Der Kampf gegen die Clans – Wie die Justiz mit dieser Herausforderung umgehen muss
Auch in Zeiten von COVID-19 schläft die sogenannte Clankriminalität nicht. Die niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, legt im neuesten „Impuls für die Zwanziger“ dar, wie die verschiedenen Facetten von Clankriminalität erkannt und erfolgreich bekämpft werden können.
Das Thema Clankriminalität hat in den vergangenen Monaten erheblich an Aufmerksamkeit gewonnen. Endlich, muss man sagen. Die Medien, die Politik, die Strafverfolgungsbehörden, die Bürgerinnen und Bürger – wir alle horchen inzwischen auf, wenn das Stichwort Clan fällt. Und ein jeder hat dann unterschiedliche Bilder im Kopf, was das eigentlich bedeuten soll – Clankriminalität. Die einen denken an Razzien in Shisha-Bars, mit viel Blaulicht vor der Tür. Andere denken an ältere Männer, die in Hinterzimmern einsilbige Befehle geben. Wieder andere denken an die Zusammenrottung oder Massenschlägereien junger Männer in unseren Innenstädten.
Das Thema Clankriminalität ist vielschichtig und so muss man ihm auch begegnen. Die Bekämpfung dieser Form der Kriminalität stellt den Gesetzgeber und die Ermittler vor neue Herausforderungen. Dieses Thema wird eines der beherrschenden der kommenden Jahre sein. Auch die Justiz muss sich hier neu aufstellen – nicht nur in den Ballungszentren.
Clankriminalität hat viele Facetten. Nicht jede ihrer Erscheinungsformen lässt schon auf den ersten Blick erkennen, dass es sich dabei auch tatsächlich um Clankriminalität handelt. Denn eines muss man sich vor Augen führen: Nur, weil es einen Clan mit einem bestimmten Nachnamen gibt, ist nicht jede Straftat, die von einer Person dieses Namens begangen wird, automatisch eine Clan-Straftat. Zur Wahrheit gehört aber auch: Clankriminalität ist eine Kriminalität von Migrationsangehörigen. Das offen anzuerkennen war lange Zeit politisch nicht gewünscht. Nach meinem Eindruck ist an dieser Stelle aber in jüngerer Vergangenheit etwas mehr Realitätssinn in die Diskussion eingekehrt.
Bei der Frage, um welche Form der Kriminalität es überhaupt geht, ist meines Erachtens ein Punkt wichtig: Ein Clan ist nicht immer gleichzusetzen mit einer mafiaähnlichen Organisation. Denn Clankriminalität unterscheidet sich durchaus von „organisierter Kriminalität“, auch wenn es erhebliche Überschneidungen gibt. Kriminelle Clanmitglieder betätigen sich auf ganz unterschiedlichen Feldern der Kriminalität: Ein Schwerpunkt ist der Handel mit Rauschgift. Hinzu kommen Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Typisch ist in allen Fällen der hohe Abschottungsgrad der Familienstrukturen, ein hohes Mobilisierungs- und Aggressionspotential und der Hang zum Aufbau von Parallelstrukturen. Aber auch ohne geschäftsähnliche Strukturen begehen Clanmitglieder Eigentums- und Vermögensdelikte, Körperverletzungen und Bedrohungen. Gerade in den Bedrohungen steckt oft die unverhohlene Botschaft, dass unsere Rechtsordnung ignoriert wird. Das Auftreten krimineller Clanmitglieder baut auf dieser Haltung auf; Clanmitglieder setzen vielfach auf die Botschaft: „Ihr könnt uns gar nichts“.
Das ist auch ein Unterschied zur „normalen“ organisierten Kriminalität. Dort gibt es gerade nicht immer diese offen zur Schau gestellte Haltung, den Rechtsstaat abzulehnen. Im Gegenteil: Organisierte Kriminalität (OK) zieht es vor, dass über sie nicht geredet wird. OK-Organisationen agieren am liebsten im Untergrund und gleichzeitig in der Mitte unserer Gesellschaft, ohne dass die Öffentlichkeit viel davon mitbekommt. Oder haben Sie schon mal davon gelesen, dass die kalabrische ’Ndrangheta mit einem Hochzeitskorso eine deutsche Autobahn blockiert?
Ganz anders ist es bei vielen Clans. Diese missachten und negieren unsere Rechtsordnung und das staatliche Gewaltmonopol zum Teil in offener, perfider, fast verhöhnender Art und Weise. Sie wähnen sich als über dem Rechtsstaat und der Gesellschaft stehend – und stellen diese Haltung unverhohlen zur Schau. Dabei geht es dann aber nicht durchweg um Straftaten, die im Strafgesetzbuch normiert sind. Das bewusst herausfordernde Verhalten der Clanmitglieder beginnt vielmehr häufig mit Provokationen und kleinen Übertretungen, hinter denen rechtlich oft nur eine Ordnungswidrigkeit steckt. Ich denke da an das Abstellen von hochmotorisierten, hochpreisigen Pkw in Halteverbotszonen oder in zweiter Reihe. Oder an die bereits erwähnten Hochzeitskorsos auf Autobahnen oder in unseren Innenstädten. All das passiert, um zu zeigen: „Wir sind da und ihr könnt uns nichts!“ Ein solches Verhalten sucht geradezu den grellen Scheinwerfer der Öffentlichkeit – in der vermeintlichen Sicherheit, dass es nicht geahndet wird.
