären sich deren Erfolge für mich zum einen darin, wie sie kommuniziert haben: Jung, frisch, dynamisch. Zum anderen haben sich beide den Stadtgesellschaften geöffnet und neugierig gezeigt. Sie haben glaubhaft bewiesen, dass sie die Stadt verstehen und zu der Stadt gehören. Leider versucht die CDU in Großstädten viel zu oft das gleiche Rezept wie auf dem Land: Mehr Straßen, Parkplätze, mehr Polizei – und lässt sich mit Kleingärtnern ablichten. So gewinnt man heute in der Stadt keine Wahlen mehr und meine Hypothese ist, dass man morgen auch auf dem Land keine Wahlen mehr gewinnen wird. Statt den Ansatz im ländlichen Raum einfach zu kopieren, gilt es, diesen Ansatz grundlegend zu verstehen. Warum also ist die CDU auf dem Land so erfolgreich? Weil sie den Bürgern zeigt, dass sie diese und deren Anliegen versteht. Als Volkspartei muss uns genau das in Zukunft auch in der Stadt gelingen. Wir müssen den Künstlern, den Avantgardisten, den Club-Gängern, den jungen dynamischen Unternehmern genauso offen und enthusiastisch begegnen wie den Kleingärtnern und der Polizeigewerkschaft. Das hat nichts mit Anbiedern oder dem Hinterherlaufen von Linken zu tun, sondern damit, dem eigenen Anspruch als Volkspartei gerecht zu werden.
3. Klima zum Thema machen
Was kann konservativer und nachhaltiger sein als die Rettung des Klimas? Die CDU scheint vollkommen verpasst zu haben, dass Klima das Megathema der kommenden Generationen sein wird. Dass Klima ein Thema ausschließlich für Linke war, ist längt vorbei. Die Jugend interessiert sich fast ausschließlich politisch, weil sie Sorge um unseren Planeten hat. Die CDU hat darauf immer noch keine glaubhaften Antworten. Zu zaghaft, zu zögerlich, zu sehr getrieben wirken wir – als ob man bei uns nur Aussagen herauskitzeln kann, wenn der Druck zu hoch wird. So werden wir dieses Thema nie glaubhaft besetzen und den Verdacht ausräumen können, dass wir es der Wirtschaftslobby recht machen wollen, um genug Spenden zu bekommen. Auch wenn dieser Verdacht für uns verrückt erscheinen mag, genau das ist es, was bei den Jugendlichen heute vielfach ankommt: Die CDU ist die Partei der bösen grauen Männer und wird wahrgenommen wie eben diese in Michael Endes Buch Momo. Hier gilt es, glaubhaft umweltfördernde Technologie zu fördern und marktwirtschaftliche Anreize zu schaffen, um der Wirtschaft Dampf zu machen.
4. Zuhören statt nur kritisieren
In der Debatte um Rezo und um Artikel 13 kamen schmerzend aus der CDU immer wieder die gleichen Vorwürfe: Die jugendlichen Demonstranten sind bezahlt, die Youtuber sind bezahlt und wir werden darüber hinaus auch noch missverstanden. Als Nebenschauplatz wurde dann auch noch versucht, die kritischen Stimmen zu diskreditieren: „Die haben keine Ahnung“, „die sind unwichtig“. Ich habe von Tag 1 gesagt: Warum werden die nicht in Konrad-Adenauer-Haus zu einer Debatte eingeladen? Warum hört man ihnen nicht erst einmal zu und kontert ihre Argumente – soweit diese überhaupt vorhanden sind? Stattdessen hat sich lange niemand in der CDU herabgelassen, einfach mal drauf einzugehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass zu meiner aktiven Zeit jemand vom Typ wie Luisa Neubauer noch CDU gewählt hätte. Die Tatsache, dass jemand wie sie, der an sich bürgerlich ist, heute bei den Grünen aktiv ist, sollte uns allen zu denken geben. Und das sollten wir ernst nehmen und nicht als „fehlgeleitet“ abtun.
