Die bei­den CDU-Gene­ral­se­kre­tä­re Kurt Bie­den­kopf und Peter Tau­ber im Gespräch über den Bun­des­tags­wahl­kampf damals und heute.

Inter­view: Sil­vie Rohr & Carl-Phil­ipp Sassenrath
Foto­gra­fie: Ste­ven Lüdtke

CIVIS: Herr Pro­fes­sor Bie­den­kopf, 1976 haben sie aus der Oppo­si­ti­on her­aus als Gene­ral­se­kre­tär den Wahl­kampf der CDU gelei­tet. Wür­den Sie sagen, dass Oppo­si­ti­ons­wahl­kampf ein­fa­cher ist als aus der Regie­rung heraus?

Bie­den­kopf: Es war eine völ­lig ande­re Zeit. Man kann sie mit der heu­ti­gen nicht ver­glei­chen. Hel­mut Kohl war noch Minis­ter­prä­si­dent in Rhein­land-Pfalz und Par­tei­vor­sit­zen­der. In der Aus­ein­an­der­set­zung mit Rai­ner Bar­zel hat­te er sich durch­ge­setzt. Im Früh­jahr 1973 frag­te er mich, ob ich ihm für den Fall sei­ner Wahl als Gene­ral­se­kre­tär zur Ver­fü­gung ste­hen wür­de. Ich war zu der Zeit seit knapp drei Jah­ren Mit­glied der Zen­tra­len Geschäfts­füh­rung von Hen­kel. Ich unter­rich­te­te Kon­rad Hen­kel von Hel­mut Kohls Anfra­ge. Kon­rad Hen­kel ant­wor­te­te mir: “This is a call to public duty.” Er war der Über­zeu­gung, dass man die Anfra­ge nicht ableh­nen soll­te, und bot mir an jeder­zeit wie­der­zu­kom­men. Auch des­we­gen war ich als Gene­ral­se­kre­tär völ­lig unab­hän­gig. Ich hat­te zwar viel Erfah­rung, aber kei­ne poli­ti­sche Erfah­rung, nicht in dem Sin­ne wie Hel­mut Kohl sie hat­te. Die Zeit zwi­schen Kohls Wahl zum Vor­sit­zen­den der Par­tei und mei­ner als Gene­ral­se­kre­tär war eine sehr krea­ti­ve, wenn auch nicht span­nungs­freie Zeit. Das Ergeb­nis sprach ja für sich: Wir gewan­nen aus der Oppo­si­ti­on 48,6 Pro­zent der Stim­men. Das muss man heu­te erst ein­mal schaffen.

CIVIS: Fast die abso­lu­te Mehrheit!

Bie­den­kopf: 600.000 Wäh­ler­stim­men fehl­ten uns damals zur abso­lu­ten Mehr­heit. Das war auch gut so. Denn mit so einer dün­nen Mehr­heit zu regie­ren, wäre nicht unpro­ble­ma­tisch gewe­sen. Und die FDP ver­wei­ger­te sich als Koali­ti­ons­part­ner. Das änder­te sich erst 1982 und 83.

Tau­ber: Auch bei der Bun­des­tags­wahl im Jahr 2013 fehl­ten uns nur sechs Abge­ord­ne­ten­man­da­te zur abso­lu­ten Mehr­heit. Wenn man die vie­len schwie­ri­gen Ent­schei­dun­gen zur Staats­schul­den­kri­se in Euro­pa oder die Ent­schei­dun­gen wäh­rend der Flücht­lings­kri­se betrach­tet, dann ist es ganz gut gewe­sen, dass wir kei­ne abso­lu­te Mehr­heit hat­ten. Schließ­lich haben wir ja inner­halb der Uni­on hef­tig gestrit­ten bei all die­sen Fra­gen. Gleich­wohl arbei­ten wir jetzt natür­lich dafür, dass wir ande­re Mehr­hei­ten jen­seits der Gro­ßen Koali­ti­on fin­den. (ZITAT: „Wir arbei­ten dafür, dass wir ande­re Mehr­hei­ten jen­seits der Gro­ßen Koali­ti­on fin­den.“) Dafür braucht es wie­der eine star­ke Union.

