Die klimagerechte Stadt der Zukunft
Durch die aktuelle Krise gewinnen die großen politischen Zukunftsfragen eher noch an Bedeutung. Wir setzen daher die CIVIS-Beitragsreihe „Impulse für die Zwanziger“ mit einem Beitrag von Ina Scharrenbach fort. Sie zeigt die Bedeutung von Klimapolitik auf kommunaler Ebene auf und skizziert Maßnahmen für nachhaltige Städte.
Die „World Meteorological Organization“ (WMO) der UNO berichtete am 15. Januar 2020, dass das letzte Jahrzehnt das heißeste Jahrzehnt seit 1850 gewesen ist. Die Durchschnittstemperatur lag 2019 demnach etwa 1,1 °C über dem Niveau der vorindustriellen Zeit (1850–1900). Der Deutsche Wetterdienst rechnet aufgrund der weiteren Erwärmung der Erde für die Zukunft mit mehr Stürmen, extremen Regenfällen und Hitzewellen. In der gesamten Bundesrepublik kennen wir aus Regionen, aus Städten und Gemeinden, die Folgen von Extremwetter-Ereignissen: Sie betreffen die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar. Die Folgen der Klimaveränderung sind spürbar – mit Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Bürgerinnen und Bürger und der gesamten Umwelt.
Das stellt die Städte und Gemeinden weltweit vor immense Herausforderungen: Wie gelingt die Gestaltung nachhaltiger Städte, Regionen, ganzer Staaten und Kontinente? Wie kann es uns gelingen, schon heute die Stadt von morgen zu bauen?
Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die Bundesregierung und der Bundesgesetzgeber ein Bundes-Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht hat. Dies bindet alle: Die öffentliche Hand mit ihrer Vorbildwirkung und letztlich jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger.
Und doch ist das Thema „Nachhaltigkeit“ keine neue Aufgabenstellung für Städte und Gemeinden sowie Regierungen:
1992 wurde von 178 Staaten der UNO ein globales Programm verabschiedet: die „Agenda 21“. Dieses Aktionsprogramm setzte damals bereits Leitlinien für das 21. Jahrhundert, vor allem solche zur nachhaltigen Entwicklung. 1997 bekannte sich die Europäische Union mit dem „Vertrag von Amsterdam“ zum Prinzip der nachhaltigen Entwicklung. 2001 wurde eine erste europäische Nachhaltigkeitsstrategie vorgelegt. 2002 wurde durch die damalige Bundesregierung die erste nationale Nachhaltigkeitsstrategie verabschiedet.
Grundlage für die heutige Nachhaltigkeitspolitik ist die in 2015 von den Staats- und Regierungschefs der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verabschiedete „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ mit dem Titel „Die Transformation unserer Welt.“
Bei all diesen weltweiten und nationalen Zielen bedarf es einer konkreten Umsetzung. Diese findet überwiegend vor Ort – in der eigenen Kommune oder Region – statt. Seit dem „Agenda 21“-Prozess gibt es in zahlreichen Städten und Gemeinden eine engagierte Zivilgesellschaft, die zusammen mit Politik und Verwaltung vor Ort dafür Sorge trägt, dass Projekte zum Schutz von Umwelt und Klima umgesetzt werden.
Viel – und das darf durchaus einmal anerkannt werden – ist seitdem geschehen. Richtig ist aber auch: Vieles bleibt zu tun.
Ein Buch, das kann man weglegen; ein Bild kann man abhängen. Aber die gebaute Umwelt: Die bleibt und prägt. Prägt das Lebensgefühl von Menschen und ihre Verbundenheit zur eigenen Stadt. Und an diese gebaute Umwelt – ob sichtbar oder nicht – haben wir heute andere Anforderungen zu stellen, als das vielleicht vor 20 oder 30 Jahren der Fall war.
Die Städte und Gemeinden setzen sich mit Klimafolgen-Anpassungskonzepten, dem Niederschlagswasser-Management, mit der Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur unter Aspekten der Minimierung von Treibhausgas-Emissionen auseinander, konzipieren Mobilitätskonzepte, beschäftigen sich mit der Strom- und Wärmeversorgung ihrer Bevölkerung, entwickeln Potentialanalysen für den Einsatz erneuerbarer Energien, intensivieren die Freiraum- und Freiflächenplanung, denken bei der Stadtentwicklung nicht nur „eindimensional funktional“, sondern integrieren endlich die verschiedenen Disziplinen wieder: um Mensch und Umwelt auf ein verlässliches, nachhaltiges Fundament zu stellen.
Die Europäische Union, der Bund und die Länder unterstützen die Städte und Gemeinden sowie Regionen auf ihren Wegen zum „nachhaltigen Dorf“ bzw. zur „nachhaltigen Stadt“: Zahlreiche Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten wurden neu geschaffen oder ausgebaut, weitere werden folgen.
- Künftig werden beispielsweise mithilfe der Städtebauförderung des Bundes und der Länder Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung eine stärkere Berücksichtigung als bisher finden. Förder- und Unterstützungsanreize zur Gestaltung einer Mobilitätswende sind gesetzt.
- Nordrhein-Westfalen hat als einwohnerreichstes Bundesland Anfang 2020 mit den Verbänden und Organisationen der Wohnungswirtschaft sowie der Bauwirtschaft und des Handwerks nebst der Verbraucherzentrale einen Auftakt für einen Klimapakt Wohnen „Prima.Klima.Wohnen.“ gemacht. Die Förderangebote der öffentlichen Wohnraumförderung für das Jahr 2020 wurden daraufhin bereits ausgerichtet. „Bauen mit Holz“, die Verwendung nachhaltiger Dämmstoffe, das Erreichen höherer Einsparziele als gesetzlich vorgegeben – kurzum: Das Einsparen von CO2 in Altbeständen bei gleichzeitiger Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens für Bevölkerungsteile mit geringem Einkommen – das verstehen wir als gemeinsamen Auftrag und das verstehen wir unter nachhaltiger Entwicklung.
Neben Förder- und Unterstützungsinstrumenten braucht es in einer Republik wie der unsrigen freiheitliche gesetzliche Rahmen. Mehr denn je benötigen wir in verschiedenen Gesetzen, zum Beispiel im Baugesetzbuch oder in den Bauordnungen der Länder, Experimentierklauseln. Das würde es uns ermöglichen, die gesetzlichen Vorgaben für Modellvorhaben zu erweitern und neue Ideen im Realversuch zu erproben.
Auf allen Ebenen brauchen wir Offenheit im Denken und Entscheidungsfreudigkeit der Verantwortungsträgerinnen und ‑träger, um die Entwicklung zur nachhaltigen Kommune mit Entschlossenheit schneller voranzutreiben.
Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen
Foto: Maximilian König