Auf den ers­ten Blick adelt der Auf­stieg zur Welt­macht das chi­ne­si­sche Sys­tem. Deutsch­land braucht jedoch nicht in Selbst­zwei­fel zu ver­fal­len. Ein Plä­doy­er für eine lern­fä­hi­ge und selbst­be­wuss­te Demokratie.

Von Tim Wen­ni­ges und Maxi­mi­li­an Mayer

Die Chi­ne­sen malen Bil­der, die Ame­ri­ka­ner erzäh­len Geschich­ten und die Deut­schen wol­len am Anfang genau wis­sen, was am Ende her­aus­kommt. Wel­cher Ansatz erscheint fle­xi­bler, wenn es dar­um geht, gro­ße Zukunfts­pro­jek­te umzu­set­zen? Der Pla­nungs­an­satz der Deut­schen kommt in einer sich rasch und dyna­misch ver­än­dern­den Welt an sei­ne Gren­zen – nie­mand weiß heu­te, wie die Ener­gie­wen­de am Ende aus­se­hen wird oder wie wir den Sprung in die Digi­ta­li­sie­rung und die Nut­zung künst­li­cher Intel­li­genz wirk­lich meis­tern wer­den. Sind ande­re Sys­te­me wie etwa das chi­ne­si­sche hier­bei erfolg­rei­cher? Ist das chi­ne­si­sche Sys­tem effek­ti­ver und pro­du­ziert bes­se­re Ent­schei­dun­gen für die Zukunfts­fä­hig­keit sei­nes Lan­des? Was kön­nen wir ggf. davon ler­nen? Gibt es spe­zi­fi­sche Stär­ken des deut­schen Sys­tems, deren Poten­zia­le wir aber nicht mehr zu heben verstehen?

Die­se Fra­gen bedür­fen zunächst eines Blicks in das poli­ti­sche Sys­tem der Volks­re­pu­blik: An der ver­bo­te­nen Stadt hängt seit 1949 das Kon­ter­fei von Mao Zedong – dies ist sinn­bild­li­cher Aus­druck des Grün­dungs­my­thos der Volks­re­pu­blik und der damit untrenn­bar ver­bun­de­nen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei. Die KP Chi­nas begrün­det ihre Allein­herr­schaft auf einem Gesell­schafts­ver­trag mit fol­gen­den Elementen:

1.) Chi­nas ter­ri­to­ria­le Sou­ve­rä­ni­tät, die Sta­bi­li­tät nach Innen und Selbst­be­stim­mung nach Außen wird garantiert.

2.) Chi­nas Moder­ni­sie­rung, die eine impe­ria­le Zivi­li­sa­ti­on in das nun 21. Jahr­hun­dert führt, wird vorangetrieben.

3.) Jedem Chi­ne­sen wird ste­tig wach­sen­der Anteil an der wirt­schaft­li­chen Pro­spe­ri­tät garantiert.

Wackelt einer die­ser drei Grund­pfei­ler des Ver­tra­ges, dann ist die Allein­herr­schaft der KP in Fra­ge gestellt. Dies muss man sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, um die zum Teil para­no­iden Reak­tio­nen der KP-Füh­rung auf für uns unbe­deu­tend wir­ken­de Zwi­schen­fäl­le zu ver­ste­hen. Es liegt in der DNA des Füh­rungs­per­so­nals der KP Chi­nas, alles dafür zu tun, um die­se drei Zie­le gleich­ran­gig zu ver­fol­gen. Ansons­ten steht die Legi­ti­mi­tät der KP und damit die Volks­re­pu­blik selbst zur Dis­po­si­ti­on. Allei­ne durch Zen­sur und Repres­sio­nen kann die Par­tei den Macht­er­halt nicht sichern.

