Wäh­rend sich (fast) alle auf das Super­wahl­jahr in der Pan­de­mie kon­zen­trie­ren, wirft Den­nis Rad­tke, Mit­glied der EVP-Frak­ti­on im Euro­päi­schen Par­la­ment, den Blick auf die Her­aus­for­de­run­gen für die CDU in die­sem Jahr­zehnt. Er zieht die gro­ßen Lini­en, innen- wie euro­pa­po­li­tisch. Dabei beleuch­tet er auch den christ­de­mo­kra­ti­schen Mar­ken­kern und sei­ne Über­set­zung in kon­kre­te Politik.

Ein Par­tei­tag, selbst wenn er digi­tal durch­ge­führt wird, ist kein Com­pu­ter­spiel, bei dem man den abge­spei­cher­ten Spiel­stand so oft neu laden kann, bis das gewünsch­te Ergeb­nis ein­tritt. In der Demo­kra­tie, auch in der inner­par­tei­li­chen, ist ein Ergeb­nis etwas, dass es zu respek­tie­ren gilt, gleich­gül­tig wie knapp es aus­ge­fal­len ist. Ein Ergeb­nis erlangt auch nicht erst dann Gül­tig­keit, wenn es am Ende eines Mit­glie­der­ent­schei­des steht. Reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, ob im Par­la­ment oder auf dem Par­tei­tag, ist kein Akt der eigen­wil­li­gen Selbst­be­mäch­ti­gung, son­dern hat ihre Wur­zeln dort, wo das Herz der Par­tei schlägt und die brei­te Mas­se unse­rer Mit­glie­der sich enga­gie­ren und ein­brin­gen: in den Orts­unio­nen und in den Kreis­ver­bän­den. Die­ses Prin­zip bzw. ein Par­tei­tags­er­geb­nis, das durch die­ses Prin­zip zustan­de gekom­men ist, in Fra­ge zu stel­len, weil gefühlt die Stim­mung an der Basis eine ande­re sei, ist nicht nur feh­len­der Respekt vor einer demo­kra­ti­schen Ent­schei­dung, es ist vor allem ein höchst gefähr­li­ches Nar­ra­tiv. Es befeu­ert die Legend­bil­dung vom welt­ent­rück­ten Estab­lish­ment redet zum ande­ren einer Dele­gi­ti­mie­rung unse­res organisatorischen(demokratischen) Grund­auf­baus das Wort.

Die CDU muss sich in den nächs­ten Wochen ent­schei­den, ob sie schnell den Weg zurück­fin­det zu der gera­de­zu legen­dä­ren Geschlos­sen­heit in Wahl­kämp­fen, die uns, gepaart mit einem unauf­ge­reg­ten Prag­ma­tis­mus und dem christ­li­chen Men­schen­bild als poli­ti­schen can­tus fir­mus, zum FC Bay­ern der deut­schen Poli­tik gemacht hat.

Die Wahl von Armin Laschet zum CDU-Bun­des­vor­sit­zen­den wird von Tei­len der Medi­en und der Par­tei in einem ver­zerr­ten Licht dar­ge­stellt. So wird das fal­sche Bild erzeugt, sei­ne Wahl sei eine kla­re Absa­ge an wirt­schafts­li­be­ra­le und kon­ser­va­ti­ve Poli­tik­an­sät­ze. Die kon­kre­te Poli­tik in Nord­rhein-West­fa­len lie­fert anschau­li­che Bei­spie­le, dass dies nicht der Fall ist und das Weh­kla­gen einem Phan­tom­schmerz entspringt.

Die Lan­des­re­gie­rung in Nord­rhein-West­fa­len geht bei der inne­ren Sicher­heit mit aller Här­te gegen Clan-Kri­mi­na­li­tät vor, die Poli­zei wur­de und wird im Bereich Aus­rüs­tung und Per­so­nal gestärkt. Die Zahl der Abschie­bun­gen ist so hoch wie die von Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg zusammen.

Im Bereich der Wirt­schafts­po­li­tik wur­den in den sog. „Ent­fes­se­lungs­pa­ke­ten I – V“ die Büro­kra­tie gera­de für den Mit­tel­stand redu­ziert, umstrit­te­ne Maß­nah­me von rot-grün wie die Hygie­ne-Ampel oder der Spio­na­ge­er­lass zurück­ge­nom­men, Antrags­stel­lun­gen digi­ta­li­siert, Ver­fah­ren beschleu­nigt und 1000 Grün­dersti­pen­di­en vergeben.

