Jeder Mensch hat ein Anrecht auf selbstbestimmtes Sterben
Die angehende Medizinerin Julie Da Ronch fordert den Tod und die Sterbehilfe zu enttabuisieren. Jedem todkranken Menschen stünde die individuelle Entscheidung sein Leben selbstbestimmt mit Hilfe von Medikamenten zu beenden zu.
Sterben gehört zum Leben dazu. In der Theorie ist dies eigentlich jedem Menschen klar. In der Praxis gibt es für viele jedoch kaum ein schwierigeres Thema als die Vorstellung vom (eigenen) Tod, die Auseinandersetzung mit dem Sterben und den Tod eines geliebten Menschen. Und doch sind Menschen oft viel früher mit diesem Thema konfrontiert, als sie es sich gewünscht, sich vorgestellt oder auch eingestanden haben. Seit einem Jahr werden wir durch die Corona-Pandemie sehr viel stärker mit dem Sterben konfrontiert als zuvor: durch Todeszahlen und Berichten von Todeskämpfen auf den Intensivstationen. Allerdings ist der Tod immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Und zu diesem Tabu gehört auch die Auseinandersetzung mit der Sterbehilfe.
Als Medizinstudentin erlebe ich Patient:innen, die mit dem Wissen leben, dass sie sterben werden und diese Welt früher als gewollt verlassen zu müssen. Ich erlebe die Angst. Was passiert mit mir, wenn ich sterbe? Wer kümmert sich um meine Kinder? Ich erlebe die Wut. Warum ich? Warum muss ich jetzt schon gehen? Ich habe doch noch so viel vor. Ich erlebe die Hoffnung, dass doch noch ein medizinisches Wunder passiert und die Person nicht viel früher gehen muss, als sie es sich vorgestellt hat. Ich erlebe die Verzweiflung, wenn der Mensch sich eingestehen muss, dass niemand etwas an dieser Situation mehr ändern kann. Trauer, Erleichterung, Neid, Erlösung, Motivation – die Emotionen eines sterbenskranken Menschen sind individuell verschieden. Der todkranke Mensch darf fühlen, was er möchte. Und genauso sollte jedem totkranken Menschen auch eine individuelle Entscheidung überlassen werden: Wie er das Sterben erleben und ob er das Leben selbstbestimmt mit Hilfe von Medikamenten beenden möchte.
Die Freiheit des Suizids umfasst auch die Freiheit hierfür Hilfe bei Dritten zu suchen
Wenn man in unserem Land von „Sterbehilfe“ spricht, gibt es unterschiedliche Vorstellungen, was dieser Begriff genau umfasst. Um überhaupt eine Debatte über die Legalisierung der Sterbehilfe führen zu können, müssen die wesentlichen Formen klar unterschieden werden. Im Allgemeinen werden unter dem Begriff „Sterbehilfe“ alle Handlungen und Maßnahmen verstanden, die den Eintritt des Todeszeitpunkts von palliativen Patient:innen (gezielt) beeinflussen.
Als „Tötung auf Verlangen“, umgangssprachlich häufig auch „aktive Sterbehilfe“ genannt, wird das tätige und gezielte Herbeiführen des Todes bezeichnet. Ein:e Ärzt:in führt durch sein:ihr Handeln den Tod des Menschen auf dessen Wunsch hin gezielt herbei. Seit kurzem ist die Tötung auf Verlangen, neben den Niederlanden und Belgien auch in Spanien erlaubt. In Deutschland hingegen ist sie durch den § 216 Strafgesetzbuch (StGB) gesetzlich verboten und kann mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden.
Die Therapiebegrenzung hingegen, also die „passive Sterbehilfe“, ist in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil der palliativen Medizin. Mediziner:innen führen hierbei nicht aktiv (durch ein Medikament) den Tod herbei, sondern lassen Patient:innen durch die Begrenzung der Therapie sterben. Es gibt zwei Arten der Therapiebegrenzung: einerseits den Abbruch einer Therapie, zum Beispiel die Beendigung einer künstlichen Beatmung; andererseits den Behandlungsverzicht, in dem Wissen, dass in der Folge des Unterlassens der Behandlung der Tod der behandelten Person eintreten wird. Passive Sterbehilfe ist in Deutschland seit den 1980er Jahren gesetzlich erlaubt. Jede:r hat das Recht, eine medizinische Behandlung am Lebensende zu verweigern oder nur unter bestimmten Bedingungen zu wünschen. Auch wenn die Weiterführung der Therapie aus medizinischen Gründen nicht mehr angezeigt ist, kann die Therapiebegrenzung aus ärztlicher Perspektive eine Option sein. Maßgeblich ist hierbei der mutmaßliche Patientenwille.
Die sogenannte „indirekte Sterbehilfe“ nimmt einen wesentlichen Teil in der Diskussion um die Einführung der Beihilfe zum Suizid ein. Dies liegt vor allem am technischen und medizinischen Fortschritt im Bereich der Intensiv- und Palliativmedizin. Anders als bei den bisher genannten Formen der Sterbehilfe ist der eigentliche Zweck der indirekten Sterbehilfe nicht das Herbeiführen des Todes. Ziel ist vielmehr häufig die Linderung von unerträglichen Schmerzen oder Symptome. Für die angemessene Behandlung wird der Tod als mögliche Konsequenz in Kauf genommen. Die indirekte Sterbehilfe ist in Deutschland derzeit nicht explizit rechtlich geregelt.