Wäh­rend sich in demo­kra­ti­schen Sys­te­men die poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten nach Wah­len, poli­ti­scher Wil­lens­bil­dung oder exter­nen Ein­flüs­sen stän­dig ver­än­dern, blei­ben in Chi­na die­se drei genann­ten Zie­le das zen­tra­le Leit­mo­tiv für die poli­ti­sche Eli­te. In der west­li­chen Logik erscheint das chi­ne­si­sche Sys­tem damit unfle­xi­bel, schwer refor­mier­bar und kann auf neue Auf­ga­ben kaum adäquat reagie­ren. In der Tat sind die meis­ten Auto­kra­tien an der Skle­ro­se ihrer poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­se zugrun­de gegan­gen. Die­ses Schick­sal wur­de auch für Chi­na wie­der­holt pro­phe­zeit. Nicht weni­ge in der KP sor­gen sich um die Erneue­rungs­kraft der eige­nen Par­tei, ins­be­son­de­re weil der Flü­gel, der für libe­ra­le Refor­men steht, der­zeit voll­ends ins poli­ti­sche Abseits gedrängt ist.

Wie gelang es Chi­na den­noch in den Berei­chen digi­ta­le Öko­no­mie und künst­li­che Intel­li­genz nicht nur auf­ge­holt zu haben, son­dern an der Welt­spit­ze zu ste­hen? Wie kann Inno­va­ti­on trotz des alles durch­drin­gen­den Herr­schafts­an­spruchs der KP und ein­ge­schränk­ter Grund­rech­te ent­ste­hen? Ist gemäß west­li­cher Logik nicht nur ein im demo­kra­ti­schen Sin­ne frei­es Sys­tem attrak­tiv für die krea­tivs­ten Köp­fe? Wer dies annimmt, über­schätzt die Strahl­kraft unse­rer Gesell­schaf­ten und unse­res poli­ti­schen Sys­tems in sei­ner heu­ti­gen Form. Die Seg­nun­gen der Digi­ta­li­sie­rung kom­men auto­kra­ti­schen Sys­te­men sogar ent­ge­gen. Gesetz­ge­bung und Recht­spre­chung im libe­ra­len Rechts­staat neh­men Rück­sicht auf die Anfor­de­run­gen der Schutz­be­rei­che von Indi­vi­du­al­rech­ten. Bei einer Unter­ord­nung unter die ein­gangs genann­ten drei Ober­zie­le, wer­den in Chi­na hin­ge­gen digi­ta­le Medi­en sys­te­ma­tisch dazu genutzt, poli­ti­sche Kon­trol­le zu fes­ti­gen. Ob es uns pas­sen mag oder nicht, zahl­rei­che Demo­kra­tie­theo­re­ti­ker, die das Inter­net als Tech­no­lo­gie der Demo­kra­ti­sie­rung ansa­hen, und den Nie­der­gang der Auto­kra­tien vor­aus­ge­sagt haben, wer­den damit Lügen gestraft.

Dar­über hin­aus ist das Wirt­schafts­sys­tem Chi­nas nach vier­zig Jah­ren Reform und Öff­nungs­po­li­tik eine Hybrid­form aus Plan­wirt­schaft und kapi­ta­lis­ti­scher Markt­wirt­schaft, die durch­aus fle­xi­bel und prag­ma­tisch die Vor­tei­le der jewei­li­gen Zwil­lings­form zu kom­bi­nie­ren weiß. Aus bei­den Model­len stam­men jedoch auch unrühm­li­che Über­bleib­sel, etwa in Form inef­fi­zi­en­ter und hoch­sub­ven­tio­nier­ter Staats­be­trie­be einer­seits und nahe­zu unre­gu­lier­tem Raub­tier­ka­pi­ta­lis­mus ande­rer­seits. In der rasch wach­sen­den Digi­tal­wirt­schaft – Chi­na ver­fügt über mehr als 750 Mil­lio­nen Inter­net­nut­zer, einen gigan­ti­schen online Retail Markt sowie 50% der welt­wei­ten Top-Fin­tech Star­tups – tref­fen die poli­ti­schen Inter­es­sen der KP, die wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen der gro­ßen Platt­form-Unter­neh­men und die Aus­wei­tung der indi­vi­du­el­len Nut­zungs­mög­lich­kei­ten des End­nut­zers auf­ein­an­der. Momen­tan scheint die lücken­lo­se Daten­trans­pa­renz allen Akteu­ren ent­ge­gen zu kom­men: 1.) Aus Sicht des chi­ne­si­schen End­nut­zers über­wie­gen die Vor­tei­le der neu­en digi­ta­len Ser­vice­dienst­leis­tun­gen zwei­fels­oh­ne die Ein­schrän­kung der Pri­vat­sphä­re sowie die Gefahr von Daten­klau und Online-Betrug. 2.) Bai­du, Ten­cent, Ali­b­a­ba und ande­re pro­fi­tie­ren von nahe­zu unbe­grenz­ter Daten­er­he­bung und –spei­che­rung, wäh­rend der Staat ihre Mono­pol­stel­lung nicht ein­schränkt. 3.) Der KP ermög­li­chen die Netz­werk­struk­tu­ren für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Daten­er­he­bung eine sozia­le und ideo­lo­gi­sche Kon­trol­le, von der die SED nur träu­men konnte.