Wenn die Wahl von Armin Laschet als Absa­ge an etwas ver­stan­den wer­den soll, dann an eine Poli­tik, die mit der Kanz­ler­schaft von Ange­la Mer­kel bricht und statt­des­sen die Pola­ri­sie­rung in den Mit­tel­punkt rückt.

Mit der Wahl der neu­en Par­tei­spit­ze ver­bleibt bis zur Bun­des­tags­wahl nur noch eine Per­so­nal­fra­ge zur Klä­rung, näm­lich die des Kanz­ler­kan­di­da­ten. Die CDU wäre klug bera­ten, jen­seits die­ser offe­nen Per­so­na­lie alle wei­te­ren Per­so­nal­de­bat­ten auf die Zeit nach der Bun­des­tags­wahl zu ver­schie­ben. For­de­run­gen nach einer Ein­bin­dung von Fried­rich Merz in ein Kabi­nett, ob noch vor der Wahl oder erst als Teil einer neu­en Regie­rung, mögen für Ein­zel­ne ein wich­ti­ger Akt der Sinn­ge­bung sein, behin­dern aller­dings in der Brei­te der Par­tei die Kon­zen­tra­ti­on auf das Wesent­li­che, näm­lich die inhalt­li­che Auf­stel­lung für den Wahl­kampf und die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem poli­ti­schen Geg­ner. Fried­rich Merz ist für vie­le in der Par­tei zu einer Pro­jek­ti­ons­flä­che gewor­den, auf der die Erin­ne­run­gen an ver­meint­lich gute alte Zei­ten sicht­bar wer­den, ein emo­tio­na­ler Flucht­punkt, denen in der Ära Mer­kel zu vie­le Vol­ten geschla­gen wurden.

Rück­wärts­ge­wand­te Sehn­süch­te und/oder die Lust auf Abrech­nung bringt die CDU eben­so wenig wei­ter, wie dass von Tei­len des Par­la­ments­krei­ses Mit­tel­stan­des der CDU/CSU Bun­des­tags­frak­ti­on gera­de­zu osten­ta­ti­ve Lamen­to, nur mit einer Kurs­kor­rek­tur kön­ne ver­lo­re­ne wirt­schafts­po­li­ti­sche Kom­pe­tenz zurü­ck­erlangt wer­den. Wer Zwei­drit­tel der gesam­ten Frak­ti­on hin­ter sich ver­sam­melt, muss sich fra­gen las­sen, ob die rich­ti­gen The­men besetzt wor­den sind oder ob vor lau­ter Jam­mern und Weh­kla­gen über den ver­meint­li­chen Ver­lust von bür­ger­li­chem Pro­fil hier­für Raum und Ener­gie gefehlt haben. Für die künf­ti­ge Bun­des­tags­frak­ti­on mache ich mir eher Sor­gen mit Blick auf pro­fi­lier­te Sozi­al­po­li­ti­ker, die in der nächs­ten Peri­ode noch ein­mal zurück­ge­hen wird.

Aus mei­ner Sicht hat die CDU durch die Wahl von Armin Laschet die Chan­ce, sich auf einer Rei­he wich­ti­ger Fel­der akzen­tu­ier­ter als bis­her zu positionieren.

Euro­pa:

Die Euro­pa­po­li­tik der CDU in der Ära Mer­kel ist von einem erstaun­li­chen Dua­lis­mus geprägt. Auf der einen Sei­te ist Ange­la Mer­kel unbe­strit­ten die poli­ti­sche Per­sön­lich­keit, auf die auch in der EU alles schaut und die im Zen­trum der Ent­schei­dun­gen steht und dass nicht nur, weil sie die Regie­rungs­chefin des größ­ten Mit­glieds­staa­tes ist. Auf der ande­ren Sei­te ist die Euro­pa­po­li­tik Mer­kels gekenn­zeich­net von gro­ßer Nüch­tern­heit, einer gewis­sen Skep­sis gegen­über dem Euro­päi­schen Par­la­ment und dem­entspre­chend einer Favo­ri­sie­rung eher inter­gou­ver­ne­men­ta­len Ver­ein­ba­run­gen, wie kürz­lich beim sog. „Reco­very Fund“. Die par­la­men­ta­ri­sche Begleit­mu­sik der Bun­des­tags­frak­ti­on, so wie die par­tei­po­li­ti­sche der CDU-Füh­rungs­gre­mi­en, fiel pas­send dazu eher gedämpft aus.

