Gemeinsam im Kampf gegen den Antisemitismus
Der damalige stellvertretende Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Stephan Harbarth schrieb in der CIVIS mit Sonde 3–2018:
Antisemitische Parolen scheinen heute wieder Konjunktur zu haben. Dabei sollten wir uns stets die großen Leistungen Adenauers und Ben Gurions zur Aussöhnung beider Völker in Deutschland und Israel vor Augen führen. Ein Aufruf zur Bekämpfung eines jahrhundertealten Phänomens, das eigentlich schon lange ausgestorben sein sollte.
Der Beginn eines Prozesses der Aussöhnung mit dem jüdischen Volk zählt zweifelsohne zu den größten Leistungen von Bundeskanzler Konrad Adenauer. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt bemühte er sich um die Kontaktaufnahme mit Repräsentanten des Staates Israel. Nach Abschluss des Luxemburger Abkommens im Jahr 1952, welches umfangreiche Unterstützung der jungen Bundesrepublik für den jungen Staat Israel umfasste, dauerte es noch weitere acht Jahre, bis Adenauer und Staatspräsident Ben Gurion zusammentrafen. Ein nach heutigen Maßstäben der ständigen Gipfel- und Pendeldiplomatie von Staats- und Regierungschefs schier ewig langer Zeitraum.
Indes: Der Umstand, dass bereits in den ersten 15 Jahren nach der Shoa das Fundament für eine Annäherung und sogar Aussöhnung zwischen beiden Völkern gelegt wurde, darf getrost als politisches Wunder bezeichnet werden. Die innere Überzeugung, aus den Trümmern der Shoa ein besseres Deutschland gestalten zu wollen, welches in und mit Europa sowie der Welt friedlich und kooperativ agiert, gehört zum Wesenskern der Christlich Demokratischen Union Deutschlands. Dieses geistige Erbe zu erhalten, zu verinnerlichen und danach zu handeln gehört auch heute zu unserem unverbrüchlichen Selbstverständnis und immerwährenden Handlungsauftrag.
Unser Engagement zur Verteidigung dieser Werte muss bei uns selbst in Deutschland beginnen. Im Dezember 2017 brannten Flaggen des Staates Israel vor dem Brandenburger Tor. Die Bilder gingen um die Welt und riefen Erinnerungen wach, die wir längst auf dem Schutthaufen der Geschichte wähnten. Ausgerechnet am Brandenburger Tor, vor welchem in der Weimarer Republik der Verfassungstag begangen wurde. Ausgerechnet am Brandenburger Tor, das mittlerweile als ein Triumphbogen für das freiheitlich-demokratische Deutschland steht.
Berichte und Videoaufnahmen von antisemitischen Tiraden sind virulent und schaffen für in Deutschland lebende Juden eine Atmosphäre der Verunsicherung. Es schmerzt mich, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland wieder unter Polizeischutz stehen müssen. Für uns als Union ist die Aufarbeitung der Ursachen für diese Entwicklung ein politischer Imperativ.
Schließlich genießt der Grundsatz der wehrhaften Demokratie für uns als CDU einen besonderen Stellenwert. Wir stehen in der Pflicht, antisemitischen Vorkommnissen mit allen erforderlichen rechtsstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Mitteln beizukommen. Volksverhetzung genießt nicht den Schutz der Verfassung und findet Achtung im Strafgesetzbuch.
In diesem Kontext schnürt der vom Deutschen Bundestag auf Initiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verabschiedete interfraktionelle Antrag „Antisemitismus entschlossen bekämpfen“ ein sehr konkretes Maßnahmenpaket und geht somit weit über reine politische Willensbekundungen hinaus. Dazu zählt die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten, der die ressortübergreifende Koordination aller Maßnahmen der Bundesregierung übernimmt und als Ansprechpartner für Belange jüdischer Gruppen und gesell- schaftlicher Organisationen dient. Vor dem Hintergrund der Verbrennung von Flaggen des Staates Israel wird das Straf- und Versammlungsrecht auf seine Wirksamkeit hin überprüft. Es soll mehr Geld für den deutsch-israelischen Jugendaustausch sowie für Besuche von Gedenkstätten zur Verfügung gestellt werden. Auch wird unterstrichen, dass praxisbezogene Forschung zur Analyse des Gegenwartsantisemitismus eine stärkere Rolle spielen sollte.
Neben Rechtsextremisten bedienen sich auch Linksextremisten radikaler Intoleranz. Maßgeblich zu nennen ist hierbei die Aktion „Boycott, Divestment, Sanctions“, welche zur systematischen Schwächung der israelischen Wirtschaft und somit zur Destabilisierung des Gesamtstaates aufruft.
Mit der Flüchtlingskrise ist auch der Antisemitismus arabischer Ausprägung zu einem wachsenden Problem in unserem Land geworden. In einigen Herkunftsländern zählen Antizionismus und Antisemitismus zur Staatsdoktrin.
Dieses Gedankengut wird bei Weitem nicht von allen, bei Weitem jedoch nicht von Wenigen mit nach Deutschland gebracht. Als politisch Verantwortliche müssen wir eineindeutig signalisieren: Schutzbedürftigkeit rechtfertigt keine Volksverhetzung. Es ist absurd, die Verfolgung einer Volksgruppe zu propagieren und gleichzeitig gegenüber dem deutschen Staat Schutz vor der eigenen Verfolgung zu reklamieren. Wer in Deutschland Zuflucht sucht, darf diese nicht zur Verfolgung Andersgläubiger missbrauchen. Der Talmud weiß: „Wer andere achtet, wird geachtet.“
Es liegt an uns, die christlich-jüdischen Wurzeln unseres Landes mit Wort, Tat und Courage zu verteidigen. Das Zurückdrängen des Antisemitismus in die vollkommene Irrelevanz ist eine gesamtgesellschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe. Als Union sollten wir stets eine entscheidende treibende Kraft dieses Engagements sein, denn die Solidarität mit Israel und der Schutz jüdischen Lebens zählen zu unseren unverbrüchlichen politischen Grundsätzen.
Der Beitrag erschien in der CIVIS mit Sonde 3–2018, Seiten 58 bis 60.
Prof. Dr. Stephan Harbarth MdB
war damals stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit den Aufgabenbereichen Recht und Verbraucherschutz, Innen, Sport und Ehrenamt, Vertriebene, Aussiedler und deutsche Minderheiten. Seit dem Jahr 2009 vertrat er den Wahlkreis Rhein-Neckar als Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war Mitglied im Bundesvorstand der CDU.
Der Autor ist seit Ende 2018 Vizepräsident am Bundesverfassungsgericht.