Das Gefährliche an der Clankriminalität ist deshalb meines Erachtens auch nicht allein der wirtschaftliche Schaden. Das Gefährliche ist der Eindruck der rechtschaffenen Bürger: Da gibt es Kriminelle in unserem Land, die können machen, was sie wollen und keiner tut etwas. So ein Gefühl darf sich in einem Rechtsstaat nicht verbreiten. Dann haben wir alle ein Problem.
Das zeigt sich auch noch an anderer Stelle: Ein vollkommen übersteigertes Ehrgefühl wirkt bei manchen Clanmitgliedern wie ein Brandbeschleuniger. Ein Wort hier, eine Geste da, plötzlich rotten sich die Clans zusammen und bekämpfen einander. Unsere Polizei hat dann viel Mühe, diese Gewalt-Eskalationen zu befrieden. Und das Schlimmste daran ist: Wir hatten in Niedersachsen bereits Fälle, in denen die Polizei diese Schlägereien auflösen wollte. Und von jetzt auf gleich solidarisierten sich die bis dahin verfeindeten Großfamilien gegen die Polizei und richteten ihre Aggression mit geeinten Kräften gegen den Staat. Dass sich Bürger vor Clankriminalität besonders fürchten, kann man an dieser Stelle verstehen.
Was ist also zu tun? Einer der wichtigsten Schritte ist bereits geschafft: Die Einsicht, dass etwas getan werden muss. In vielen Bundesländern ist das Thema Clankriminalität in der jüngeren Vergangenheit auf die politische Agenda gerückt. Vielerorts werden bereits jetzt vermeintlich geringfügige Delikte mit Clan-Bezug konsequent verfolgt, der Rechtsstaat zeigt mehr Präsenz und Härte. Das gilt für die Polizei ebenso wie für die Justiz.
In Niedersachsen verstärken wir in diesem Jahr unsere Staatsanwaltschaften und schaffen vier Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Clan-Kriminalität. An insgesamt vier Standorten in Niedersachsen werden sich Ermittler im Schwerpunkt mit dem Thema beschäftigen. Die Zentrale Stelle Organisierte Kriminalität und Korruption der Generalstaatsanwaltschaft Celle soll zudem die bundesweite und internationale Vernetzung gewährleisten. Ziel ist es, der Clan-Kriminalität nicht erst ab der Schwelle zur Organisierten Kriminalität, sondern bereits deutlich darunter mit konsequenter Strafverfolgung zu begegnen. Beginnend bei kleineren Ordnungswidrigkeiten über häusliche Gewalt und Betäubungsmitteldelikte bis hin zur Schwerkriminalität. Damit machen wir unseren Rechtsstaat stark und wehrhaft. Denn kleinere Delikte, die nicht konsequent verfolgt werden, ermutigen vielfach zu größeren. Deshalb müssen wir die deutliche Botschaft senden, dass der Rechtsstaat sich Provokationen nicht bieten lässt.
Ich halte es für sehr sinnvoll, dabei auf spezialisierte und für das Phänomen besonders sensibilisierte Staatsanwälte zu setzen, die durch den Zuschnitt ihrer Dezernate die Möglichkeit haben, sich einen genauen Überblick über die Clanstrukturen vor Ort zu verschaffen. Nur Ermittler, die sich ein Bild über die Gesamtzusammenhänge machen können, kennen die einzelnen Mitglieder der Familien und ihre Rolle im Gesamtsystem. Das erlaubt einen Erkenntnisgewinn über den Aufbau lokaler und regionaler Strukturen. Spezial- und Hintergrundwissen ist für eine effektive Strafverfolgung gerade in diesem Bereich von besonders großer Bedeutung. Wichtig ist auch, dass sich die jeweils zuständigen Sicherheits‑, Ordnungs‑, Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden miteinander vernetzen und kooperieren.
Im Rahmen der Strafverfolgung ist es zudem zentral, auch Vermögenswerte der Clanangehörigen zu sichern – und letztlich auch einzuziehen. Denn es liegt auf der Hand, dass es die Clans besonders trifft, wenn ihnen das Geld entzogen wird. Natürlich ist auch die Ermittlung von Vermögensgegenständen, deren Herkunft und Zuordnung eine wichtige Aufgabe für die Strafverfolger. Auch wenn schon im Allgemeinen der Grundsatz gilt: „Straftaten dürfen sich nicht lohnen!“ – dieser Aspekt ist im Rahmen der Verfolgung krimineller Clanmitglieder besonders bedeutsam. Dies trifft diese Szene nahezu am härtesten.
Gehen wir es an!
Barbara Havliza
ist seit 2017 niedersächsische Justizministerin. Zuvor war sie als Vorsitzende Richterin in einem Staatsschutz-Senat am Oberlandesgericht Düsseldorf tätig.