Will die CDU ihren Sta­tus als DIE Euro­pa­par­tei bewah­ren, rei­chen künf­tig his­to­ri­sche Quer­ver­wei­se auf in der Ver­gan­gen­heit Erreich­tes nicht mehr aus. Gera­de in einer Pha­se, in der wir in eini­gen Län­dern Ost­eu­ro­pas eine Rena­tio­na­li­sie­rung erle­ben, in der Rechts­staat­lich­keit offen und pro­vo­ka­tiv in Fra­ge gestellt wird, in der eine Mischung aus gelang­weil­ten Upper Class Snobs und Popu­lis­ten das Ver­ei­nig­te König­reich aus der EU geführt haben, braucht Euro­pa nicht nur gekonn­tes Polit­ma­nage­ment, son­dern eine per­sön­li­che Lei­den­schaft in der Tra­di­ti­on von Hel­mut Kohl und Kon­rad Adenauer.

Ich will kei­ner Lais­sez-fai­re-Poli­tik das Wort reden, die arg­los das Geld des deut­schen Steu­er­zah­lers für die Rea­li­sie­rung von Wahl­ver­spre­chen in ande­ren Mit­glieds­staa­ten her­gibt. Zwi­schen einer sol­chen Grund­aus­rich­tung und der aktu­el­len, eher gedämpf­ten gibt es aller­dings jede Men­ge Bein­frei­heit, die der neue Vor­sit­zen­de als ehe­ma­li­ges Mit­glied des Euro­päi­schen Par­la­ments nut­zen kann und sicher nut­zen wird.

Die epo­cha­len euro­pa­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen der Ära Kohl und der Ära Ade­nau­er wur­den getrof­fen und von der CDU offen­siv ver­tre­ten, los­ge­löst von den Zustim­mungs­ra­ten in Umfra­gen. Bei­den war das Herz und die his­to­ri­sche Chan­ce im Zwei­fel auch immer wich­ti­ger als die Moment­auf­nah­me eines Taschenrechner-Displays.

Die Mini­mal­kom­pro­mis­se mit Blick auf die außen­po­li­ti­schen Erfor­der­nis­se, vor allem der Umgang mit Russ­land, Bela­rus und der Tür­kei, so wie das bei­na­he Schei­tern einer Eini­gung beim EU-Haus­halt, haben noch ein­mal den Fin­ger in die Wun­de der Ein­stim­mig­keit gelegt. Das Erfor­der­nis der Ein­stim­mig­keit in solch zen­tra­len Fra­gen, ein Relikt aus der Grün­dungs­zeit mit sechs Mit­glie­dern, erweist sich mehr und mehr als nicht mehr prak­ti­ka­bel, ja als Gefähr­dung des gesam­ten Pro­jekts. Eine ent­spre­chen­de Ver­än­de­rung der Ver­trä­ge, die die Arbeits­wei­se neu regelt, ist uner­läss­lich und wird nur mit einem deutsch-fran­zö­si­schen Motor zu errei­chen sein. In die­sem Zusam­men­hang muss fer­ner auch die Fra­ge des Spit­zen­kan­di­da­ten­mo­dells final beant­wor­tet und recht­lich nor­miert wer­den. Der Umgang mit der Wahl des Kom­mis­si­ons­prä­si­den­ten nach der letz­ten Euro­pa­wahl hat zu einem gro­ßen Ver­trau­ens­ver­lust geführt, der nur mit einer recht­li­chen Klar­stel­lung repa­riert wer­den kann.

Los­ge­löst von den all­ge­mei­nen euro­pa­po­li­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen gilt es die EVP als poli­ti­sche Par­tei neu auf­zu­stel­len. Hier­bei kommt dem CDU Vor­sit­zen­den als Ver­tre­ter der größ­ten Mit­glieds­par­tei natur­ge­mäß eine tra­gen­de Rol­le zu. Es gilt zwei zen­tra­le Fra­gen zu beantworten.