Häufig in einem Atemzug mit der „aktiven Sterbehilfe“ wird die „Beihilfe zum Suizid“ genannt. Bei dieser verhilfen Ärzt:innen den todkranken Menschen durch Medikamente zum Tod. Als Ärzt:in „assistiert“ man hierbei der:dem Patient:in beim Suizid, weswegen diese Form der Sterbehilfe auch als „assistierter Suizid“ bezeichnet wird. § 217 StGB stellt fest, dass die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich nicht strafbar ist, da der Suizid selbst keine Straftat ist. Beihelfende müssen hierbei jedoch beweisen können, dass es sich um einen freigewählten Suizid der assistierten Person handelte.
Die sogenannte „geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid“ wird ebenfalls über § 217 StGB regelt und hier bisher verboten. Als „geschäftsmäßig“ wird eine wiederholte Beihilfe zum Suizid bezeichnet. Dadurch ist es Mediziner:innen verboten, durch die Verschreibung von tödlich wirkenden Medikamenten beim Suizid zu assistieren. Ärzt:innen haben, je nach Berufsordnung der Landesärztekammer, darüber hinaus mit berufsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Am 26. Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz wegen des Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht für verfassungswidrig erklärt. Wegen des Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Im Klartext bedeutet das: Die Freiheit des Suizids umfasst auch die Freiheit hierfür Hilfe bei Dritten zu suchen und diese auch in Anspruch zu nehmen. Und das ist richtig so.
Einen würdevollen Tod ermöglichen
Wir leben in Deutschland in einem Land, in dem das Recht auf Selbstbestimmung und auf ein selbstbestimmtes Leben ein unverzichtbares Gut ist. Umso mehr irritiert es, dass das Recht auf Selbstbestimmung nicht auch das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben umfasst. Man kann hier zu Recht einwenden: Es ist möglich auf unterschiedliche Art und Weise auch ohne die Beihilfe von Dritten sein Leben selbstbestimmt zu beenden. Aber nicht für jede:n bedeutet dies ein würdevolles Sterben und auch nicht allen ist dies möglich.
Kritiker:innen werfen an diesem Punkt gerne ein, dass auch das Leben selbst einen immanenten Wert an sich habe, der schützenswert sei. Doch wie kann ich ein Leben weiterleben, das für mich ganz persönlich nicht mehr lebenswert ist? Jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob eine durch schwere, unheilbare und tödlich verlaufende Erkrankung eingeschränkte Lebensqualität noch seinem individuellen Anspruch an ein selbstbestimmtes Leben entspricht. Und wenn ein:e Patient:in zu dem schweren Entschluss gekommen ist, dass das eigene Leben in diesem Ausmaße nicht mehr lebenswert für sie/ihn sei, dann sollte man dieser Person auch im Hinblick auf das eigene Sterben nicht ihr Recht auf Selbstbestimmung verweigern.
Ich bin als Medizinerin davon überzeugt, dass jedem Lebenszustand Menschenwürde zukommt.
Viele dieser palliativen Patient:innen wurde durch die Diagnose der lebensverkürzenden Erkrankung ein großer Teil an Selbstbestimmung bereits genommen. Mit der Legalisierung der Beihilfe zum Suizid in Deutschland könnte diesen Menschen eine Option geboten werden: nämlich, die Welt in einem Zustand zu verlassen, in dem der Verstand noch nicht durch starke Schmerzmittel oder Sedativa vernebelt ist, in dem sie noch nicht miterleben mussten, wie die geistigen und körperlichen Kräfte weiter versagen. Ich bin als Medizinerin davon überzeugt, dass jedem Lebenszustand Menschenwürde zukommt. Sterbenden, die den langsamen Tod als qualvolles Zugrundegehen verspüren, möchte ich aber trotzdem nicht widersprechen, wenn sie sich nach einem würdevollen Tod sehnen. Das kann die Beihilfe zum Suizid leisten.
Die Palliativmedizin ersetzt nicht die Beihilfe zum Suizid
Im Gegensatz zur Sterbehilfe beschäftigt sich das Gebiet der Sterbebegleitung nicht mit lebensverkürzenden Maßnahmen, sondern zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität und die Begleitung von Sterbenden am Lebensende ab. In vielen Debatten um die Sterbehilfe wird immer wieder die Weiterentwicklung der modernen Medizin, und vor allem der Palliativmedizin, als Gegenargument zur Einführung der Beihilfe zum Suizid genannt.
Die Unterstützung von Patient:innen und deren Angehörigen durch die Hospizarbeit und die Palliativmedizin sind heutzutage fest in die Begleitung sterbenskranker Menschen integriert – und das ist auch richtig so! Fortschritte in der Palliativmedizin ermöglichen mittlerweile auch vielen schmerzgeplagten Patient:innen einen schmerzärmeren und ruhigen Tod.