Neben den Erfol­gen in der Digi­tal­wirt­schaft schau­en man­che mit Stau­nen auf die gigan­ti­schen Infra­struk­tur­pro­jek­te in Chi­na. Flug­hä­fen, Schnell­zug­ver­bin­dun­gen, Häfen und Stadt­vier­tel wer­den in weni­gen Jah­ren nach zügi­gen Pla­nungs­ver­fah­ren und schnel­ler Bau­zeit eröff­net. Der geneig­te west­li­che Beob­ach­ter kri­ti­siert die­se Ver­fah­ren wegen feh­len­der Indi­vi­du­al- und Eigen­tums­rech­te, die bei Pro­jek­ten die­ser Art in der Tat kei­ne Beach­tung erhal­ten. Dies ist zwei­fels­oh­ne mit unse­rem Wer­te­sys­tem und unse­rem Rechts­staat unmög­lich ver­ein­bar. Aber lässt sich jen­seits der berech­tig­ten Skep­sis beim direk­ten Ver­gleich zwi­schen chi­ne­si­schen und euro­päi­schen Groß­pro­jek­ten etwas ler­nen? Gibt es nicht eine Wahr­heit in der Mit­te, von der bei­de Sei­ten ler­nen könn­ten? Ein Ansatz­punkt erscheint der Schutz­be­reich der Indi­vi­du­al­rech­te zu sein. Eigen­tums­rech­te genie­ßen – auch aus his­to­ri­scher Erfah­rung – in Deutsch­land zurecht einen beson­ders hohen Stel­len­wert. Aber muss dies auch für die Betrof­fen­heit nicht direkt Betei­lig­ter (z.B. bei jed­we­der Form von Ver­bands­kla­ge­rech­ten) gel­ten? Dür­fen Min­der­hei­ten, die eben­falls aus guten Grün­den beson­de­ren Schutz genie­ßen, ihre Rech­te dau­er­haft über die Inter­es­sen der All­ge­mein­heit stel­len? Dies erscheint uns in hohem Maße frag­lich z.B. in Bezug auf Pla­nungs- und Bau­ver­fah­ren. Wel­che Len­kungs­funk­tio­nen und Lie­fer­ver­pflich­tun­gen kom­men der Poli­tik und wel­che dem Markt zu?

Man­che stel­len sich die Fra­ge, ob ein pla­nen­der über­mäch­ti­ger Staat nicht die bes­se­re Alter­na­ti­ve wäre. Die kla­re Ant­wort gibt unser Grund­ge­setz. Aber ord­nungs­po­li­tisch soll­ten wir einen Aspekt nicht unter­schät­zen: Die Moder­ni­sie­rung unse­rer Volks­wirt­schaf­ten, die Stich­wor­te sind „Neue Antrie­be“, „Ener­gie­ver­sor­gung der Zukunft“ und „Daten­in­fra­struk­tur“, benö­ti­gen poli­ti­schen Wil­len zur Umset­zung und oft­mals erheb­li­che Anfangs­in­ves­ti­tio­nen. Chi­na ist der­zeit poli­tisch bereit und wirt­schaft­lich in der Lage, bei­des zu lie­fern. Wäh­rend der aktu­el­le Koali­ti­ons­ver­trag sich mit Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und der Ver­tei­lung neu­er sozia­ler Wohl­ta­ten aus­führ­lich beschäf­tigt, blei­ben Zukunfts­vi­sio­nen vage. Bekennt­nis­se zu kon­kre­ten not­wen­di­gen Infra­struk­tur­vor­ha­ben blei­ben aus.