  1. Wie wol­len wir mit der Mit­glied­schaft von Fidesz wei­ter ver­fah­ren? Über einen lan­gen Zeit­raum sind die Argu­men­te eines für und wider aus­ge­tauscht wor­den und die Ent­schei­dung immer aufs Neue ver­scho­ben wor­den. Ver­wei­se, dass auch ande­re euro­päi­sche Par­tei­en pro­ble­ma­ti­sche Mit­glie­der haben, sind nicht hilf­reich, da wir nur unmit­tel­ba­ren Ein­fluss auf das neh­men kön­nen, was in unse­rer eige­nen Fami­lie pas­siert. Die Über­zeu­gung, durch eine Mit­glied­schaft in der EVP ver­stärkt Ein­fluss neh­men zu kön­nen, ist durch das Ver­hal­ten in den letz­ten Mona­ten ein­mal mehr ad absur­dum geführt wor­den. Es hat unzäh­li­ge Ver­su­che gege­ben mit Orban und Fidesz zu reden, die immer wie­der aufs Neue zu nichts geführt haben. Auch bei den Abstim­mun­gen im Par­la­ment ist Fidesz schon län­ger an vie­len Stel­len kein ver­läss­li­cher Part­ner mehr, son­dern kul­ti­viert auch hier mehr und mehr ein aus Buda­pest gesteu­er­tes Eigen­le­ben. Aus mei­ner Sicht muss die EVP klar­stel­len: Christ­de­mo­kra­tie in Euro­pa ist viel­fäl­tig, deckt eine gro­ße Band­brei­te ab, aber sie ist nicht belie­big. Dort, wo Rechts­staat­lich­keit nicht mehr geach­tet wird, dort, wo anti­se­mi­ti­sche Töne zum poli­ti­schen Mar­ke­ting gehö­ren und dort, wo die eige­nen Leu­te offen ange­grif­fen und bekämpft wer­den, ist das Christ­de­mo­kra­ti­sche Spek­trum ver­las­sen und die Par­tei kann nicht mehr Teil die­ser Fami­lie sein. Es geht hier­bei auch um die grund­sätz­li­che Aus­rich­tung der EVP. Orban hat klar gesagt, dass er die EVP als rech­te Par­tei eta­blie­ren will. Ein sol­cher „Rechts­ruck“ wur­de bereits in ande­ren EVP-Mit­glieds­par­tei­en voll­zo­gen, mit nie­der­schmet­tern­den Resul­ta­ten. In Frank­reich und Ita­li­en, die hier­für als Bei­spie­le die­nen mögen, sind EVP-Mit­glieds­par­tei­en bei den letz­ten natio­na­len Wah­len jeweils unter zehn Pro­zent gefallen.
  2. Somit stellt sich die Fra­ge: Wel­che Rol­le soll die EVP als Par­tei künf­tig, vor allem auch mit Blick auf die nächs­te Euro­pa­wahl, spie­len und wie kann es gelin­gen, die Par­tei zu einem ech­ten Motor mit eige­nem erkenn­ba­ren Pro­fil zu ent­wi­ckeln? Die Euro­pa­wahl 2019 und die poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on und der Umgang mit zen­tra­len poli­ti­schen The­men legen die Schwä­chen gna­den­los offen. Dass das Tages­ge­schäft vor allem von der Frak­ti­on abge­ar­bei­tet wird, liegt in der Natur der Sache. Dass es aber z.B. mit Blick auf die ver­blei­ben­de Legis­la­tur­pe­ri­ode weder eine Dis­kus­si­on, noch ent­spre­chen­de Beschlüs­se mit Erwar­tun­gen an die Kom­mis­si­on und an unse­re Kom­mis­sa­re gibt, dass es nicht gelingt, unse­re Kern­the­men und die gro­ßen Lini­en der EVP emo­tio­na­ler auf­zu­be­rei­ten und poli­tisch „zu ver­kau­fen“: Es braucht hier mehr Selbst­be­wusst­sein, mehr Erkenn­bar­keit und eine kla­re Aufgabenteilung.

Öko­no­mie, Öko­lo­gie und die sozia­le Frage:

Sozia­le Markt­wirt­schaft als sog. „drit­ter Weg“ hat­te in den Anfangs­jah­ren der Bun­des­re­pu­blik die kla­re Stoß­rich­tung, eine Über­win­dung des Grund­kon­flikts zwi­schen Kapi­tal und Arbeit her­bei­zu­füh­ren. Auch wenn es heu­te auf die­sem Kon­flikt­feld neue Bau­stel­len gibt, auf die spä­ter noch ein­zu­ge­hen ist, ist gesell­schaft­lich eine wei­te­re bedeu­tungs­vol­le Kom­po­nen­te hin­zu­ge­tre­ten, näm­lich die öko­lo­gi­sche Fra­ge. Aus mei­ner Sicht kön­nen nur Christ­de­mo­kra­ten den schein­ba­ren Ziel­kon­flikt in die­sem Drei­eck auf­lö­sen, da bei allen ande­ren poli­ti­schen Wett­be­wer­bern der Schwer­punkt zu stark ein­sei­tig auf einen der Punk­te gelegt wird.

