Das deut­sche Par­tei­en­sys­tem wird her­aus­ge­for­dert. Je mehr Par­tei­en im Par­la­ment sit­zen, des­to schwie­ri­ger wird es, sta­bi­le Koali­tio­nen zu bil­den. Gera­de die Uni­on muss sich daher auch für neue Wege der Zusam­men­ar­beit öff­nen. Ein jamai­ka­ni­sches Plä­doy­er von Karin Prien.

Von Karin Prien

In den ver­gan­gen Wochen und Mona­ten wur­de viel über mög­li­che und neue Bünd­nis­se in der Poli­tik gespro­chen. Sei es dar­über, wel­che geplant, gewünscht, nicht mög­lich oder wel­che zer­bro­chen sind, sei es über ihre Zukunfts­fä­hig­keit oder Inno­va­ti­ons­kraft. Dis­ku­tiert wur­de auch dar­über, ob das alte Rechts-Links-Sche­ma als klas­si­sche poli­ti­sche Gesäß­geo­gra­phie noch taugt und ob die­se als Grund­la­ge für zeit­ge­mä­ße Bünd­nis­se die­nen. Was bedeu­tet ein sol­ches Bünd­nis überhaupt?

Poli­ti­sche Bünd­nis­se bedeu­ten in aller Regel Koali­tio­nen von zwei oder meh­re­ren Par­tei­en. Man ver­ein­bart Zie­le, die in den kom­men­den Jah­ren auf im Koali­ti­ons­ver­trag beschrie­be­nen Wegen erreicht wer­den sol­len. Ein poli­ti­sches Bünd­nis ist immer ein Bünd­nis auf Zeit.

Noch vor eini­ger Zeit gab es nur weni­ge vor­stell­ba­re Bünd­nis­mög­lich­kei­ten in Deutsch­land. Zum einen, weil die Par­tei­en­land­schaft weni­ger viel­fäl­tig war, aber auch, weil durch eine kla­re Links­/­Rechts-Ver­or­tung bestimm­te Bünd­nis­se schlicht nicht für mög­lich gehal­ten wur­den. So gehör­ten SPD, spä­ter auch Grü­ne und Lin­ke ins poli­tisch lin­ke Lager, CDU und FDP ins rech­te. Bünd­nis­se waren nahe­zu immer nur im lin­ken oder im rech­ten Lager mög­lich. In Umbruch­pha­sen gab es auch eine Koali­ti­on von SPD und FDP und die Gro­ße Koali­ti­on — bei­de wur­den aber eher als Not­lö­sun­gen verstanden.

Wo bleibt der Markenkern?

Unse­re Gesell­schaft unter­liegt einem ste­ten und aktu­ell immensen Wan­del. Das demo­kra­ti­sche Sys­tem, die Par­tei­en und damit „die Poli­tik“ ent­wi­ckeln sich mit. Und so wur­de gera­de inner­halb des ver­gan­ge­nen Jah­res ver­stärkt über neue Bünd­nis­se wie Schwarz-Grün, Jamai­ka, Kenia, Ampel, Rot-Rot-Grün oder sogar über Schwarz-Blaue Bünd­nis­se gespro­chen. Bünd­nis­se also, die frü­her nie für mög­lich gehal­ten wur­den, sind nun im Gespräch und teil­wei­se schon neue Wirklichkeit.

Alles nur noch Belie­big­keit? Kommt es auf poli­ti­sche Grund­sät­ze über­haupt noch an? Wo bleibt der Mar­ken­kern? Geht es nur noch ums Regie­ren an sich? Gibt es auch noch kla­re Ziele?

Natür­lich gibt es die, aber das Regie­ren in einer Koali­ti­on setzt immer Kom­pro­miss­be­reit­schaft vor­aus. Eine Par­tei, die Koali­tio­nä­re braucht, aber alle ihre Zie­le sofort errei­chen will, wird scheitern.