Regio­na­le Beson­der­hei­ten als Stär­ken nutzen

Ein im Wes­ten oft ver­kann­tes Ele­ment der chi­ne­si­schen Reform­po­li­tik (und gleich­zei­tig ihre Bür­de) ist die rela­ti­ve Auto­no­mie der chi­ne­si­schen Pro­vin­zen und der gleich­ran­gi­gen Metro­po­len wie Shang­hai und Peking. Trotz der jüngs­ten Ten­den­zen, wie­der mehr Macht in der Haupt­stadt zu zen­trie­ren, ist es mit­nich­ten so, dass Chi­nas Struk­tur­po­li­tik zen­tral gesteu­ert wird. Die Pro­vin­zen ver­fü­gen über zum Teil erheb­li­che Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se in den Berei­chen Infra­struk­tur, For­schung und Tech­no­lo­gie sowie Wirt­schafts­för­de­rung. Die Pro­vin­zen ste­hen mit ihren Initia­ti­ven und Expe­ri­men­ten in einem stän­di­gen natio­na­len Wettbewerb.

Erstaun­li­cher­wei­se erfolgt die­se dezen­tra­le Orga­ni­sa­ti­on Chi­nas in Zei­ten in denen föde­ra­le Struk­tu­ren in Deutsch­land zuneh­mend ein­ge­schränkt wer­den. In wie vie­len Sonn­tags­re­den wur­de die Bedeu­tung des Föde­ra­lis­mus in Deutsch­land her­aus­ge­stellt? Wie oft wur­de die Rol­le der Län­der und Kom­mu­nen in unse­rem sub­si­diä­ren Sys­tem betont? Statt­des­sen wird das Koope­ra­ti­ons­ver­bot abge­schafft und immer öfter der Ruf nach zen­tral­staat­li­chen Lösun­gen laut. Ziel muss es sein, ein effek­ti­ves Sys­tem der poli­ti­schen Ent­schei­dungs­fin­dung mit sub­si­diä­rem Cha­rak­ter zu ent­wi­ckeln. Nur das Zusam­men­spiel von zen­tra­ler und dezen­tra­ler Ebe­ne ver­schafft uns die not­wen­di­ge Fle­xi­bi­li­tät und Anpas­sungs­fä­hig­keit, um im glo­ba­len Wett­be­werb zu bestehen. Anders aus­ge­drückt: Der inner­deut­sche Wett­be­werb macht uns fit für den glo­ba­len Wettbewerb.

Zukunfts­kul­tur

Alle Tech­no­lo­gie­för­de­rung läuft ins Lee­re, wenn die Bevöl­ke­rung die neu­en Mög­lich­kei­ten nicht auf­greift. War­um ist gera­de in Chi­na eine der­ar­ti­ge Tech­nik­be­geis­te­rung zu spü­ren, und war­um wer­den so unbe­küm­mert neue Tech­no­lo­gien ange­wandt? Der spie­le­ri­sche Umgang mit digi­ta­len Tech­no­lo­gien lässt sich zudem über alle sozia­len Schich­ten und Alters­grup­pen hin­weg beob­ach­ten. Die Beant­wor­tung die­ser Fra­ge lässt nur Ver­mu­tun­gen zu. Die „Flucht nach vor­ne“ ist ein Erklä­rungs­ver­such: Der Blick zurück zeigt Armut, Elend und die Aus­wir­kun­gen der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on. Vie­le kul­tu­rel­le Wur­zeln aus dem kai­ser­li­chen Chi­na wur­den in Zei­ten der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on und dem Hyper­wachs­tum danach gekappt. Dar­aus resul­tiert eine star­ke Zukunfts­ori­en­tie­rung, aber par­al­lel dazu eine inten­si­ve Suche nach der eige­nen kul­tu­rel­len Iden­ti­tät und Ver­wur­ze­lung. Dies ist einer der zen­tra­len Wider­sprü­che Chi­nas, den wir als west­li­che Beob­ach­ter nicht auf­lö­sen können.