Der Kampf gegen den Kli­ma­wan­del ist ohne Zwei­fel die größ­te sozi­öko­no­mi­sche Her­aus­for­de­rung die­ses Jahr­hun­derts. Für den Erfolg ist es aller­dings unab­ding­bar, dass die beschlos­se­nen Maß­nah­men von einem brei­ten gesell­schaft­li­chen Kon­sens getra­gen und nicht nur von Eli­ten und pri­vi­le­gier­ten Krei­sen getrig­gert wer­den, frei nach dem Mot­to „die einen fürch­ten das Ende der Welt, die ande­ren das Ende des Monats“. Exis­tenz­ängs­te von Indus­trie­ar­bei­ten, Land­wir­ten und mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­mern müs­sen bei den poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen eine ent­spre­chen­de Berück­sich­ti­gung fin­den. Die Leit­fra­ge muss sein: wie kön­nen wir die Kli­ma­zie­le errei­chen und unser Wohl­stands­ni­veau erhalten.

Für mich ist klar: Wer auf die­sem Feld erfolg­reich sein möch­te, der muss die Indus­trie als Part­ner, als Schlüs­sel zur Lösung begrei­fen und nicht als Feind. Ohne Inno­va­tio­nen wird der Kampf gegen den Kli­ma­wan­del nicht gelin­gen und Inno­va­tio­nen kom­men nicht, bei aller Wert­schät­zung, aus Amts­stu­ben, son­dern aus Unter­neh­men, die damit Geld ver­die­nen wol­len. Wir müs­sen unse­re Indus­trie trans­for­mie­ren und nicht aus Deutsch­land und Euro­pa ver­trei­ben. Ein sol­cher Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess benö­tigt nicht nur die rich­ti­gen poli­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen und Pla­nungs­si­cher­heit, ein sol­cher Pro­zess benö­tigt auch den poli­ti­schen Dia­log mit den Unter­neh­men und Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mern, mit den Indus­trie­ver­bän­den und Gewerk­schaf­ten. Nur wer mit allen Betei­lig­ten auf Augen­hö­he spricht, kann für sich in Anspruch neh­men, ein ehr­li­cher Mak­ler in die­sem Pro­zess zu sein. Wer ein­sei­tig Inter­es­sen ver­tritt, der gefähr­det durch das in Kauf neh­men von Struk­tur­brü­chen und dem Zusam­men­bruch gan­zer Wert­schöp­fungs­ket­ten den sozia­len Frie­den in unse­rem Land. Der Aus­stieg aus der Stein­koh­le und der beschlos­se­ne Aus­stieg aus der Braun­koh­le zei­gen bei­spiel­haft, wie so etwas gelin­gen kann. Eine akti­ve Indus­trie­po­li­tik in Nord­rhein-West­fa­len, die von Arbeit­ge­bern und Gewerk­schaf­ten gelobt wird, kann und soll­te hier bei­spiel­ge­bend für ganz Deutsch­land werden.

Von zen­tra­ler Bedeu­tung ist aller­dings auch, nicht nur zu erklä­ren und zu beschlie­ßen, was man nicht mehr will und wo man aus­tei­gen will, son­dern sich auch klar zu beken­nen, was man statt­des­sen möch­te. Gera­de bei der Umset­zung der Ener­gie­wen­de und dem sto­cken­den Netz­aus­bau fal­len die Schwä­chen die­ser Hal­tung deut­lich ins Auge. Hier ist die CDU gefor­dert, noch stär­ker als bis­her Flag­ge zu zei­gen, Wider­sprü­che auf­zu­zei­gen und für eine kohä­ren­te Poli­tik an die­ser Stel­le zu kämpfen.