Vor­aus­set­zung für ein funk­tio­nie­ren­des Bünd­nis ist eine tie­fe Ver­wur­ze­lung eige­ner Wer­te, eine kla­re Vor­stel­lung von Gesell­schaft und eine gute Ver­bin­dung zu den eige­nen Mit­glie­dern und den Wäh­lern. Und man muss den Part­nern oder Wunsch­part­nern zuge­ste­hen, dass es bei ihnen genau­so ist.

In der CDU wird viel über die eige­ne Ver­or­tung in der Par­tei­en­land­schaft und über funk­tio­nie­ren­de Bünd­nis­se dis­ku­tiert. Das gehört zur Kul­tur der Par­tei, aber natür­lich befeu­ert das Erstar­ken der AfD die­se inner­par­tei­li­che Dis­kus­si­on der CDU-Mit­glie­der zwi­schen den Polen „zu weit nach links gerückt“ und „selbst schuld am Erstar­ken der AfD“. Kern­fra­ge ist dann immer, ob es der CDU hilft, wenn sie wei­ter nach rechts rückt.

Wo steht die CDU?

Aber was heißt das eigent­lich? Was ist heu­te kon­ser­va­tiv, was rechts, was links? Bei der CDU ist jeden­falls klar: Sie ist die Volks­par­tei der Mit­te. Und trotz aller gele­gent­lich geäu­ßer­ten Zwei­fel und trotz aller Wei­ter­ent­wick­lung ver­or­tet sie sich rechts mit dem Anspruch, Poli­tik für die brei­te Bevöl­ke­rung zu machen. Die CDU gestal­tet die­se Poli­tik auf der Basis des christ­li­chen Men­schen­bil­des, als Ant­wort auf die Nega­ti­on der Men­schen­wür­de im Natio­nal­so­zia­lis­mus und auf den unmensch­li­chen Kol­lek­ti­vis­mus des Kom­mu­nis­mus. Das ist der Kern der Par­tei und die Wur­zel, die den Baum trägt, ihn wei­ter wach­sen und sich stän­dig erneu­ern lässt. Das christ­li­che Men­schen­bild ver­knüpft die Bedürf­nis­se des mit eige­ner Wür­de aus­ge­stat­te­ten Indi­vi­du­ums, das zugleich Teil der Fami­lie und der Gesell­schaft ist und sich in die­ser ent­wi­ckeln kann, mit der Gesell­schaft. CDU-Mit­glie­der sehen den ein­zel­nen Men­schen mit sei­nen indi­vi­du­el­len Talen­ten, Bedürf­nis­sen, Ängs­ten, Schwä­chen, Zie­len, Lebens­we­gen und Ent­wick­lun­gen, gleich­zei­tig aber auch als Teil einer Gemein­schaft mit ande­ren Men­schen, Lebe­we­sen und der Natur: Lie­be und Dank­bar­keit für die Schöp­fung füh­ren dazu, auf­ein­an­der acht zu geben und sich so zu ver­hal­ten, wie man selbst behan­delt wer­den möch­te. Nie­mand wird im Stich gelas­sen, aber Leis­tung wird gewür­digt. Das gro­ße Gan­ze, das Gemein­wohl bleibt im Blick, ohne das Indi­vi­du­el­le außer Acht zu lassen.

Die­se Grund­wer­te sind das Fun­da­ment der CDU, das kann man kon­ser­va­tiv nen­nen. Kon­ser­va­ti­vis­mus ist nicht rechts. Kon­ser­va­ti­vis­mus heißt auch nicht, ein Kopf­tuch zu ver­bie­ten oder gegen Flücht­lin­ge zu het­zen und Res­sen­ti­ments zu stär­ken. Kon­ser­va­ti­vis­mus bedeu­tet, das christ­li­che Men­schen­bild in allen Ent­schei­dun­gen zu den­ken und sich auf die­ser Basis neu­en Her­aus­for­de­run­gen zu stel­len. Das wie­der­um heißt: Mögen sich die Gesell­schaft und die Welt ver­än­dern, die Grund­wer­te der CDU-Poli­tik behal­ten Gel­tung. Auf die­ser Basis kann man fest ver­or­tet die Welt ver­än­dern, man kann den Wan­del die­se Welt posi­tiv mit­ge­stal­ten, ohne sich und sei­ne Über­zeu­gun­gen zu verlieren.