CIVIS: Ist das eine ande­re Art der Ver­ant­wor­tung mit der man in einen Wahl­kampf gehen muss, wenn man aus der Regie­rung her­aus Wahl­kampf betreibt?

Tau­ber: Die SPD macht Wahl­kampf als Oppo­si­ti­on inner­halb der Regie­rung. Man muss sich irgend­wann mal ent­schei­den, was man sein will. Will man regie­ren? Oder will man lie­ber in der Oppo­si­ti­on Platz neh­men? Die SPD könn­te die Erfol­ge der letz­ten vier Jah­re – von denen es vie­le gibt – gemein­sam mit uns ver­tre­ten. Sie hat sich dage­gen ent­schie­den, das ist dann halt so. Um auf die Aus­gangs­fra­ge zurück­zu­kom­men: Ich tue mich mit sol­chen Ver­glei­chen schwer; jede Zeit und jeder Wahl­kampf hat sei­ne eige­nen Her­aus­for­de­run­gen. Ich kann heu­te mit ande­ren Instru­men­ten arbei­ten. Wir haben gera­de eben im Auf­zug dar­über gespro­chen, wie man heu­te eigent­lich Wahl­kampf ohne Smart­pho­ne machen wür­de. Das sind ganz ande­re Rah­men­be­din­gun­gen. Wir haben eine ganz ande­re Medi­en­land­schaft als frü­her, mit dem Pri­vat­fern­se­hen, mit den Online­me­di­en, Face­book, Twit­ter, etc.

Bie­den­kopf: Die Zeit, in der wir heu­te leben, kann man nicht mit den 1970er Jah­ren ver­glei­chen. Die SPD war vor Wil­ly Brandt noch nie in der Regie­rung gewe­sen. Mit ihm hat­te sie eine pro­mi­nen­te Leit­fi­gur gewon­nen, die über die Gren­zen der eige­nen Par­tei hin­aus wirk­te. Jetzt kan­di­diert die SPD mit einem Kan­di­da­ten, der nie ein höhe­res Füh­rungs­amt in der Bun­des­po­li­tik inne­hat­te. (ZITAT: „Jetzt kan­di­diert die SPD mit einem Kan­di­da­ten, der nie ein höhe­res Füh­rungs­amt in der Bun­des­po­li­tik inne­hat­te.“) Ange­la Mer­kel hin­ge­gen bringt zwölf Jah­re Regie­rungs­er­fah­rung und eine exzel­len­te Regie­rungs­bi­lanz mit.
Wäh­rend die­ser Zeit ist ihr Anse­hen in Euro­pa und in der gesam­ten Welt immer wei­ter gestie­gen. Es ist noch nicht lan­ge her, dass Leu­te wie der ehe­ma­li­ge US-Außen­mi­nis­ter Hen­ry Kis­sin­ger und ande­re for­der­ten, Ange­la Mer­kel sol­le die Füh­rungs­rol­le in Euro­pa über­neh­men. Die Erwar­tung hat sie erfüllt, auch wenn sie das selbst so nicht sehen mag. Die­ses Anse­hen ist enorm. Dar­in ändert auch die Dau­er­kri­tik von Mar­tin Schulz nichts. Was eigent­lich scha­de ist, denn die Koali­ti­on beginnt lang­sam aus­ein­an­der­zu­fal­len. Aber es sind ja auch nur noch…