Unter­neh­mens­struk­tur

Kenn­zeich­nend für die Digi­ta­li­sie­rung in Chi­na ist die Ent­ste­hung gigan­ti­scher „pri­va­ter“ Inter­net­un­ter­neh­men. Die Bedeu­tung die­ser Tech­no­lo­gie­rie­sen erfor­dert einen genaue­ren Blick auf die Unter­neh­mens­struk­tur in Chi­na. Im Ver­gleich zu Deutsch­land ist die chi­ne­si­sche Unter­neh­mens­land­schaft geprägt von drei Typen von Unter­neh­men: 1.) Mono­po­li­ti­sche Platt­form­gi­gan­ten (ins­be­son­de­re Daten­un­ter­neh­men) 2.) Sklero­ti­sche Staats­be­trie­be (zB. Stahl, Beton) 3.) Mikro­un­ter­neh­men (indi­vi­du­el­le Exis­tenz­grün­der). Der für Deutsch­land so cha­rak­te­ris­ti­sche und über­le­bens­not­wen­di­ge klas­si­sche Mit­tel­stand fehlt in Chi­na wei­test­ge­hend. Inno­va­ti­on ent­steht in Deutsch­land aber in erheb­li­chem Maße in die­sen mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men, die Wege suchen müs­sen, die­se Inno­va­ti­on zu einem Geschäfts­mo­dell zu ent­wi­ckeln. In Chi­na hin­ge­gen sind die Platt­form­gi­gan­ten Inno­va­ti­ons­trei­ber. Dies kann zB. an der Zahl der Patent­an­mel­dun­gen abge­le­sen wer­den. Auch die meis­ten Start-Ups wer­den durch die­se Groß­un­ter­neh­men finan­ziert. Die Zukunfts­fä­hig­keit Chi­nas hängt damit von Weni­gen ab – der deut­sche Ansatz einer sek­to­ra­len und geo­gra­phi­schen Diver­si­fi­zie­rung der Inno­va­ti­ons­clus­ter ist ein wich­ti­ger Wettbewerbsvorteil.

Ziel muss daher sein, die mit­tel­stän­di­sche Wirt­schaft wei­ter zu stär­ken und ihre Bedin­gun­gen in Deutsch­land und in der Welt zu ver­bes­sern. Es sind die mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men, die in beson­de­rer Wei­se unter unglei­chen Chan­cen bei Fra­gen des Markt­zu­gangs und der Koope­ra­ti­on in Chi­na lei­den. Wegen der wirt­schaft­li­chen Kon­kur­renz aus Chi­na muss Ord­nungs­po­li­tik in Deutsch­land das Wohl­erge­hen die­ser Unter­neh­men in beson­de­rer Wei­se berück­sich­ti­gen. Chi­ne­si­sche Direkt­in­ves­ti­tio­nen sind – wenn auch teil­wei­se poli­tisch gesteu­ert – nicht per se schäd­lich für deut­sche Unter­neh­men. Die bis­he­ri­gen Erfah­run­gen umfas­sen Erfolgs­ge­schich­ten, die nicht nur Arbeits­plät­ze in Deutsch­land sichern, son­dern auch Markt­zu­gän­ge in Chi­na schaf­fen, die für vie­le KMU vor­her schwer rea­lis­ar­bar waren. Den­noch darf man nicht blau­äu­gig sein: der Ton wird nach­hal­tig weni­ger bequem wer­den. Chi­na strebt die glo­ba­le Tech­no­lo­gie­füh­rer­schaft an und deut­sche Unter­neh­men wer­den ver­mehrt mit Kon­kur­renz auf Augen­hö­he aus dem Reich der Mit­te kon­fron­tiert sein. Neben pass­ge­nau­en Instru­men­ten fürs Invest­ment­s­cree­ning braucht es auch Maß­nah­men gegen erzwun­ge­nen Tech­no­lo­gie­trans­fer sowie Cyber-Spionage.