Die­se Wer­te gehö­ren bei der CDU ins Par­tei­pro­gramm und sie sind im poli­ti­schen All­tags­ge­schäft prä­gend. Sie sind Kom­pass für das poli­ti­sche Han­deln. Mit die­sem Grund­ge­rüst kann man viel bewäl­ti­gen. Die Zukunft der CDU liegt nicht in einem ver­ord­ne­ten Rechts­ruck. Die CDU ist im aktu­el­len gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Ver­än­de­rungs­pro­zess nicht belie­big gewor­den. Die CDU und ihre Mit­glie­der haben ein sta­bi­les Fun­da­ment das mehr ver­bin­det als trennt. Es braucht kei­ne „kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on“ weder der Par­tei noch der Gesell­schaft. Es braucht die Besin­nung — manch­mal auch Rück­be­sin­nung — auf die Grund­wer­te — und gern auch eine offe­ne Debat­te dar­über, wie die­se Wer­te mit Blick auf die Zukunfts­the­men unse­rer Zeit wirk­sam blei­ben kön­nen und inter­pre­tiert wer­den müs­sen. Dann wird der Dis­kus­si­ons­pro­zess zum neu­en Grund­satz­pro­gramm beitragen.

In dem Bewusst­sein gemein­sa­mer Wer­te schmie­den die Mit­glie­der der CDU ein ele­men­tar wich­ti­ges Bünd­nis mit­ein­an­der, mit dem erst Bünd­nis­se mit ande­ren mög­lich wer­den. Anders gesagt: Wenn Wer­te und Zie­le klar sind und wenn die­ses Bünd­nis zu der eig­nen Basis sta­bil ist, ist eine Par­tei für ein selbst­be­wuss­tes Bünd­nis mit ande­ren Par­tei­en bereit. Das ist ein Grund für den Erfolg von Jamai­ka in Schles­wig-Hol­stein. Und das ist der Grund für die wah­re Ach­ter­bahn der Gefüh­le bei der SPD in den ver­gan­ge­nen Wochen. Da hat das Bünd­nis zu den eige­nen Wer­ten und mit den eige­nen Mit­glie­dern und Wäh­lern gefehlt.

Bei­spiel aus Schleswig-Holstein

In Schles­wig-Hol­stein waren die Aus­gangs­be­din­gun­gen ande­re. Hier waren sich die spä­te­ren Jamai­ka-Par­tei­en vor Ein­tritt in die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen ihrer Wer­te und Zie­le bewusst. Alle drei Par­tei­en hat­ten ein sta­bi­les Bünd­nis mit ihrer Basis und sind als Gewin­ner aus der Land­tags­wahl her­vor­ge­gan­gen. Auf die­ser Basis konn­ten sie über eine Koali­ti­on ver­han­deln, konn­ten ein Bünd­nis mit­ein­an­der schlie­ßen und vor allem konn­ten sie ein Bünd­nis mit den Wäh­lern ein­ge­hen, die die­ses Bünd­nis gewünscht haben. Erfolgs­fak­to­ren waren selbst­ver­ständ­lich auch der Respekt, den sich die Akteu­re ent­ge­gen­ge­bracht haben sowie der Stil und Umgang der Par­tei­en mit­ein­an­der. Bei jedem The­ma haben die spä­te­ren Koali­tio­nä­re ver­sucht, den jeweils ande­ren Part­ner in sei­nen Grund­po­si­tio­nen und Lösungs­an­sät­zen hin­ter den For­de­run­gen zu ver­ste­hen. Kein ideo­lo­gi­scher Kampf, kein ver­bis­se­ner Wett­streit um die poli­ti­schen Schlüs­sel­be­grif­fe, son­dern schlich­tes Aus­lo­ten der gemein­sa­men Zie­le. Es ging um die Sache — Punkt! Genau das hat der heu­ti­ge Minis­ter­prä­si­dent Dani­el Gün­ther in sei­ner Ver­hand­lungs­füh­rung immer wie­der deut­lich gemacht. Das hat Frei­räu­me für jeden geschaf­fen und gegen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis geför­dert. Das war har­te Arbeit, dabei schien auch nicht immer die jamai­ka­ni­sche Son­ne — aber die gegen­sei­ti­ge Offen­heit ließ etwas ent­ste­hen, womit sich alle am Tisch iden­ti­fi­zie­ren. Bis heute.