Hierzu zählt beispielsweise die sogenannte „palliative Sedierung“. Hierbei kommt es durch die Gabe von Medikamenten zur Bewusstseinsminderung und Linderung unerträglichen Leidens. Noch tiefer in das Bewusstsein greift die „terminale Sedierung“ ein. Es wird hierbei eine tiefe, kontinuierliche Sedierung bis zum Todeszeitpunkt erzeugt, die zur irreversiblen Schädigung des Bewusstseins führt.
Für einige Patient:innen ist dies aber nicht genug. Genau wie bei der Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen kann es bei einer palliativen bzw. terminalen Sedierung dazu kommen, dass der eigentliche Todeszeitpunkt nicht Minuten, sondern Stunden oder Tage nach dem Beginn der Sedierung eintritt. Ob Patient:innen hierbei wirklich hundertprozentig schmerzlos im sedierten Zustand verweilen, vermag man nicht zu sagen. Bewusstlos, ohne definitive Verabschiedung von den Liebsten, in einem Bett zu liegen, ohne wirklich zu leben – dies ist für einige Menschen beängstigender als der Tod selbst. Auch ich kann mir nur schwerlich vorstellen, so bis zu meinem letzten Atemzug einfach nur noch „da zu sein“. Auch für diese Fälle brauchen wir die Option auf Beihilfe zum Suizid.
Warum Sterbehilfe nie die einzige Option sein wird
Gegner:innen der Beihilfe zum Suizid verweisen auf die Gefahr, dass vulnerable Gruppen sich durch die Einführung dieser Form der Sterbehilfe einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt fühlen könnten. Ich glaube nicht, dass eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids eine Art „Trend“ auslösen wird.
Ich glaube nicht, dass eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids eine Art „Trend“ auslösen wird.
Erstens besteht ein breiter Konsens darüber, dass die Beihilfe zum Suizid nur unter bestimmten Voraussetzungen genehmigt werden kann und sollte. Auch bei einem Schwangerschaftsabbruch, einem weiteren ethisch sowie gesellschaftlich stark diskutierten Thema, bestehen bestimmte Voraussetzungen und Reglementierungsmöglichkeiten. Meiner Meinung zeigt dieses Beispiel gute Möglichkeiten, um die Beihilfe zum Suizid zu regeln. Eine strenge Kontrolle ist die Grundlage für eine Legalisierung dieser Form von Sterbehilfe.
Wiederholte Aufklärungsgespräche über die verschiedenen Therapie- und palliativmedizinischen Optionen, psychiatrische Gutachten und psychologische Therapiebegleitung von Sterbenden und Angehörigen können hier von Bedeutung sein. Sie geben Aufschluss über Intensität und Motiv des Sterbenswunsches, die familiären und sozialen Einflüsse und weitere mögliche Einflussfaktoren. Durch Wiederholungen dieser Gespräche mit einem bestimmten Abstand können die Hintergründe des Sterbenswunsches und seine Beständigkeit aufgezeigt werden.
Ein assistierter Suizid darf weder aus Verzweiflung noch aus extrinsischen Motiven vollzogen werden. Ein assistierter Suizid darf niemals als einzige Option wahrgenommen werden. Es ist unsere Pflicht als Gesellschaft, als Therapeut:innen, als Ärzt:innen und als Angehörige, dass ein sterbender Mensch sich nie unter Druck gesetzt fühlt, diesen Schritt gehen zu müssen. Der sterbende Mensch muss es selbst wollen.
Den Patient:innen, denen man keine Hoffnung auf ein langes Leben mehr vermitteln kann, müsse man wenigstens die Aussicht auf einen selbstbestimmten, friedvollen Tod geben können.
Und genau dieser Punkt, dass die Sterbehilfe nie als einzige Option angesehen werden darf, bestärkt mich in meiner Überzeugung: Trotz oder auch wegen der Einführung des ärztlich assistierten Suizids wird der Fortschritt in der palliativen und kurativen Medizin nicht gebremst werden. Im Gegenteil: Wissenschaftler:innen und Mediziner:innen werden nicht aufhören, eine Heilung für tödlich verlaufende Krankheiten finden zu wollen. Sie werden weiter forschen und hoffentlich früher als später eine kurative Therapieoption entwickeln, um ihren Patient:innen das Leben und nicht den Tod zu ermöglichen. Eine Oberärztin der Onkologie, die sich seit fast 30 Jahren tagtäglich um totkranke Patient:innen kümmert, sagte mir in einem Gespräch: Sie habe noch keine:n Patient:in getroffen, die oder der nicht weiterleben wollte. Den Patient:innen, denen man keine Hoffnung auf ein langes Leben mehr vermitteln kann, müsse man wenigstens die Aussicht auf einen selbstbestimmten, friedvollen Tod geben können.
Julie Da Ronch
ist angehende Medizinerin. Sie engagiert sich ehrenamtlich in CDU und Junger Union sowie der parteinahen Hermann-Ehrlers-Stiftung im Bereich der Gesundheits- und Gesellschaftspolitik. Derzeit promoviert sie in der Entzündungsmedizin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.