Tau­ber: …weni­ge Wochen. Inter­es­sant ist auch, dass es in der heu­ti­gen Zeit kei­ne kla­re Tren­nung mehr gibt zwi­schen dem was in ande­ren Tei­len der Welt und was bei uns geschieht. Der Krieg in Syri­en etwa hat unmit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf uns. Die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen in Afri­ka eben­so. Wenn wir Frie­den, Wohl­stand und Frei­heit für uns in Euro­pa und in Deutsch­land wah­ren wol­len, müs­sen wir uns mit der Welt aus­ein­an­der­set­zen. Ange­la Mer­kel schafft es, genau das den Leu­ten nahe zu brin­gen. Sie macht deut­lich, dass es sich dabei um Her­aus­for­de­run­gen han­delt, mit denen wir umge­hen müs­sen aber auch kön­nen. Wo Her­aus­for­de­run­gen sind, sind auch Chan­cen. Des­we­gen haben wir im Regie­rungs­pro­gramm einen star­ken Akzent auf die Ent­wick­lung in Afri­ka gelegt. Des Wei­te­ren wol­len wir gemein­sam mit Frank­reich ein neu­es Kapi­tel in der Euro­pa­po­li­tik auf­schla­gen. Man kann sehen, dass das Wahl­pro­gramm der Uni­on sehr breit auf­ge­stellt ist.

CIVIS: Den­noch wird CDU und CSU in der Öffent­lich­keit und von der Kon­kur­renz teil­wei­se Mut­lo­sig­keit, man­ches Mal gar Ideen­lo­sig­keit vor­ge­wor­fen. Ein berech­tig­ter Vorwurf?

Tau­ber: Ich fin­de, das ist voll­kom­men falsch. Wir haben es wäh­rend der Kanz­ler­schaft von Ange­la Mer­kel geschafft, die Arbeits­lo­sig­keit zu hal­bie­ren. Wer hät­te das vor gut zehn Jah­ren noch gedacht? Als ich 2009 zum ers­ten Mal für den Bun­des­tag kan­di­diert habe, habe ich lan­ge dar­über nach­ge­dacht, wel­che poli­ti­schen Zie­le wir uns ste­cken soll­ten. Ich dach­te damals, es müs­se doch mög­lich sein, dass der Staat irgend­wann einen aus­ge­gli­che­nen Haus­halt ohne neue Schul­den vor­legt. Das hat es wäh­rend mei­nes Lebens bis dahin noch nicht gege­ben. Ich bin 42 Jah­re alt. Kei­ne Fami­lie, kein Unter­neh­men hät­te es sich leis­ten kön­nen, fast vier Jahr­zehn­te lang jedes Jahr aufs Neue Schul­den zu machen. Das hät­te kein Finan­zier, kei­ne Bank, nicht mal die Kreis­spar­kas­se mit­ge­macht. (ZITAT: „Das hät­te kein Finan­zier, kei­ne Bank, nicht mal die Kreis­spar­kas­se mit­ge­macht.“) Und damit gebro­chen zu haben ist neben der Hal­bie­rung der Arbeits­lo­sig­keit ein gro­ßer Erfolg der Uni­on. Dann ist doch klar, dass man nach zwölf Jah­ren, die dem Land aus­ge­spro­chen gut getan haben, nicht alles neu macht, son­dern sich gezielt fragt, wo kon­kre­ter Hand­lungs­be­darf besteht.

CIVIS: Und wo sehen Sie den im Einzelnen?

Tau­ber: Über Afri­ka haben wir ja bereits gespro­chen. Ein wei­te­res Bei­spiel ist die Digi­ta­li­sie­rung. Da müs­sen wir in Euro­pa etwas tun und zu den Ame­ri­ka­nern auf­schlie­ßen: in der Wirt­schaft, der Infra­struk­tur, in der Bil­dungs­po­li­tik. Da haben wir im Regie­rungs­pro­gramm Ant­wor­ten, die bes­ser sind als die von den ande­ren Par­tei­en, auch wesent­lich konkreter.