Es ist eine neue Dyna­mik ent­stan­den, nicht nur ein neu­es Bünd­nis. Damit ist auch das best­mög­li­che Bünd­nis mit den Bür­gern in Schles­wig-Hol­stei­ni­schen geschlos­sen worden.

Jamai­ka hat sich auf den Schwer­punkt Bil­dung, ins­be­son­de­re im Bereich Kita und Grund­schu­len, ver­stän­digt und vor allem die Bedürf­nis­se der Kin­der, nicht etwa ideo­lo­gi­sche Struk­tur­fra­gen in den Vor­der­grund gestellt. Der Begriff Bil­dungs­ge­rech­tig­keit wird gemein­sam defi­niert und buch­sta­biert: Weg von der Struk­tur­de­bat­te, Hin­wen­dung zur qua­li­ta­ti­ven Wei­ter­ent­wick­lung und För­de­rung von Leis­tungs­schwa­chen und auch Leis­tungs­star­ken. Auch beim The­ma Land­wirt­schaft hat es gehol­fen, die Sache vor Ideo­lo­gie zu stel­len. Land­wirt­schaft und Natur­schutz sol­len gemein­sam mit den Land­wir­ten so ent­wi­ckelt wer­den, dass sie nicht mehr Gegen­satz sind. Schließ­lich ver­bin­det die Koali­tio­nä­re der gemein­sa­me Auf­bruch in die digi­ta­le Welt als Quer­schnitts­auf­ga­be, die aber ethi­sche und sozia­len Fra­gen nicht außer Acht lässt.

Man kann neue Bünd­nis­se ein­ge­hen, wenn man sich der eige­nen Wer­te und Zie­le sicher ist und den Wert­vor­stel­lun­gen der ande­ren mit Respekt begeg­net und ihnen Raum gibt.

Das ist jedoch der Grund, war­um ein Bünd­nis mit Lin­ken oder mit der AfD für die CDU nicht mög­lich ist. Deren Grund­über­zeu­gun­gen sind so weit von den Grund­prin­zi­pi­en der CDU ent­fernt, dass man ihnen den Raum und Respekt nicht geben kann, den ein Bünd­nis bräuch­te. Zudem wür­de es den CDU-Mar­ken­kern gefähr­den. Für alle ande­ren Kon­stel­la­tio­nen, die die­sen Kern nicht beschä­di­gen, soll und muss die CDU offen sein. Am Ende geht es um die Ver­tei­di­gung eines frei­heit­li­chen, plu­ra­lis­ti­sches Gesell­schafts­mo­dell gegen ein auto­ri­tä­res, iden­ti­tä­res oder kollektivistisches.

Karin Prien, 52, ist Minis­te­rin für Bil­dung, Wis­sen­schaft und Kul­tur des Lan­des Schles­wig-Hol­stein. Die Juris­tin wur­de in Ams­ter­dam gebo­ren und lebt jetzt in Ham­burg und Kiel. Sie ist CDU-Orts­vor­sit­zen­de in Ham­burg-Blan­ke­ne­se und Mit­glied im Lan­des­vor­stand der Han­se­stadt. Die Mut­ter drei­er Söh­ne war vor ihrer Ernen­nung zur Minis­te­rin als Fach­an­wäl­tin für Han­dels- und Gesell­schafts­recht tätig und schul­po­li­ti­sche Spre­che­rin der CDU-Frak­ti­on in der Ham­bur­gi­schen Bürgerschaft.