Rhei­ni­scher Kapi­ta­lis­mus 2.0:

Einer der wich­tigs­ten Bau­stei­ne der sozia­len Markt­wirt­schaft sind Tarif­au­to­no­mie und Sozi­al­part­ner­schaft. In vie­len Berei­chen, wie z.B. in der Che­mie-und Stahl­in­dus­trie, fin­den sich her­aus­ra­gen­de Bei­spie­le für geleb­te Sozi­al­part­ner­schaft und inno­va­ti­ve Tarif­po­li­tik. Aller­dings spie­len sich im Schat­ten die­ser Leucht­tür­me und jen­seits von Beschwö­run­gen in poli­ti­schen Sonn­tags­re­den besorg­nis­er­re­gen­de Ent­wick­lun­gen ab. So ist die Tarif­bin­dung in West­deutsch­land von 1998 bis 2019 um 23 Pro­zent­punk­te gesun­ken, von 76 Pro­zent auf 53 Pro­zent, in Ost­deutsch­land im glei­chen Zeit­raum von 63 Pro­zent auf 45 Prozent.

Mit Blick auf die betrieb­li­che Mit­be­stim­mung ist eine ähn­li­che Ent­wick­lung zu ver­zeich­nen. In den betriebs­rats­fä­hi­gen Betrie­ben schrumpf­te die Anzahl von Betrie­ben mit Betriebs­rat bun­des­weit von 12 Pro­zent auf 9 Pro­zent. Damit wer­den aktu­ell noch etwa 40 Pro­zent aller Beschäf­tig­ten in Deutsch­land von einem Betriebs­rat vertreten.

Die Ent­wick­lung der Gewerk­schafts­mit­glied­schaf­ten ist eben­so besorg­nis­er­re­gend. Waren 1991 noch ca. 11,8 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land Mit­glied einer DGB-Gewerk­schaft, so sind es heu­te noch ca. sechs Mil­lio­nen. Nie waren in Deutsch­land mehr Men­schen sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig beschäf­tigt und nie waren gleich­zei­tig weni­ger Mit­glied in eine Gewerk­schaft.
Die­se Ent­wick­lun­gen sind Spreng­stoff für den sozia­len Frie­den in Deutsch­land. Dort, wo immer weni­ger zwi­schen den Sozi­al­part­nern gere­gelt wird, steigt der Rege­lungs­be­darf für Poli­tik. Dies kann und darf in einer sozia­len Markt­wirt­schaft aller­dings nicht der Anspruch sein.
Eine Spal­tung des Arbeits­mark­tes, eine Spal­tung von Beleg­schaf­ten, beför­dert letzt­lich eine Spal­tung der Gesellschaft.

Es ist an der CDU als DER Par­tei der sozia­len Markt­wirt­schaft, hier einen Dia­log über Ver­ant­wor­tung in Gang zu set­zen. Es wäre unver­ant­wort­lich, die­se Debat­te nicht zu füh­ren oder die Füh­rung ande­ren zu über­las­sen. Frei­heit in der sozia­len Markt­wirt­schaft ist ein hohes Gut, aber Frei­heit bedeu­tet nicht frei von Ver­ant­wor­tung, son­dern bei­des gehört zusam­men. Dort wo der Staat mehr und mehr gezwun­gen wird Din­ge zu regeln, die jen­seits sei­ner eigent­li­chen Kern­kom­pe­ten­zen lie­gen, ent­steht weder mehr Gerech­tig­keit, noch mehr Teil­ha­be an den wirt­schaft­li­chen Erfol­gen in unse­rem Land.

Volks­par­tei 2.0:

Der Abge­sang auf die Volks­par­tei­en in Deutsch­land hat eine lan­ge Tra­di­ti­on, an der sich Stamm­tisch wie Feuil­le­ton glei­cher­ma­ßen betei­li­gen wie ergöt­zen. Ohne Zwei­fel sieht sich die CDU hier genau wie SPD und FDP meh­re­ren fun­da­men­ta­len Ver­än­de­run­gen in Gesell­schaft und Medi­en­land­schaft aus­ge­setzt. Ein „Sofor­tis­mus“, der Druck auf alles mög­lichst in Echt­zeit zu reagie­ren, eine emo­ti­ons­ge­la­de­ne Empö­rungs­kul­tur und die Ver­brei­tung von Fake News gehen an den eta­blier­ten Par­tei­en eben so wenig vor­bei wie die Auf­lö­sung klas­si­scher Milieus mit ent­spre­chen­den Stamm­wäh­ler­po­ten­ti­al. Das Grund­ge­setz sieht die Mit­wir­kung der Par­tei­en am Wil­lens­bil­dungs­pro­zess vor, aber eine Ewig­keits­ga­ran­tie für das Bestehen ein­zel­ner Par­tei­en spricht es logi­scher­wei­se nicht aus. Zur erfolg­rei­chen Bewäl­ti­gung des Ver­än­de­rungs­pro­zes­ses, vor dem die Uni­on steht, kann ein Blick zurück hilf­reich sein.