Bie­den­kopf: Ich bin mir nicht sicher, ob man in einem Wahl­kon­zept sagen soll­te, dass wir zu Ame­ri­ka auf­schlie­ßen müs­sen. Es ist doch völ­lig offen, ob das, was in Ame­ri­ka gera­de abläuft, wirk­lich die Zukunft ist und in eine gute Rich­tung führt. Beden­ken Sie: In Ame­ri­ka wächst auch die Sor­ge über die Domi­nanz des Sili­con Val­ley. Die gro­ße Idee von offe­nen Märk­ten gilt dort immer weni­ger. Face­book, Goog­le und ande­re haben sich zu Gigan­ten ent­wi­ckelt, deren Macht­po­si­tio­nen immer weni­ger mit unse­rer Vor­stel­lung von Demo­kra­tie ver­ein­bar sind. (ZITAT: „Face­book, Goog­le und ande­re haben sich zu Gigan­ten ent­wi­ckelt, deren Macht­po­si­tio­nen immer weni­ger mit unse­rer Vor­stel­lung von Demo­kra­tie ver­ein­bar sind.“) Unse­re breit ange­leg­ten Mit­tel­stands­struk­tu­ren, die sich seit vie­len Jahr­zehn­ten bewährt haben und um die man uns in den USA benei­det, soll­te man nicht in Fra­ge stel­len, bei aller Bewun­de­rung für eini­ge US-ame­ri­ka­ni­sche Glo­bal Player.

Tau­ber: Nun, aber die Fra­ge, ob man inno­va­tions- und ver­än­de­rungs­be­reit ist, müs­sen wir schon beant­wor­ten. Wir soll­ten auf der Grund­la­ge der sozia­len Markt­wirt­schaft die­ser neu­en Form von Öko­no­mie auch kla­re Regeln set­zen. Die­se kön­nen dann wie­der­um erlau­ben, dass sol­che Ent­wick­lun­gen auch in Euro­pa entstehen.

Bie­den­kopf: Ich ver­ste­he immer noch nicht, war­um wir die­se Fra­ge beant­wor­ten müs­sen. Das fin­det doch längst alles statt. In dem Pro­gramm wird rich­ti­ger­wei­se fest­ge­hal­ten, dass der Mit­tel­stand in Deutsch­land die tra­gen­de Kraft ist. Das gilt in Ame­ri­ka nicht. In Ame­ri­ka gibt es kei­ne ver­nünf­ti­ge Aus­bil­dung von Fach­ar­bei­tern. Auch dar­um benei­den uns die Ame­ri­ka­ner. Bei uns ist sie in hohem Maße ent­wi­ckelt. Es gibt eine Fül­le von Unter­schie­den, die von gro­ßer Rele­vanz sind. Im Übri­gen war es eine enor­me Leis­tung, dass uns die­se Ent­wick­lun­gen in Deutsch­land gelun­gen sind, trotz der Wie­der­ver­ei­ni­gung, bei der wir eine Bevöl­ke­rung von fast zwan­zig Mil­lio­nen Men­schen auf­ge­nom­men haben. Wir haben die­sen Pro­zess bewäl­tigt, und zwar ohne rie­si­ge Pro­tes­te und Streiks.

Tau­ber: Da bin ich ganz bei Ihnen. Die Geschich­te der deut­schen Ein­heit muss uns Mut machen, dass wir auch jetzt die vor uns lie­gen­den Her­aus­for­de­run­gen wie­der meis­tern wer­den. Trotz­dem müs­sen wir uns über­le­gen, wie die von Ihnen beschrie­be­ne Stär­ke der deut­schen Volks­wirt­schaft mit ihrer mit­tel­stän­disch gepräg­ten Struk­tur in der digi­ta­len Welt noch funk­tio­niert. Denn es gibt in der digi­ta­len Welt durch­aus einen Hang zur Zen­tra­li­sie­rung inner­halb von Märkten.

Bie­den­kopf: Einen Hang zur Zen­tra­li­sa­ti­on und der damit ver­bun­de­nen Macht gibt es in Wett­be­werbs­märk­ten immer. Die­sem „Hang“ begeg­net die Markt­wirt­schaft mit dem Wett­be­werbs­recht. Die Auto­mo­bil­in­dus­trie lie­fert gera­de ein Beispiel.