5. Einigkeit in der Partei schaffen
Die Stärke der CDU war immer die Einigkeit. Das war wichtig, um der Wählerschaft zu zeigen, wofür die CDU steht und warum man der CDU die Stimme geben sollte. Diese Einigkeit ist in den letzten Monaten komplett abhandengekommen. Woran das liegt, darüber kann ich nur spekulieren. Aber die Hälfte der CDU nennt die „Fridays for Future“-Demonstranten „Schulschwänzer“, die andere Hälfte lobt öffentlich ihr Engagement. Was bleibt da bei potentiellen Wählern hängen? Die CDU hat hier, und damit komme ich zurück zum Thema Klima, keine klaren Positionen entwickelt – wobei anzumerken ist, dass das Gleiche auch bei Themen wie Zuwanderung und Integration gilt. Der Wähler weiß schlichtweg nicht mehr, was die CDU eigentlich will. Und das wird mehr und mehr ein Problem. Dieses Vakuum in Positionen stärkt auf der rechten Seite die AfD und auf der linken Seite die Grünen. Sowohl Zuwanderung als auch Klima sind die Megathemen unserer Zeit – wir können es uns schlichtweg nicht mehr erlauben, hier zu schweigen oder uns unklar zu positionieren.
6. Quereinsteigern Chancen ermöglichen
Der letzte Punkt ist eine Herzensangelegenheit von mir, weil ich es selbst lange Zeit erlebt habe. Ich habe den allergrößten Respekt vor Politikern und wie sie ihren Lebensinhalt für das Land und die Gesellschaft einsetzen. Allerdings ist die Zeit, wo talentierte Menschen es sich erlauben konnten, jede Woche zum Stammtisch zu gehen und sich in der Partei hochzuarbeiten, vorbei. Es gibt diesen Typus Mensch noch, aber die Politik sollte sich nicht ausschließlich danach zusammensetzen. Die CDU hat viele Mitglieder, die hochqualifiziert sind, spannende Erfahrungen und hervorragende Ausbildungen haben. Diese wären allesamt eine hervorragende Bereicherung für die Bundespolitik. Allein: Niemand will sie haben, niemand fragt sie um Rat, niemand bindet sie ein.
Das ist meines Erachtens eine der traurigsten Entwicklungen, die ich in der Partei erlebe. Minister wird man selten aufgrund von seiner Qualifikation – sondern meistens aufgrund seiner parteipolitischen Karriere. Kanada mit seiner „Expertenregierung“ zeigt, dass es auch anders geht. Den Mut haben wir allerdings nicht. Die wenigsten unserer Politiker haben echte Berufserfahrung, auch das entrückt die Politik von den Menschen auf der Straße. Die Menschen sehnen sich nach Politikern, die glaubwürdig Passion und Wissen in ihrem Bereichen haben. Und unser Land verdient es eigentlich, dass unsere schlausten Köpfe dieses Land mitgestalten und sie sollten eigentlich mit offenen Armen von der Politik empfangen werden – warum ermöglichen wir es ihnen nicht?
Fazit
Diese 6 Punkte sind Gedanken, die ich seit längerer Zeit in mir trage. Sie haben kein Anrecht auf Vollständigkeit. Auch sind sie offensichtlich nicht von jemandem geschrieben, der eng in den Politikbetrieb eingebunden ist. Aber ich glaube, ich bin mit diesen Gedanken nicht allein – ich höre sie immer wieder, wenn ich mit Freunden und Verwandten über Politik rede. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass die CDU diese Gedanken ernst nehmen sollte.
Finn Hänsel
war zunächst Unternehmensberater bevor er 2011 in Australien THE ICONIC gründete und parallel den damaligen Schattenminister Malcolm Turnbull in Fragen der Digitalisierung beriet. 2013 kehrte er zurück nach Deutschland und baute für ProSiebenSat1 den Start-up Inkubator in Berlin mit auf. Seit 2015 ist er CEO und Geschäftsführer der Online Umzugsplattform Movinga. Er engagierte sich fortwährend in der CDU und während des Studiums im Landesvorstand des RCDS Sachsen. Heute ist Finn Hänsel im Bundesvorstand des Bundesverbands Deutscher Start-ups und im Kreisvorstand der MIT Berlin-Mitte aktiv.