Erneue­rung der sozia­len Markt­wirt­schaft als Schlüssel

Bei allen gewal­ti­gen Auf­ga­ben und Risi­ken, bei allem weit­ver­brei­te­ten Gefühl, der „Wes­ten“ befän­de sich im Hin­ter­tref­fen, dür­fen wir nicht ver­ges­sen, an die Stär­ke unse­rer demo­kra­ti­schen und plu­ra­len sozia­len Markt­wirt­schaft zu glau­ben. Eine Ent­schla­ckung von unnö­ti­gen Aus­wüch­sen und ein Über­den­ken der über­be­ton­ten staat­li­chen Len­kungs­funk­tio­nen ist aller­dings not­wen­dig. Der „Wett­be­werb als Ent­de­ckungs­ver­fah­ren“ (Hayek) gilt für wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Kon­stel­la­tio­nen glei­cher­ma­ßen. Die CDU muss dabei die trei­ben­de Kraft der öko­no­mi­schen Ver­nunft, der muti­gen Ver­än­de­rung und des mode­ra­ten sozia­len Aus­gleichs sein. Von ande­ren Sys­te­men zu ler­nen, hat noch nie­man­dem gescha­det. Dies erfor­dert eine ana­ly­ti­sche Per­spek­ti­ve und kann nur jen­seits von Dämo­ni­sie­rung und Glo­ri­fi­zie­rung gesche­hen. Ziel soll­te es natür­lich nicht sein, die müh­sam erwor­be­nen poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Frei­heits­rech­te zu schlei­fen, son­dern den Werk­zeug­kas­ten der Ord­nungs­po­li­tik sinn­voll zu erwei­tern. Natür­lich braucht Deutsch­land bei der von Chi­na ange­tra­ge­nen Sys­tem­kon­kur­renz nicht in Selbst­zwei­fel ver­fal­len. Statt­des­sen geht es dar­um, von den erfolg­rei­chen Tei­len Chi­nas zu ler­nen, ohne die poli­ti­sche Schwer­punkt­set­zung und die mas­si­ven Wer­te­dif­fe­ren­zen zu übersehen.

Die Mah­nung, die Demo­kra­tie in die­ser Pha­se der Sys­tem­kon­kur­renz nicht zu über­for­dern, steht im Raum. Denn die Demo­kra­tie „lebt von Anspruch und Ver­zicht, von Bin­dung und Frei­heit. Ihr Pro­gramm besteht nicht dar­in, dass sie Kon­flik­te aus der Welt schafft, wie es alle Ideo­lo­gen von jeher erfolg­los ver­spro­chen haben, son­dern dar­in, dass sie hono­ri­ge For­men für ihre Aus­tra­gung ent­wi­ckelt. “ (Alfred Herr­hau­sen, 1971)

Ein Deutsch­land, das gera­de sei­ne Kon­zen­tra­ti­on nach Innen rich­tet, darf nicht die Dyna­mik der Glo­ba­li­sie­rung aus dem Blick ver­lie­ren. Ins­be­son­de­re den Erfolg der asia­ti­schen Gesell­schaf­ten zu ver­nach­läs­si­gen, wäre ein gro­ßer Feh­ler. Selbst wenn Chi­nas Wachs­tum mit­tel­fris­tig abklin­gen soll­te, weil das Land wirt­schaft­li­che Refor­men nur zöger­lich angeht, behält es dau­er­haf­te Bedeu­tung für die euro­päi­schen Markt­wirt­schaf­ten. Neue For­men der ord­nungs­po­li­ti­schen Posi­tio­nie­rung müs­sen gedacht und ent­wi­ckelt wer­den. Teil­wei­se braucht es mehr Staat, und teil­wei­se auch weni­ger Staat. Um eine effek­ti­ve Mischung zu fin­den, bedarf es aller­dings deut­lich mehr poli­ti­schen Wil­len und Mut zum Expe­ri­ment als sich in der aktu­el­len Fas­sung des Koali­ti­ons­ver­tra­ges fin­den lässt.

Tim Wen­ni­ges lei­tet seit 2015 das Büro der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung in Shang­hai. Von 2008 bis 2015 arbei­te­te er beim Arbeit­ge­ber­ver­band Süd­west­me­tall, zuletzt als Refe­rats­lei­ter “Poli­ti­scher Dia­log” in Stutt­gart. Er schloss 2004 sein Stu­di­um an der Johns Hop­kins Uni­ver­si­ty in inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen ab und absol­vier­te in 2005 die Diplo­ma­ti­sche Aka­de­mie Wien.

Dr. Maxi­mi­li­an May­er ist seit 2015 Pro­fes­sor an der Tong­ji Uni­ver­si­tät Shang­hai. Zuvor, seit 2009, lehr­te und forsch­te er am Bon­ner Cen­ter for Glo­bal Stu­dies. Sei­ne For­schungs­in­ter­es­sen und ‑exper­ti­se umfas­sen u.a. die glo­ba­le Poli­tik von Wis­sen­schaft, Inno­va­ti­on und Tech­no­lo­gie, Chi­na-Stu­di­en sowie inter­na­tio­na­le Beziehungstheorien.