Tau­ber: Das Nut­zer­ver­hal­ten im Netz unter­wirft sich aber nicht dem Wett­be­werbs­recht. Den Wett­be­werb bei Such­ma­schi­nen, sozia­len Netz­wer­ken und Ein­kaufs­platt­for­men gibt es zwar for­mal, trotz­dem fin­det eine Mono­po­li­sie­rung durch die Nut­zer statt. Für den Ein­kauf gibt es Ama­zon, für den sozia­len Kon­takt Face­book oder Twit­ter. Wir müs­sen uns fra­gen: Wie ist es künf­tig bei der Mobi­li­tät? Wie ist es bei der Gesund­heits­wirt­schaft? Wie wird sich die Digi­ta­li­sie­rung in der Finanz­in­dus­trie ent­wi­ckeln? Es wäre gut, wenn die neu­en Platt­for­men, die zwangs­läu­fig ent­ste­hen wer­den, aus Euro­pa oder gar aus Deutsch­land kämen. (ZITAT: „Es wäre gut, wenn die neu­en Platt­for­men aus Euro­pa oder aus Deutsch­land kämen.“) Es ist eine wich­ti­ge Fra­ge, wie wir die Stär­ke, die wir im Maschi­nen­bau oder in der Auto­mo­bil­in­dus­trie haben, bewah­ren kön­nen. Künf­tig soll die Wert­schöp­fung in Euro­pa statt­fin­den und nicht in die USA abwan­dern, so wie wir es teil­wei­se an ande­ren Stel­len bereits sehen. Dazu gibt das Pro­gramm eine gute Rich­tung vor. Wir wol­len unse­re tra­di­tio­nel­len Fami­li­en­un­ter­neh­men und den star­ken Mit­tel­stand bewah­ren. Sie sind unse­re Stärke.

Bie­den­kopf: Weil die Grund­la­ge all des­sen das Wett­be­werbs­recht ist. Sei­ne Neu­be­le­bung ist drin­gend erfor­der­lich. Was in Ame­ri­ka pas­siert ist eine – auch von der ame­ri­ka­ni­schen Regie­rung akzep­tier­te – Ver­mach­tung der Märk­te. Die Digi­ta­li­sie­rung ist nicht die not­wen­di­ge Kon­se­quenz von Ver­mach­tung. Wenn ich nicht ver­deut­li­chen kann, dass die Digi­ta­li­sie­rung ein neu­es Hilfs­in­stru­ment zur Lösung bestehen­der oder neu­er Auf­ga­ben ist, wenn man die Ent­wick­lun­gen ein­fach nur lau­fen lässt, dann wird das in Deutsch­land genau­so wer­den. Das ist nur sehr schwer zu erklä­ren. Wer soll das ver­ste­hen? Die meis­ten Men­schen in Deutsch­land ver­ste­hen unter Digi­ta­li­sie­rung noch zu wenig. (ZITAT: „Die meis­ten Men­schen in Deutsch­land ver­ste­hen unter Digi­ta­li­sie­rung noch zu wenig.“) Die Aus­wir­kun­gen auf die Gesell­schaft sind noch nicht genug durch­dacht. Dabei muss die Offen­heit des Mark­tes ein ganz wesent­li­cher Gesichts­punkt sein. Nicht alles ist digi­tal. Aber die Digi­ta­li­sie­rung ist ein Instru­ment, mit dem wir neue Leis­tun­gen erbrin­gen können.

Tau­ber: Genau dar­auf weist das Pro­gramm hin. Es beschreibt nicht nur die Schwie­rig­kei­ten, son­dern auch den Nut­zen und die Chan­cen. Dadurch unter­schei­det es sich auch davon, wie ande­re Par­tei­en auf die­ses The­ma schauen.