23. Febru­ar 2020. Bür­ger­schafts­wahl in Ham­burg. Am Ende eines frus­trie­ren­den Wahl­abends bleibt der schwar­ze Bal­ken bei 11,2 Pro­zent ste­hen. Ein Desas­ter. In man­chen Stimm­be­zir­ken erreicht die CDU in der Frei­en und Han­se­stadt Ham­burg nicht ein­mal fünf Prozent.

Ich bin mir sicher, dass vie­le treue CDU Anhän­ger an solch einem Abend wenigs­tens ein­mal kurz den Gedan­ken haben, was wohl Hel­mut Kohl nun sagen oder tun wür­de, denn Hel­mut Kohl ist und bleibt neben Kon­rad Ade­nau­er der wich­tigs­te per­so­nel­le his­to­ri­sche Fix­punkt der CDU.
Wer heu­te an Hel­mut Kohl denkt, der hat nicht die Schlag­wor­te „Revo­lu­tio­när“ und „Visio­när“ vor Augen. Zu Unrecht!

Doch der „ewi­ge Kanz­ler“ hat genau so sei­ne poli­ti­sche Kar­rie­re begon­nen — mit revo­lu­tio­nä­ren poli­ti­schen For­de­run­gen. Heu­te, in einer Zeit, in der die ers­te Sexu­al­auf­klä­rung teil­wei­se schon in Grund­schu­len erfolgt, wir­ken Debat­ten um Kon­dom­au­to­ma­ten wie aus der Zeit gefal­len. Anfang der 50er Jah­re war dies ein unge­heu­rer Skan­dal, den der JU-Funk­tio­när Kohl los­ge­tre­ten hat­te, als er sich auf einem Lan­des­par­tei­tag der CDU Rhein­land-Pfalz für die flä­chen­de­cken­de Auf­stel­lung eben jener Auto­ma­ten einsetzte.

Inhalt­lich blieb Kohl über Jahr­zehn­te sei­nem Mut zur Erneue­rung treu.

Er, der prak­ti­zie­ren­de Katho­lik, schaff­te als Minis­ter­prä­si­dent von Rhein­land-Pfalz die Kon­fes­si­ons­schu­len ab, weil sie sei­nem Ver­ständ­nis von der Moder­ni­sie­rung der Schul­land­schaft im Wege standen.

Er, der als Che­mie-Arbeit­ge­ber-Funk­tio­när sei­ne beruf­li­che Lauf­bahn begon­nen hat­te, mach­te den christ­li­chen sozia­len Hei­ner Geiß­ler zum Sozi­al­mi­nis­ter in Rhein­land-Pfalz und spä­ter den christ­li­chen sozia­len Nor­bert Blüm zum „ewi­gen“ Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter. Bei­de mit ent­spre­chen­den Bein­frei­hei­ten in der poli­ti­schen Gestaltung.

Den Weg zur Macht durch Staats­äm­ter hat sich Hel­mut Kohl durch die radi­ka­le Erneue­rung der CDU gebahnt. Schei­ter­te er im ers­ten Anlauf noch an Rai­ner Bar­zel, so kenn­zeich­ne­te doch schon die­se Kan­di­da­tur für den Vor­sitz sei­nen poli­ti­schen Mut. Die­ser Mut und sei­ne Visio­nen von einer CDU als Mit­glie­der­par­tei, als Volks­par­tei eines ganz neu­en Typus, begeis­ter­te damals vie­le poli­ti­sche Mit­strei­ter in der Genera­ti­on von Hel­mut Kohl. Die Trans­for­ma­ti­on der CDU von der Hono­ra­tio­ren­par­tei zur moder­nen Mit­glie­der­par­tei war nicht mehr aufzuhalten.

Die­ser Wan­del mach­te sich nicht nur an Struk­tu­ren, son­dern auch an poli­ti­schen Inhal­ten fest. Star­ke Ver­ei­ni­gun­gen, unter­schied­li­che Köp­fe, die unter­schied­li­che Ziel­grup­pen errei­chen und den Mut, neue Wege zu gehen. So war es die CDU, die als ers­te Par­tei den Umwelt­schutz in ihr Grund­satz­pro­gramm auf­ge­nom­men hat.