CIVIS: Es gibt nicht weni­ge, die sagen, dass die Digi­ta­li­sie­rung mehr Arbeits­plät­ze kos­ten als neue Arbeits­plät­ze schaf­fen wird…

Tau­ber: Das ist schon his­to­risch falsch. Das war bei der Indus­tria­li­sie­rung schon so, zum Bei­spiel bei der Erfin­dung der Dampf­ma­schi­ne. Es hat zeit­wei­se einen regel­rech­ten Boom auf dem Arbeits­markt gege­ben. Selbst beim Buch­druck sind viel frü­her schon neue For­men von Arbeit ent­stan­den. Das wird sicher eine Auf­ga­be für die Gesell­schaft wer­den. Wenn Arbeit auto­ma­ti­siert wird und sich ver­än­dert, ent­ste­hen auch neue Kapa­zi­tä­ten und Möglichkeiten.

Bie­den­kopf: Eins kann man aber doch nicht leug­nen: Man muss in vie­len Fäl­len eine ganz neue Arbeit erler­nen. Ein Bei­spiel: Wer in einem Soft­ware-Unter­neh­men arbei­ten will, muss pro­gram­mie­ren kön­nen, das heißt, prak­tisch einen neu­en Beruf erler­nen. Der Com­pu­ter ist aus dem Arbeits­le­ben heu­te nicht mehr weg­zu­den­ken. Und gera­de im Alter ist das Erler­nen neu­er Fähig­kei­ten alles ande­re als ein­fach. In der Pra­xis bedeu­tet das: Wenn ich die neue Auf­ga­be nicht beherr­sche, flie­ge ich raus. Wenn ich aber das Neue ler­nen kann, dann blei­be ich drin.

Tau­ber: Da haben Sie Recht. Da liegt, glau­be ich, kein Dis­sens zwi­schen uns.

Bie­den­kopf: Ja, aber wir beach­ten etwas nicht: Älte­re Men­schen, so ab 45, 50 Jah­ren, hegen den Wunsch nach Kon­ti­nui­tät. Das ist bei uns der­zeit die Mehr­heit. So sind wir Men­schen nun mal. Und die­se Kon­ti­nui­tät haben sie nicht, wenn sie stän­dig etwas Neu­es erler­nen müs­sen. Jun­ge Leu­te haben damit weni­ger Pro­ble­me. Bei unse­ren Enkeln beob­ach­te ich gera­de, wie sie die Welt erobern. Sie steht ihnen offen und sie nut­zen die Chan­cen. Das ist eine völ­lig neue Welt. Die jun­gen Leu­te ler­nen von Anfang an, wie Mobi­li­tät funk­tio­niert. Heu­te hier, mor­gen dort.

Tau­ber: Da muss ich nun aber mal eine Lan­ze für die älte­re Genera­ti­on bre­chen. Es geschieht gera­de etwas Span­nen­des: Als Kin­der haben wir gelernt, dass die Jun­gen von den Alten ler­nen. In der digi­ta­len Welt ist das aber anders her­um. Plötz­lich hat die Oma so viel Kon­takt zu ihrem Enkel­kind wie schon lan­ge nicht mehr, wenn es um Pro­ble­me rund um das Han­dy geht. Die Fra­ge ist also, wie jeder von die­ser digi­ta­len Revo­lu­ti­on ganz indi­vi­du­ell pro­fi­tiert. Wenn wir es schaf­fen, Ängs­te abzu­bau­en, wenn die Men­schen erken­nen, was ihnen das alles bringt, ist die Bereit­schaft etwas Neu­es zu ler­nen auch viel höher, unab­hän­gig vom Alter.

Bie­den­kopf: Jetzt kommt aber ein ganz wich­ti­ger Punkt. Wenn die Bür­ger das nicht von sich aus machen, zum Bei­spiel weil der Staat ihnen immer mehr unter die Arme greift, hilft das doch am Ende keinem.

Tau­ber: Trotz­dem muss der Staat die Men­schen aber ermutigen.

Bie­den­kopf: War­um muss der Staat die Men­schen ermu­ti­gen? Das ist nicht sei­ne Auf­ga­be. (ZITAT: „Es ist nicht die Auf­ga­be des Staa­tes die Men­schen zu ermu­ti­gen.“) Poli­ti­sche Par­tei­en kön­nen es ver­su­chen. Aber sie sind nicht der Staat. Die wich­tigs­te Ermu­ti­gung geht von den Mög­lich­kei­ten aus, die uns die Frei­heit bie­tet. Mei­ne gene­rel­le Sor­ge ist schon lan­ge, dass wir mit den Sozi­al­sys­te­men auch den Staat immer wei­ter aus­deh­nen. So weit, bis die Men­schen irgend­wann sagen: Wir müs­sen eigent­lich gar nichts mehr selbst tun, der Staat erle­digt alles für uns und passt auf uns auf. Soweit darf es nicht kommen.

Tau­ber: Das ist inter­es­sant, denn genau an dem Punkt sind wir ja in einer klas­si­schen par­tei­po­li­ti­schen Gefechts­la­ge. Die Sozi­al­de­mo­kra­tie redet den Men­schen ein, dass die Welt völ­lig unsi­cher sei und sie sich daher nur auf den Staat ver­las­sen soll­ten. Als Uni­on sagen wir: Ihr könnt das doch selbst viel besser.

Bie­den­kopf: Wir leben aber in einer Welt, in der die Men­schen sofort nach dem Staat rufen, sobald sie etwas nicht lösen kön­nen. (ZITAT: „Wir leben in einer Welt, in der die Men­schen sofort nach dem Staat rufen, sobald sie etwas nicht lösen kön­nen. “) Das ist im Übri­gen nicht nur ein typisch deut­sches Phä­no­men. Wir machen es nur beson­ders gut (lacht). Und ich den­ke, wir soll­ten mehr Mut bei den Pro­ble­men bewei­sen. Ger­hard Schrö­der hat mit der Agen­da 2010 tief in sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Struk­tu­ren und deren Selbst­ver­ständ­nis ein­ge­grif­fen. Natür­lich wuss­te er, dass das auch schief gehen könn­te. Die SPD hat das im Kern schwer getrof­fen. Vie­le Sozi­al­de­mo­kra­ten zitie­ren des­halb Schrö­der auch nur sehr ungern. Vie­le distan­zie­ren sich sogar von ihm. Wir zitie­ren ihn schon eher, weil wir sei­ne gene­rel­le Vor­ge­hens­wei­se für rich­tig hal­ten. Weil wir sagen: Man muss auch bereit sein, ein Risi­ko ein­zu­ge­hen, wenn es dem Gesamt­wohl hilft. Die­se Not­wen­dig­keit wird sich in Zukunft noch verstärken.

Tau­ber: Ich glau­be, dass wir in sol­chen Lage schon öfter waren als wir den­ken. Den­ken Sie bei­spiels­wei­se an die Reak­ti­on auf die Finanz­kri­se, an die euro­päi­sche Staats­schul­den­kri­se oder an die Flücht­lings­fra­ge. Da herrsch­te selbst bei den Kol­le­gen in der Frak­ti­on oft gro­ße Skep­sis, weil sie sich gefragt haben, ob das funk­tio­niert, so wie wir das machen. Und ganz sicher waren auch man­che Ent­schei­dun­gen nicht ohne Risiko.