Der inhalt­li­che und struk­tu­rel­le Wan­del, den Kohl mit sei­nen Mit­strei­tern initi­iert hat, war jedoch mehr als rei­ner Selbst­zweck auf dem Weg zum Bun­des­kanz­ler­amt. Er war schlicht eine Not­wen­dig­keit und eine Reak­ti­on auf die rund­erneu­er­te SPD mit Wil­ly Brandt an der Spit­ze, die sich nach dem Godes­ber­ger Par­tei­tag nicht nur poli­tisch Rich­tung Mit­te geöff­net hat­te, son­dern auch durch ihren cha­ris­ma­ti­schen Bun­des­kanz­ler ein Anzie­hungs­punkt für jun­ge Men­schen und Intel­lek­tu­el­le gewor­den war. Hier­auf galt es eine Ant­wort zu fin­den und dies ist in beein­dru­cken­der Art und Wei­se gelun­gen. Auf die­sem Fun­da­ment ließ sich poli­ti­scher Erfolg in den nächs­ten Jahr­zehn­ten generieren.

Die­sen Mut, Band­brei­te erkenn­bar zu machen, „Quer­köp­fen“ und Vor­den­kern eine Platt­form und Ver­ant­wor­tung zu geben, benö­tigt die CDU heu­te so drin­gend wie damals. Wir müs­sen nicht krampf­haft modern sein und jedem Trend hul­di­gen, aber wir soll­ten auch nicht, aus Trotz, eine rasier­was­ser­ge­tränk­te, breit­bei­ni­ge Gegen­welt kon­stru­ie­ren wol­len, in deren Mit­tel­punkt die Illu­si­on steckt, man kön­ne die Zeit zurück­dre­hen und vie­les wie­der unge­sche­hen machen. Die­sen Mut traue ich Armin Laschet zu, denn er hat die­sen Mut in Nord­rhein-West­fa­len bereits erfolg­reich unter Beweis gestellt.

Ein Poli­tik­an­satz, der ver­bin­det, der zusam­men­führt, gene­riert kei­ne poli­ti­sche Okto­ber­fest-Stim­mung. Armin Laschet ist kei­ne prä­po­ten­te Ein-Mann-Kapel­le, bei der schon nach den ers­ten Tak­ten das Publi­kum begeis­tert die Bier­bän­ke erklimmt. Er ist das Gegen­mo­dell, in einer Zeit, in der die Geschwin­dig­keit der Äuße­run­gen häu­fig wich­ti­ger erscheint als deren Qua­li­tät und in der Auf­merk­sam­keit oft­mals über den Wahr­heits­ge­halt geho­ben wird.

Der CDU als letz­ter ver­blie­be­nen Volks­par­tei kommt in die­sen Zei­ten eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung zu. Par­tei, beson­ders Volks­par­tei, funk­tio­niert nicht, wenn ein­zel­ne Grup­pen ihre Maxi­mal­for­de­run­gen als Glau­bens­satz for­mu­lie­ren. Da, wo der Kom­pro­miss und die Bereit­schaft dazu, vom Wesens­kern der Demo­kra­tie in einen Ver­rat an den eige­nen Posi­tio­nen umge­deu­tet wird, da wer­den die Grund­pfei­ler einer Par­tei erschüttert.

Die­se beson­de­re Ver­ant­wor­tung haben wir aber nicht nur uns gegen­über, um die Uni­on auf Erfolgs­kurs zu hal­ten, son­dern vor allem auch der Gesell­schaft gegen­über, den­je­ni­gen gegen­über also, für die mehr als 400.000 Christ­de­mo­kra­tin­nen und Christ­de­mo­kra­ten jeden Tag ehren­amt­lich und haupt­amt­lich arbei­ten. Dafür lohnt es sich die Ärmel hoch­zu­krem­peln. Wir haben alle Chan­cen, die 20er Jah­re zu gol­de­nen Zei­ten für unser Land und für unse­re Par­tei zu machen.

 

Den­nis Radtke

ist seit 2017 Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ter in der EVP Frak­ti­on. Er ist für Her­bert Reul über die Lan­des­lis­te NRW nach­ge­rückt. Der 41jährige ist Koor­di­na­tor sei­ner Frak­ti­on im Aus­schuss für Beschäf­ti­gung und sozia­le Ange­le­gen­hei­ten (EMPL). Vor sei­ner Abge­ord­ne­ten­tä­tig­keit war er bei der IG BCE als Gewerk­schafts­se­kre­tär tätig. Ehren­amt­lich ist er im CDA-Bun­des­vor­stand aktiv. Er ist Vater einer Toch­ter und lebt in Bochum.