Bie­den­kopf: Im Übri­gen habe ich mich sehr gefreut, dass Ange­la Mer­kel bei der Fra­ge nach einer Ober­gren­ze für Flücht­lin­ge stand­haft geblie­ben ist. Das hat Herrn See­hofer zwar geär­gert. Aber sei­ne Anlie­gen sind undurch­führ­bar. Sie wir­ken wie eine Pro­vo­ka­ti­on für all die­je­ni­gen Men­schen, die ein bes­se­res Leben suchen. Wir soll­ten ver­stärkt in die­se Län­der inves­tie­ren, anstatt zu sagen “Es ist alles hoff­nungs­los und wir kön­nen euch nicht akzep­tie­ren”. Der Punkt ist doch: Die Euro­pä­er haben über eine lan­ge Zeit als Kolo­ni­al­mäch­te den afri­ka­ni­schen Kon­ti­nent aus­ge­beu­tet. Irgend­wann wer­den die jun­gen Men­schen in Afri­ka auf­wa­chen und sich die Fra­ge stel­len, was wir ihnen heu­te dafür zurück­ge­ben. (ZITAT: „Irgend­wann wer­den die jun­gen Men­schen in Afri­ka auf­wa­chen und sich die Fra­ge stel­len, was wir ihnen heu­te zurück­ge­ben.“) Die Brü­cke für all das liegt qua­si vor uns auf dem Tisch. Mit ihrem Han­dy kön­nen die Men­schen über­all auf der Welt sehen, wie wir hier leben. Was wir haben, und was sie selbst nicht haben. Wenn wir ihnen dann unse­re Hil­fe anbie­ten und ihnen die Mög­lich­keit geben, aus ihrem Land das zu machen, was wir heu­te in Deutsch­land vor­fin­den, ist das eine tol­le Sache. Dafür kann man auch die jün­ge­re Genera­ti­on in Deutsch­land begeistern.

CIVIS: Herr Bie­den­kopf, Herr Tau­ber, vor uns sit­zen zwei Gene­ral­se­kre­tä­re. Was wür­den Sie, Herr Bie­den­kopf, dem amtie­ren­den CDU-Gene­ral­se­kre­tär als guten Rat­schlag mit­ge­ben wollen?

Bie­den­kopf: Ich als Rent­ner will dem jun­gen Gene­ral­se­kre­tär kei­ne Vor­schrif­ten machen. Das wäre ver­mes­sen. Viel­leicht nur so viel: Die bes­te Regie­rung ist eine, der es gelingt, den Men­schen die Frei­heit zu bie­ten mit­zu­ge­stal­ten. (ZITAT: „Die bes­te Regie­rung ist eine, der es gelingt, den Men­schen die Frei­heit zu bie­ten mit­zu­ge­stal­ten.“) Selbst wenn Feh­ler gemacht wer­den. Denn aus Feh­lern kann man ler­nen. Wenn der Staat sich jedoch zu sehr ein­schal­tet, ist er eher Gegen­spie­ler als ein Part­ner. Das ist vor allem im Bil­dungs­we­sen wich­tig. Ein Bei­spiel: Unse­re Schul­po­li­tik darf nie­mals zur Bun­des­sa­che erklärt wer­den. Schu­le muss von unten funk­tio­nie­ren. Die SPD will kos­ten­lo­se Kin­der­gär­ten. Damit ist sie aber in einem zen­tra­len Punkt aus­ge­spro­chen unge­recht: Sie löst näm­lich bei den Gut­ver­die­nern den Ein­druck aus, ihre Kin­der könn­ten kei­ne hoch­wer­ti­ge Bil­dung erhal­ten, und orga­ni­sie­ren des­halb pri­va­te Kin­der­gär­ten. Das­sel­be gilt für alle Berei­che, in denen man mehr Gerech­tig­keit durch mehr Gleich­heit schaf­fen will. Dar­auf soll­te man auch im Wahl­kampf hin­wei­sen. Gleich­ma­che­rei ist im Kern zutiefst ungerecht.

CIVIS: Herr Bie­den­kopf, Herr Tau­ber, haben Sie vie­len Dank für das Gespräch!

 

Dr. Peter Tau­ber MdB ist seit 2009 Mit­glied des Deut­schen Bun­des­tags. Seit 2013 ist er Gene­ral­se­kre­tär der CDU Deutschlands.

Prof. Dr. Kurt Bie­den­kopf war von 1990 bis 2002 der ers­te Minis­ter­prä­si­dent des Frei­staa­tes Sach­sen nach des­sen Neu­grün­dung. Von 1973 bis 1977 war er Gene­ral­se­kre­tär der CDU Deutschlands.